Welches Bild hat man in Polen von der Schweiz?

Ulrich Schwendimann: Man hat das Cliché vom Land mit Schokolade, Uhren und Banken.

Ein sehr traditionelles Bild.

Schwendimann: Ja, sehr viele Polen, vor allem jene, die noch nie in der Schweiz waren, haben den Eindruck, dass die Schweiz ein abgeschlossenes Land ist, zu dem Aussenstehende praktisch keinen Zutritt haben. Aber das ist nur die eine Seite.

Welches ist die andere Seite?

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Schwendimann: Es ist das Bild einer Schweiz, die in der polnischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts eine positive Rolle als Hort der Freiheit, der Offenheit und der Hilfsbereitschaft spielt.

Was sind die Gründe?

Schwendimann: Immer wieder hat die Schweiz polnische Flüchtlinge aufgenommen. Als Polen im 19. Jahrhundert als Staat nicht existierte, war im Schloss Rapperswil die polnische Nationalbibliothek untergebracht. Heute noch erinnert das Polen-Museum an diese Tatsache. Ein anderer symbolischer Ort ist Solothurn, wo Tadeusz Kosciuszko, der Anführer des Aufstands von 1793, seine letzten Lebensjahre verbrachte. Schliesslich ist bis heute in Polen die Erinnerung wach an die Internierung von 12000 Soldaten einer polnischen Schützendivision während des Zweiten Weltkriegs. Ich kenne viele Leute in Polen, die dafür dankbar sind, weil sie ohne diese Internierung ihres Vaters nicht auf der Welt wären. Für diese Menschen ist das Bild der Schweiz völlig intakt.

Gibt es schweizerische Werte, die in Polen besonders geschätzt werden?

Schwendimann: Das hängt mit Banken und Uhren zusammen: Qualität, Zuverlässigkeit, Diskretion und Redlichkeit. Schweizer Firmen, die sich hier niederlassen wollen, profitieren von dieser Einschätzung.

In welcher Hinsicht?

Schwendimann: Niemand kauft ein Schweizer Produkt, weil es ein Schweizer Produkt ist. Aber der Verweis auf die schweizerische Herkunft hilft beim Marketing, sei es bei der Kontaktanbahnung oder später. Aber gerade im geschichtsbewussten Polen ist Sympathie auch eine Funktion der Geschichte. Es wirkt sich jetzt positiv aus, dass die Schweiz dank ihrer Neutralität nie Gewalt gegen andere Völker und Staaten ausgeübt hat. Das ist im Fall von Polen wichtig, weil dieses Land Gewalt von allen Nachbarn erfahren hat.

Bedeutet das: Ein Schweizer Unternehmen, das in Polen Fuss fassen will, kann mit einem positiven Umfeld rechnen?

Schwendimann: Ja. Das kann man sicher sagen. Es handelt sich allerdings um einen weichen Faktor, der sich nur schwer quantifizieren lässt. In Gesprächen stelle ich auch immer wieder ein Bedauern darüber fest, dass die Schweiz in Polen relativ wenig präsent ist. Das heisst doch nichts anderes, als dass sie hier ein sehr grosses Sympathiepotenzial besitzt, zu dem sie Sorge tragen müsste.

Steht am 25. September dieser gute Ruf auf dem Spiel?

Schwendimann: Unbedingt. Wegen seiner symbolischen Bedeutung wäre ein Nein verhängnisvoll. Denn Polen, aber auch Ungarn, Tschechien und die übrigen neuen EU-Länder nähmen ein Nein sehr persönlich.

Können Sie das erklären?

Schwendimann: Alle diese Länder wissen aus eigener Erfahrung, was Unfreiheit bedeutet. Sie mussten ihre Freiheit unter vielen Opfern hart erkämpfen. Ich erinnere an den Ungarn-Aufstand von 1956, an den Prager Frühling von 1968 oder die Solidarno«sÿc-Bewegung von 1980.

... deren Helden auch in der Schweiz gefeiert wurden ...

Schwendimann: ... was das Bild einer für Freiheit einstehenden Schweiz nochmals verstärkte. Auch die Flüchtlinge aus diesen Ländern, die die kommunistischen Diktaturen herausgefordert hatten, wurden in der Schweiz ja herzlich aufgenommen. Die neuen mitteleuropäischen Länder fühlten sich immer als Teil Europas. Die Zugehörigkeit zum Ostblock war künstlich und nur durch Waffengewalt entstanden. Für die Mitgliedschaft in der EU waren sie auch bereit, einen schmerzvollen Weg mit Reformen zu gehen, die man in Westeuropa niemandem zutrauen würde.

Warum haben sie das auf sich genommen?

Schwendimann: Das Ziel des EU-Beitritts stand nach der Wende im polnischen politischen Mainstream nie zur Debatte und wurde übrigens auch schnell von den Postkommunisten übernommen. Nicht nur aus wirtschaftlichem Kalkül eines Landes, das einen grossen Nachholbedarf hat. Der EU-Beitritt am 1. Mai 2004 war dann so etwas wie eine offizielle Bestätigung der Wiedervereinigung mit Europa. Gerade in Polen ist dieses Bewusstsein sehr stark vorhanden. Wenn nun die Schweizer die erweiterte Personenfreizügigkeit ablehnen, ist das ein Affront, der wie eine Ohrfeige wirken muss. Die Personenfreizügigkeit mit den bisherigen EU-Ländern hat die Schweiz ja offensichtlich nicht gestört. Indem sie jetzt Nein sagt, bedeutet das, dass sie Polen, Tschechien und Ungarn ganz klar als Europäer zweiter Klasse betrachtet und behandelt.

Was würde das konkret bedeuten?

Schwendimann: Ich gehe davon aus, dass in den Medien vor allem über die symbolische Bedeutung des Neins diskutiert wird. Und das könnte zur Folge haben, dass statt der Schweiz als Land mit Schokolade, Uhren und Banken eine Schweiz ins Bewusstsein dringt, die den Polen gesagt hat, sie seien die schlechteren Europäer als etwa die Franzosen.

Schadet das Schweizer Firmen, wenn sie in Polen Partner suchen?

Schwendimann: Sicher, auch wenn es schwer zu beziffern ist. Wie Personen haben auch Länder und Staaten einen Ruf, der für den geschäftlichen Erfolg relevant ist. Was die Schweiz in den vergangenen 200 Jahren langsam aufgebaut hat, könnte sie auf einen Schlag mutwillig zerstören. Der Ruf ist eine langfristige Investition: Es ist ja nicht so, dass sich am Tag nach der Abstimmung bei einem Nein alles verändern würde. Vielmehr machten sich die negativen Folgen schleichend und nachhaltig bemerkbar.



Der Brückenbauer: Steckbrief

Name: Ulrich Schwendimann

Funktion: Geschäftsführer der Polnisch-Schweizerischen Industrie- und Handelskammer

Alter: 36

Wohnort: Warschau

Familie: Verheiratet, ein Sohn

Ausbildung: Studium Slawistik und Betriebswirtschaft

Handelskammer

Die privat finanzierte Polnisch-Schweizerische Industrie- und Handelskammer ist die Interessenvertretung der Schweizer Firmen in Polen. Sie zählt 85 Mitglieder.

Dossier Landwirtschaft

Das Agrarabkommen der Schweiz mit der EU ermöglicht dank Zollabbau und Beseitigung nicht tarifärer Handelshemmnisse seit 2002 einen vereinfachten Export für landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Milchprodukte, Obst und Gemüse. Für den Käse wird ab 1. Juni 2007 Freihandel eingeführt. Die bisherigen schrittweisen Erleichterungen im Rahmen der Bilateralen I haben zu einem erheblichen Mehrexport von Käse in die EU geführt. Der Export legte 2004 um 7,3% (in Tonnen gerechnet) zu, während die Importe schrumpften. Der Exportanteil an der Schweizer Käseproduktion beträgt 33%. Davon geht der Grossteil von 80% in die EU.

Dossier technische Handelshemmnisse

«Seit dem Abkommen über technische Handelshemmnisse können unsere Firmen auf die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen für ihre Produkte zählen», sagt Johann Schneider-Ammann, Präsident des Verbandes der Maschinenindustrie (Swissmem). Ohne diese Erleichterungen für die Geschäfte in der EU käme es nicht nur zu Zusatzkosten und Zeitverlusten, die Schweizer Firmen wären zudem gegenüber europäischen Mitbewerbern nicht mehr konkurrenzfähig. Dasselbe gilt für die Anerkennung von Herstellkontrollen in der Pharmazie.

Dossier Luftverkehr

Die Aktie der SAirGroup stürzte 1998 ab, als die Verhandlungen über das Luftverkehrsabkommen ins Stocken gerieten. Streitpunkt war die so gennante 5. und 7. Freiheit, die Schweizer Airlines erlauben, von der Schweiz über ein EU-Land in ein anderes zu fliegen, oder ohne Verbindung zur Schweiz zwischen den EU-Ländern zu geschäften. Dank diesen Freiheiten hat Swiss heute einen annähernd gleichen Zugang zum europäischen Luftverkehr wie in der EU ansässige Airlines. «Hätten wir das nicht, müssten wir mit jedem Land bilaterale Verträge abschliessen, was den Marktzugang bedeutend erschwerte», sagt ein Swiss-Sprecher.