BILANZ: «Herr Dörig, wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie Chef der Swiss Life sind?»
Rolf Dörig: «Es ist schön, die Nummer eins zu sein. Anfangs ist es mir immer wieder passiert, dass ich mich im ersten Moment über etwas aufregte und dann im zweiten Moment dachte: Dann ändere es doch einfach. Das ist schon ein gutes Gefühl.»

«Aber?»
Rolf Dörig: «Wenn man an der Spitze ist, drückt die Verantwortung.»

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Rolf Dörig hat bei seinem Start bei Swiss Life am 6. November 2002 ein Chaos vorgefunden. Eine «zwingend notwendige» Kapitalerhöhung, die wegen der Flut von Negativschlagzeilen über Verfehlungen der Swiss-Life-Spitze zu scheitern drohte. 12 000 Mitarbeiter, die aus dem gleichen Grund «verunsichert und demoralisiert» (Dörig) waren. Dann einen Konzern, der mitten in einer Neuausrichtung sein wichtigstes Kapital, das Vertrauen von Kunden und Anlegern, verloren hatte.

Und: Dörig, der Neue, hatte keine Verbündeten.
An seine vordringlichste Aufgabe, die Kapitalerhöhung, machte er sich mit roher Befehlsgewalt. Er, der Oberst im Generalstab, schreibt es seiner militärischen Erfahrung zu, dass er den Überblick nicht verloren hat. «Ich habe so viel Militär gemacht, dass ich einen Raster im Kopf habe, mit dem ich auch noch entscheiden kann, wenn alles drunter und drüber läuft.»

Er etablierte eine Task-Force, die sich um nichts anderes als die Kapitalerhöhung kümmerte. Er selbst tat nichts anderes, denn als Banker mit den verunsicherten Bankern der mit der Kapitalerhöhung beauftragten Credit Suisse First Boston zu sprechen. Und als Sachverständiger ? Dörig ist Doktor der Jurisprudenz und patentierter Anwalt ? mit den Anwälten, die für den Prospekt zuständig waren. «Die Nervosität in Bezug auf die Prospekthaftung war unglaublich», sagt Dörig. Um persönlich für den Inhalt des Prospekts bürgen zu können, verschob er die Kapitalerhöhung um einige Tage und arbeitete alles im Detail durch. Am 19. November schliesslich war die Rekapitalisierung unter Dach und Fach, der Swiss Life waren neue Mittel in der Höhe von 1,1 Milliarden Franken zugeflossen.
Seither bemüht sich Dörig, die Mitarbeiter hinter sich zu scharen. Den Aussendienstlern, denen das ramponierte Image der Swiss Life ans Lebendige geht, hat er zur Hebung der Moral kurzerhand das Fixum erhöht. Auch bei der übrigen Belegschaft bemüht er sich, den Missmut in Zuversicht zu verwandeln. Er sucht den Kontakt, etwa indem er sich in so genannten Kaffeerunden zur Beantwortung von Fragen persönlich zur Verfügung stellt. Das tut nicht zuletzt ihm selber gut: «Da habe ich die Chance, das herüberzubringen, was ich möchte», sagt Dörig. Er möchte, dass bei Swiss Life ein neuer Geist einkehrt.

Im Unternehmen soll künftig, wie andernorts auch, leistungsorientiert gearbeitet und entlöhnt werden. Um dies zu erreichen, etabliert er derzeit ein System von verbindlichen finanziellen und funktionalen Zielsetzungen und die dazugehörigen Messinstrumente. Abschaffen will er die Optionspläne, weil er überzeugt ist, diese seien ungeeignet, um die Interessen des Unternehmens mit jenen des Einzelnen auf eine Linie zu bringen. Auch er selbst bezieht seine netto zwei Millionen Franken Jahressalär in bar.

Präsenz, Offenheit und Engagement Dörigs hätten zwar für eine gewisse Beruhigung gesorgt, sagt ein Swiss-Life-Mitarbeiter, doch die Unsicherheit sei keineswegs getilgt und werde sich halten, bis jeder im Unternehmen seine Aufgabe definitiv kenne. «Wir arbeiten intensiv daran», sagt dazu Martin Senn, Mitglied der Geschäftsleitung, seit Januar mit dabei.
Senn ist einer der fünf, die Dörig noch vor Weihnachten dafür gewinnen konnte, zu ihm in die Geschäftsleitung zu wechseln. «Ich kannte hier ausser dem Finanzchef keinen», sagt Branchenneuling Dörig, «ich brauchte rasch Leute, denen ich Kompetenzen geben konnte.» Zwar habe er Dossiers von Swiss-Life-Mitarbeitern studiert, aber auf die Schnelle keine Entscheide fällen können. «Ich brauchte Leute, die ich kenne», so Dörig (siehe «Die Konzernleitung» rechts).

Wie Dörig es geschafft hat, Leute aus hervorragenden Positionen in seinen schlingernden Kahn zu lotsen? «Die kamen alle wegen der Herausforderung», sagt Dörig, «keiner ist gekauft worden.» Und fügt an: «Jeder hat die Kollegen, die er verdient.»

Solches Selbstlob aus Dörigs Mund sei überraschend, findet ein CS-Banker. Dörig, der zwecks Unterscheidung vom Spitzenbanker Hans-Ulrich Dörig CS-intern nur «der kleine Dörig» hiess, galt lange Jahre als «eine der grauesten aller grauen Mäuse». An geschäftlichen und gesellschaftlichen Anlässen beliebten die Kosmopoliten Lukas Mühlemann und Thomas Wellauer Rolf Dörig mit unverhohlener Süffisanz als «unseren Eidgenossen» vorzustellen. Dieser galt stets als fleissiger, zuverlässiger und anständiger Mensch, als einer ohne Ecken und Kanten auch. Zudem ist er, der gerne damit kokettiert, Appenzeller zu sein, im Land fest verankert. Dörig gehört etlichen Vereinen und Verbänden an. Er sitzt im Vorstandsausschuss des Arbeitgeberverbandes, im Vorstand der International Chamber of Commerce, ist Mitglied des Stiftungsrates Schweizer Sporthilfe, der Stadtzunft und des Gönnervereins der Tonhalle-Gesellschaft, um nur einige zu nennen. Eine zentrale Rolle in Dörigs Netzwerk spielt der Zürcher Grasshopper-Club, wo Dörig, ein passionierter Tennisspieler, im Zentralvorstand sitzt. Für den Klub fliesst viel von Dörigs Herzblut ? eine Gemeinsamkeit, die ihn mit dem ehemaligen CS-Präsidenten Rainer E. Gut verbindet. Diesem hat er denn auch versprochen, das Präsidium des Klubs zu übernehmen und vorher noch für nachhaltig sprudelnde Geldquellen für GC zu sorgen. Ein Vorhaben, das er zusammen mit seinem Verbandskollegen Michael Funk bis Mitte nächsten Jahres zum Erfolg gebracht haben muss. Dann nämlich drehen die beiden GC-Gönner Rainer E. Gut und Fritz Gerber, die den Klub derzeit mit siebenstelligen Privatspenden finanzieren, den Geldhahn zu.

Mit seinen Gaben und Talenten erlebte Dörig, der nach dem Abschluss des Anwaltspatentes bei der Credit Suisse ins Berufsleben einstieg, keinen Senkrechtstart, sondern hüpfte in seinen beinahe siebzehn CS-Jahren von Job zu Job. Dreizehn verschiedene Funktionen hat er dabei bekleidet, hat es vom Assistenten des ehemaligen Präsidenten Robert Jeker per Anfang 2002 schliesslich zum Chef über das Retail- und Firmenkundengeschäft und zum Mitglied der Geschäftsleitung der Bank gebracht.

Keiner der Männer von Welt in den CS-Chefbüros hätte gedacht, dass Dörig sie einst überstrahlen würde. «Dörig gilt als Hoffnungsträger der Schweiz», sagt der Zürcher Headhunter Sandro Gianella, «denn er verkörpert eine Art moderner Solidität und ist das pure Gegenteil seiner Vorgänger.» Die graue Maus Dörig ist zu einer Lichtgestalt geworden.
Dank seinem guten Ruf und seinem solide anmutenden «track record» startete Dörig in seiner neuen Rolle mit viel Kredit. Dass es ihm schliesslich auch gelungen ist, den Vizepräsidenten der Nationalbank, Bruno Gehrig, für das Verwaltungsratspräsidium der Swiss Life zu gewinnen, macht ihn als Hoffnungsträger in der Tat perfekt. Gehrig, politisch unbestritten und persönlich integer, gilt als der ideale Coach für Dörig. Und Gehrig, der die Nachfolge des vollkommen diskreditierten Andres Leuenberger antritt, wirkte wie ein Magnet, als es darum ging, auch die übrigen Verwaltungsratssitze neu zu besetzen (siehe «Sieben Neue im Boot» oben). Die Analysten sind zufrieden. «Der dringend notwendige Managementwechsel hin zu mehr Sachlichkeit hat endlich stattgefunden», sagt Heinrich Wiemer, Bankenanalyst bei Sal. Oppenheim. Im Gegensatz zu Dörig sieht Wiemer allerdings auch für dieses Jahr ein rotes Ergebnis.

Dörig, fortan Herr über Bilanz und Erfolgsrechnung der Swiss Life, will nämlich Ende Jahr schwarze Zahlen liefern. Am 8. April verabschiedete er sich dafür von der Swiss-Life-Vergangenheit und präsentierte einen Jahresabschluss 2002, der voll gepackt war mit den Sünden seiner Vorgänger: 1,7 Millarden Franken Verlust. Allein die Abschreiber auf der Banca del Gottardo und der Schweizerischen Treuhandgesellschaft verschlangen 832 Millionen Franken. 792 Millionen Franken Verlust entstanden auf dem Finanzergebnis, weil auf Grund der Börsentalfahrt die Aktienquote gesenkt und riesige Bestände an Aktien auf den Markt geworfen werden mussten.

Ganz ist er seine Vorgänger noch nicht los: Das Bundesamt für Privatversicherungen kam in den Untersuchungen zum Debakel um die Beteiligungsgesellschaft Long Term Strategy nämlich zum Schluss, das Exmanagement habe sich indirekt auf Kosten der Versicherten bereichert und grosse Risiken in Kauf genommen. Dörig ist dazu verknurrt worden, das Geld, das die Ehemaligen auf diese Weise erwirtschaftet hatten, zurückzuverlangen. Eine unangenehme Sache für einen, der berühmt dafür ist, keine Feinde zu haben.

Von seinen Vorgängern geerbt hat er auch die Grundstrategie: Konzentration auf das Lebensversicherungs- und Vorsorgegeschäft sowie auf die Kernmärkte Schweiz, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Belgien und Luxemburg. Diverse ausländische Tochtergesellschaften stehen folglich zum Verkauf, ebenso das Private Banking (Banca del Gottardo und Schweizerische Treuhandgesellschaft). Auch an der Zielrendite seiner Vorgänger von zehn Prozent Return on Equity hält Dörig fest und will sie bis in drei Jahren erreichen, indem er das Anlagerisiko gering hält, die Kosten mit dem Abbau von 1500 Stellen um 500 Millionen Franken pro Jahr senkt und die Prämien erhöht. Einzig das Thema «Devestieren», das seine Vorgänger der Tochter La Suisse vorgegeben hatten, will Dörig noch einmal überdenken.

Was Manager Dörig dazu beitragen kann, den Turnaround zu schaffen und intern wie extern Vertrauen zurückzugewinnen, hat er viel versprechend in der Hand genommen ? der Aktienkurs steigt. «Der Start ist geglückt», sagt René Locher, Analyst der Bank Sarasin, «Gehrig und Co. helfen dem Kurs.»

Aber auf Gehrig und Co. wartet noch ein hartes Stück Arbeit. Die Strategie ist formuliert, aber noch lange nicht umgesetzt. Und die Zukunft des Geschäfts mit der beruflichen Vorsorge ist noch nicht abschliessend geklärt. Die Belange rund um das Schweizer Kollektivgeschäft hat nicht Dörig im Griff, sondern die Politik. Will Dörig ? und mit ihm auch die Konkurrenten James Schiro, Chef der «Zürich», und Leonhard Fischer, Chef der «Winterthur» ? das Geschäft mit der beruflichen Vorsorge «einigermassen profitabel» betreiben, braucht es andere Parameter: einen Mindestzinssatz, der sich aus dem gleitenden mehrjährigen langfristigen Mittel der Durchschnittszinsen errechnet, und einen tieferen Umwandlungszinssatz. Um dies verständlich zu machen, engagiert sich Dörig in Bundesbern höchstselbst. «Man will den Chef hören», erklärt Dörig, «auch in der Politik.» Weder Schiro noch Fischer haben ihn zum Sprachrohr ernannt. Er selbst hält sich für die beste Wahl. «Ich bin von den drei der einzige Schweizer», sagt Dörig. «Der Eidgenosse» kennt nicht nur das politische System aus dem Effeff, er verfügt auch über unzählige persönliche Kontakte, spricht die gleiche Sprache und gilt als Diplomat genug, um beim Vortrag seiner Anliegen den richtigen Ton zu treffen.

Letzten Sommer hat sich Dörig mit einem Text in der NZZ als Manager mit einem wohlwollenden Verständnis für die Belange des Staates geoutet. Titel: «Interesse der Unternehmer an starker Politik». Untertitel: «Neues Gleichgewicht von Politik und Wirtschaft gesucht». In Dörigs Ideal-Schweiz ist es möglich, dass sich Politik und Wirtschaft auf eine gemeinsame Strategie einigen, etwa um «eines der besten Rentensysteme weltweit» langfristig zu sichern. «Manche bezeichnen mich deshalb als idealistisch, gar naiv», so Dörig. Nun kann und muss er den Beweis, dass er kein Träumer ist, gleich selbst antreten.

Zur Person
Rolf Dörig (45), Dr. iur. mit Anwaltspatent, trat 1986 bei der Schweizerischen Kreditanstalt ins Berufsleben ein und übernahm dort in den folgenden beinahe siebzehn Jahren mehr als ein Dutzend verschiedene Funktionen. Zuletzt leitete er in der Credit Suisse Financial Services unter Oswald Grübel das Retail-Geschäft. Seit November 2002 ist er CEO der Swiss Life. Dörig ist Mitglied einer Vielzahl von Verbänden und Vereinen. Er ist verheiratet und hat drei Söhne.