Bei der Wahl ihrer Veranstaltungsorte hat die UBS dieses Jahr keine glückliche Hand. Das Septembertreffen von Verwaltungsrat und Konzernleitung hatte die Grossbank schon lange in Singapur angesetzt. Nach der Sitzung, so die Planung, wollte man das dortige Formel-1-Rennen besuchen. Doch dann kam ein Zwei-Milliarden-Verlust dazwischen, und plötzlich musste der Verwaltungrat einen neuen Chef wählen. Die Rennvisite wurde gestrichen. Formel 1 und UBS hätten aber Gemeinsamkeiten, höhnte die «Financal Times»: Beide drehten sich im Kreis und riskierten dauernd spektakuläre Crashs.

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Der Ort der zweiten Grossveranstaltung wurde ebenfalls vor langer Zeit festgelegt: Am 17. November findet im «Waldorf Astoria» im Herzen Manhattans der nächste Investorentag der UBS statt. Vor zwei Jahren war es Zürich, letztes Jahr London, dieses Jahr sollten besonders die Wall-Street-Analysten beglückt werden, so die Planung aus sturmfreien Tagen. Doch angesichts der gigantischen Erwartungen in der Schweiz und in London wirkt es wenig glücklich, dass die Neuigkeiten wegen der Zeitverschiebung erst ab dem frühen Nachmittag in Europa eintröpfeln. Und ob das tagesfüllende Programm die europäischen Anleger bis Mitternacht begeistern kann, ist fraglich. Wer ein schlechtes Omen sucht, wird in den Archiven des berühmtesten Hotels von New York fündig: Die Untersuchung zum Untergang der «Titanic» fand 1912 im «Waldorf Astoria» statt.

Besonders an den Hauptdarsteller sind die Erwartungen an diesem Tag gross. Sergio Pietro Ermotti wird zum ersten Mal in seiner 36-jährigen Bankerkarriere im Rampenlicht der Finanzwelt stehen. Der 51-jährige Tessiner hatte seine ursprüngliche Interims-Nominierung nur unter der Bedingung akzeptiert, dass der Investorentag nicht abgesagt werde. Die Erwartungen steigen fast täglich. Nach Bekanntgabe der Ergebnisse des dritten Quartals am 25. Oktober kam kein Analystenbericht, keine Zeitung ohne den Hinweis auf den 17. November aus. Die Investoren rechnen vor allem mit drastischen Einschnitten bei der Investmentbank. Sie zählt heute noch etwa 17’500 Mitarbeiter, ein Abbau auf weniger als 16’000 bis Ende 2013 ist bereits beschlossen. Doch reicht das? Grübel hatte im Juli schon erklärt, um das Wealth Management professionell zu begleiten, brauche es eine Investmentbank von der Hälfte bis zu drei Vierteln der derzeitigen Grösse. Droht also ein Abbau auf unter 10’000 Arbeitsplätze?

Wohl kaum. Ermotti versucht, die Erwartungen zu dämpfen. Der Investorentag sei «kein Selbstzweck», sondern nur «ein wichtiger Meilenstein auf unserem Weg», verkündete er bei der Quartalspräsentation. Es wird kein Abbau in grossem Stil bekanntgegeben werden. Selbst die Zahl von 2000 weiteren Stellen, die gestrichen werden sollen, wird intern als zu hoch taxiert. Vielmehr wird die Bank, die sich mit ihrem 15-Milliarden-Gewinn-Ziel weit aus dem Fenster gelehnt hatte, zur Praxis der Wettbewerber zurückkehren: möglichst wenig konkrete Ziele ausgeben. Eine Eigenkapitalrendite von 12 bis 15 Prozent, eine starke Reduktion der Eigenmittel in der Investmentbank um 30 bis 50 Prozent, die Wiedereinführung einer zunächst kleinen Dividende: Das sind die Kernbotschaften – eine moderate Variante der Schrumpfkur, die Grübel der Bank im Sommer verordnet hat.

Der designierte Präsident Axel Weber hat genau studiert, dass ihm das Schweizer Aktienrecht die strategische Oberleitung zuschreibt und damit deutlich mehr Macht als das deutsche Regelwerk. Schon fürchten altgediente Mitarbeiter eine Rückkehr der Fehden vor zehn Jahren, als sich der damalige Präsident Marcel Ospel und sein operativer Chef Luqman Arnold mit Rechtsgutachten zur Satzung einen erbitterten Machtkampf lieferten. Doch Weber ist noch nicht einmal gewählt, und sein Aktivismus ohne Amt mag manchen Verwaltungsrat zum Nachdenken bewegen, ob seine Wahl die richtige ist. Immerhin haben die UBS-VR-Mitglieder nur Amtszeiten von einem Jahr, und dass der 54-jährige frühere Chef der Deutschen Bundesbank keine Veränderungen in dem elfköpfigen Kontrollgremium vornimmt, ist kaum zu erwarten.

Ermotti setzt deshalb auf Einbindung statt Konfrontation. Die Strategie, die am Investorentag vorgestellt wird, soll ausdrücklich auch die Strategie des Verwaltungsrats sein. Das wäre unter Grübel undenkbar gewesen. Auch die Mitarbeiter will Ermotti hinter sich scharen. Den Bonuspool, das wichtigste Führunginstrument jedes Bankchefs, lässt er trotz des Milliardenverlusts unangetastet – Morgan-Stanley hatte nach dem Londoner Zwei-Milliarden-Debakel noch einen Rückgang der Kompensation um 20 Prozent angekündigt. Als erster UBS-Konzernchef gab er nach der Bekanntgabe der Quartalszahlen Statements in allen drei Hauptnachrichtensendungen ab – auf Deutsch, Französisch und Italienisch. Das kam bei der gebeutelten Belegschaft gut an. «Sergio war schon immer ein Teamplayer, er weiss, dass er gute Leute braucht», betont ein langjähriger Weggefährte.

Sein Vater, Sohn eines italienischen Einwanderers, brachte den jungen Sergio als 15-Jährigen bei der Cornèr Bank unter, einer kleiner Bank im Tessin, in der der Vater als Chef der Korrespondenz arbeitete. Der junge Ermotti sah in der dreijährigen Lehre zunächst nur ein Sprungbrett zu seinem Ziel: der Sportschule Magglingen im bernischen Seeland. Er wollte Sportlehrer werden, am liebsten Skilehrer, doch dazu musste er vorher eine Lehre hinter sich bringen. «Du wirst bestimmt nicht Banker», sagte der Arzt dem Sportfanatiker bei der Einstellungsuntersuchung.

Doch der Sinneswandel dauerte nur wenige Wochen. Denn die erste Praxisstation war der Börsenhandel. Das ständige Auf und Ab der Kurse, der Einfluss der Politik, die risikoreichen Entscheidungen unter Zeitdruck – all das faszinierte den jungen Tessiner. Dem Sport widmete er sich in seiner Freizeit zwar weiter, er brachte es als Stürmer in die Reserven des FC Chiasso, der damals in der Nationalliga A spielte.

Doch jetzt wollte er in der Bankenwelt Karriere machen – und dafür war das Tessin zu eng. Er lernte Deutsch und Englisch und wechselte zur Citibank nach Zürich, wo er in den Handel mit Wandelanleihen einstieg. Nächste Station war der Zürcher Ableger von Merrill Lynch, bei dem er prägende Personen des Finanzplatzes kennen lernte: Marcel Ospel, Thomas Matter, Rainer-Marc Frey und dessen späteren Mitstreiter Adrian Gut. Doch sie alle verliessen Merrill Lynch, während Ermotti zu einem langen Aufstieg ansetzte, der ihn unter dem CEO David Komansky zum Co-Chef des globalen Aktienhandels werden liess.

Auf dem «Fuck-you-Level»

Der Bruch kam, als ihm 2003 mit Dow Kim ein neuer Chef vorgesetzt wurde, den er fachlich nicht akzeptieren konnte. Finanziell war er abgesichert, das Ziel der Investment Banker, den «Fuck-you-Level», hatte er durch die üppigen Jahre im Aktiengeschäft erreicht. Er wollte mit seiner italienischen Frau Tina und den beiden Söhnen, heute 15 und 17 Jahre alt, zurück ins Tessin (heute lebt die Familie unter der Woche in Zug und am Wochenende in Montagnola). Die UBS hatte schon damals Interesse an ihm, im Gespräch war der Job als Co-Chef des Aktiengeschäfts, doch er hatte genug vom Londoner Investment Banking.

Auch bei UniCredit zeichnete er sich durch Konsequenz aus. Kontakt zu der italienischen Grossbank hatte er noch aus der Zeit bei Merrill Lynch. Als die Swiss Life 2004 die Tessiner Privatbank Banca del Gottardo auf den Markt warf, zeigte sich UniCredit interessiert und schaltete Ermotti als Mittelsmann ein. Er wollte sich mit einem einstelligen Prozentanteil an der Bank beteiligen und Chairman oder CEO werden, die Mehrheit sollte bei UniCredit liegen.

Die Sache zerschlug sich, die Banca del Gottardo landete erst drei Jahre später für 1,8 Milliarden Franken beim italienischen Versicherungskonzern Generali. Die Pläne lieferten einen Einblick in Ermottis Vermögensverhältnisse: Die Beteiligung von drei bis fünf Prozent, zu der er bereit gewesen wäre, hätte ihn über 50 Millionen gekostet.

UniCredit-Lenker Alessandro Profumo war jedoch so angetan von Ermotti, dass er ihm den Job des Investment-Banking-Chefs anbot – nach der Übernahme der Münchner HypoVereinsbank suchte er einen international versierten Banker mit Deutschkenntnissen. Ermotti wurde zum engsten Mitstreiter von Profumo. Gemeinsam wehrten sie sich gegen die italienischen Sparkassen, die im Verwaltungsrat ein Drittel der Mitglieder stellten. Doch Profumo verlor im Sommer 2010 den Kampf, und Ermotti zog die Konsequenzen, als er keine Chance auf dessen Nachfolge hatte und sogar degradiert werden sollte: Er kündigte.

Schwieriger Einstieg

Sein Einstieg bei der UBS war nicht einfach. Mit Grübel, der ihn im Frühjahr 2010 einmal getroffen hatte und ihm nach seinem Austritt bei UniCredit ein Angebot machte, war er sich schnell einig. Natürlich fragte er beim CEO nach, wie seine Chancen auf dessen Nachfolge stünden, und Grübel sagte zumindest nicht Nein. Schwieriger war der Umgang mit den Kollegen in der Konzernleitung. Weil der Abschied von Grübel noch fern erschien, sahen sie in ihm vor allem eine Bedrohung. Durch seine breite Erfahrung war er nicht nur ein Kandidat für das Investment Banking, sondern auch für das Schweiz-Geschäft – er hatte bei UniCredit ein Kreditportfolio von 300 Milliarden Euro unter sich – oder für das Private Banking, das er bei UniCredit auch geführt hatte.

Der Einzige, den er kannte, war der Chef des amerikanischen Wealth Management, Robert McCann, der das Brokerage bei Merrill Lynch geleitet hatte. Hier ist denn auch eine leichte Akzentverschiebung zu Grübel zu erkennen: Während der sich nur halbherzig zum US-Ableger bekannte, verteidigt Ermotti ihn emotional als Kerngeschäft.

Die Gefahr ist, dass nicht nur die Schweizer Öffentlichkeit, sondern auch die Investoren die Massnahmen in New York als zu wenig radikal empfinden. Denn was Ermotti verkünden wird, ist lediglich ein Schritt, den alle grossen Investmentbanken noch vor sich haben: die Anpassung ihres Geschäftsmodells an die neuen regulatorischen Vorgaben. Besonders betroffen sind alle Häuser von den neuen Eigenkapitalvorschriften nach Basel III beim Geschäft mit festverzinslichen Wertpapieren. Um dieses Geschäft, vor allem den Anleihenhandel, weiter betreiben zu dürfen, braucht es jetzt fast doppelt so viel Kapital.

Die UBS ist hier in einer speziellen Situation: Der Bereich, den sie FICC (Fixed Income, Commodities and Currencies) nennt, war schon immer ihr Sorgenkind. Hier entstanden durch eine falsche Aufholjagd die Verluste im Subprime-Bereich von über 50 Milliarden Franken. Es war der heutige Investment-Banking-Chef Carsten Kengeter, im Fixed-Income-Geschäft gross geworden, der das ausgebombte Geschäft sanierte und von Grübel 2009 den Auftrag bekam, es wieder in die Weltspitze zu führen. Es folgte ein rasanter Aufschwung im ersten Halbjahr 2010, und bis Ende 2010 stellte die Bank 420 neue Mitarbeiter ein. Doch dann brachen die Märkte ein, und es war Grübel, der im Frühsommer 2011 die Reissleine zog. Bis dahin galt Kengeters Devise: «Wir wollen unter die Top Fünf.» Heute ist man auf Rang 12, der Abstand zur Konkurrenz ist riesig: Die führenden Häuser wie Deutsche Bank, J.P. Morgan oder Goldman Sachs erzielten hier im letzten Jahr Erträge zwischen 12 und 16 Milliarden Dollar, die UBS schaffte nicht einmal sechs Milliarden.

Das heisst nicht, dass es zum Totalausstieg kommt. Die Wahrheit ist einfache Mathematik: Durch die neuen Vorschriften steigen die risikogewichteten Aktiven der UBS laut Morgan Stanley von 206 auf 353 Milliarden Franken. Mehr als 180 Milliarden liegen im FICC- und Legacy-Bereich, in dem die Bank die ausgelagerten Geschäfte bündelt. Selbst wenn die UBS bis 2016 diesen Block um 100 Milliarden reduziert, wäre wenig erreicht. «Der Markt unterschätzt, wie viele Jahre die Restrukturierung und die Freisetzung des Kapitals durch das Schrumpfen der UBS-Investmentbank dauern werden», betont Morgan-Stanley-Analyst Huw van Steenis.

Allein diese Aussicht sollte Investment-Banking-Chef Kengeter zum Nachdenken darüber anregen, ob er seinen Job noch weiter machen will. Denn er muss den Bereich, dessen Aufbau er den Grossteil seiner Energie gewidmet hat, jetzt dramatisch zusammenstreichen. «Dazu müsste er ein Masochist sein», sagt ein langjähriger UBS-Topmanager. Für ein radikales Durchgreifen bei Kengeter fehlt Ermotti das Mandat. Und das schafft Probleme für den Investorentag: Soll der angeschlagene Investment-Banking-Chef die neue Strategie präsentieren? Beim Investorentag vor einem Jahr in London pries er seine Mannschaft noch als das «kompromissloseste und ultimativ beste Team», das zusammenstehe wie «eine mazedonische Infanteriephalanx». Derartige Aussagen werden in New York kaum gut ankommen.

Das ewige Drama um das FICC-Geschäft schadet der Bank auch in anderer Hinsicht: Kengeter hat über dem Aufbau des FICC-Geschäfts die Bereiche Aktien und Emissionsgeschäft vernachlässigt.

Mit Aktien stark

Die UBS war immer im Aktienbereich stark, phasenweise sogar weltweite Nummer eins. Heute ist sie auf den vierten Platz zurückgefallen. Die Unsicherheit zeigt sich an den permanenten Führungswechseln: Seit Kengeters Amtsantritt als Co-Chef der Investmentbank im Mai 2009 gab es dort fünf Chefs. Die ständige Unruhe an der Spitze hat es dem Derivatehändler Kweku Adoboli sicher nicht erschwert, die Kontrollen zu umgehen.

Ständige Rochaden gab es auch an der Spitze des dritten Bereichs, der Investment Banking Division IBD, in der die Bank das M&A- und Emissionsgeschäft betreibt. Weil hier langjährige Kundenbeziehungen zählen, ist das dreimalige Auswechseln der Leitung in 30 Monaten besonders fatal. Die UBS liegt in diesem Geschäft noch auf dem zehnten Rang.

Doch diese Geschäfte sind von der Restrukturierung kaum betroffen. Sie binden zusammen auch nach den neuen Richtlinien nur ein Zehntel des UBS-Kapitals. Die UBS wird sich wieder auf das Aktiengeschäft konzentrieren. Gut für Ermotti: Er ist in diesem Bereich gross geworden und sieht das Fixed-Income-Geschäft seit Mitte der neunziger Jahre als Blase, die geplatzt ist. Sein Vorteil: Mike Stewart, den neuen Aktienchef, der nach der Entlassung der Verantwortlichen für den Zwei-Milliarden-Verlust das Geschäft übernommen hat, kennt er gut. Er hat ihn bei Merrill Lynch 2002 eingestellt.

Einen Vertrauten in einer Schlüsselposition hat er also.

Dirk Schütz
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