Vor sechs Jahren war er der Buhmann der Nation. Hans Peter Fagagnini, damals SBB-Generaldirektor und heute CEO des Aarauer Speditionsunternehmens Hangartner, erinnert sich: «Als wir 1996 Cargo Domizil an Private veräusserten, protestierten die Gewerkschaften lautstark und forderten meinen Rücktritt. Heute ist man froh, dass man damals so und nicht anders entschieden hat. Zum einen sind die SBB einen Kostenfaktor von jährlich 100 Mio Fr. los und zum andern hat sich das privatisierte Cargo Domizil dank der Umstrukturierung in der Zwischenzeit zu einem erfolgreichen Unternehmen entwickelt.»

Das Spiel wiederholt sich, allerdings mit anderen Namen. Heute fordern Linke und Gewerkschaften den Rücktritt des Postministers Moritz Leuenberger und der gesamten Postführung von CEO Ulrich Gygi bis Verwaltungsratspräsident Anton Menth. Seitdem die Post bekannt gegeben hat, sie wolle in den nächsten vier bis acht Jahren die Verarbeitung der Briefpost vollständig umstrukturieren, rumort es im ganzen Land. Der angekündigte Abbau von 3500 Vollzeitstellen treibt Betroffene auf die Strasse und Kantonsregierungen auf die Palme, die SP fordert gar eine Sondersession. Nach dem «Rentenklau» ist die Rede vom «Postraub» («Works»).

Solche Aufwallungen können nicht überraschen in einem Land, in dem der Briefträger, der Bahnhofvorstand und das «Fröilein» vom Auskunftsdienst 111 zum identitätsstiftenden Personal zählen, das den nationalen Zusammenhalt garantiert. Wer Bestehendes radikal in Frage stellt, um sich, wie die Post, für den kommenden Wettbewerb zu rüsten, riskiert den Aufschrei von Basel bis Chiasso, von Romanshorn bis Genf.

Die aktuelle Debatte um die geplante Umstrukturierung der Briefzentren ist exemplarisch. Denn sie zeigt nach den Worten von SP-Nationalrat Peter Vollmer, Direktor des Verbandes der öffentlichen Verkehrsunternehmen (VöV), mit aller Deutlichkeit auf, «dass sich die staatlichen oder staatsnahen Infrastrukturunternehmen wie SBB, Swisscom und Post angesichts des Umfelds immer auf einer Gratwanderung befinden». Auf der einen Seite locke die populäre Versuchung, das Bestehende zu erhalten, auf der andern zwingen die veränderten Bedürfnisse des Marktes zu Umstrukturierungen und Anpassungen, «die mitunter schmerzhaft sein können».

*SBB und Swisscom im Vorteil*

Dabei sind sich Linke wie Rechte einig, dass gerade bei der Post der Umstrukturierungsprozess besonders schwierig ist. FDP-Nationalrat Georges Theiler macht darauf aufmerksam, dass die Post 1998 beim Start als selbstständiges Unternehmen härtere Bedingungen vorgefunden habe als ihre «Schwestern» Swisscom und SBB. Denn schon damals zeichnete sich ab, dass die traditionelle Briefpost infolge sinkenden Volumens künftig nicht mehr jene Erträge abwerfen würde, mit denen sie die Verluste der Paketpost ausgleichen konnte. Für Swisscom und SBB waren die Perspektiven rosiger: Zum einen galt die Telekommunikation als die Zukunftsbranche schlechthin. Zum andern hatte die schweizerische Verkehrspolitik mit ihrem Verlagerungsprinzip im Wettbewerb zwischen Schiene und Strasse klar zugunsten der Bahn Partei ergriffen und mit Milliarden-Investitionen (Neat, Bahn 2000) sowie Lenkungsmassnahmen (Schwerverkehrsabgabe) das Marktpotenzial für den öffentlichen Verkehr zumindest theoretisch massiv erhöht.

Bei SBB und Swisscom hat sich die Debatte um das richtige Verhältnis zwischen Markt und Staat beruhigt. Dass die eidgenössischen Räte die Leistungsvereinbarung zwischen dem Bund und den SBB und den Zahlungsrahmen von 6,025 Mrd Fr. für 2003 bis 2006 einstimmig genehmigt haben, ist mit ein Beleg für diese Normalisierung. Enthalten ist nämlich darin ein Betrag von 1,9 Mrd Fr. zur Sicherung der ungedeckten Kosten des Betriebs der Infrastruktur, mithin eine bei Liberalisierern sonst verpönte Bundessubvention. Dass eine leistungsfähige Bahn verschiedenste Bedürfnisse abdeckt – Wirtschaft, Verkehr, Mobilität, Umwelt, Energie Raumentwicklung – hat sich mittlerweile in den meisten Köpfen festgesetzt.

Bei der Post hingegen bricht der Streit um die strategische Ausrichtung immer wieder von neuem auf. Egal, ob die Post die Paketsortierung auf drei Zentren konzentriert, das Poststellennetz reorganisiert oder, wie derzeit aktuell, die Verarbeitung der Briefpost umstrukturiert, immer geht es um die Frage des Service public auf der einen und die soziale Verantwortung der Post als Arbeitgeberin auf der anderen Seite (siehe auch Interview mit Bundesrat Couchepin).

Die Rahmenbedingungen sind klar: Gemäss strategischen Zielen des Bundesrates für 2002 bis 2005 muss die Post «den Universaldienst in allen Landesteilen nach gleichen Grundsätzen, in guter Qualität und zu angemessenen Preisen anbieten».

Zudem erwartet die Landesregierung von ihr, dass sie «wettbewerbsfähig, kundenorientiert und eigenwirtschaftlich ist und sich auf mögliche Liberalisierungsschritte auf dem Postmarkt vorbereitet». Im Bereich des Service public und im Wettbewerbsbereich muss sie «ein angemessenes Ergebnis erzielen und eine Steigerung des Unternehmenswertes erreichen», wobei vergleichbare in- und ausländische Unternehmen als Messgrösse dienen.

*Post hat bisher noch nicht gross abgebaut*

Die Post ist, überspitzt formuliert, weitgehend selber für ihre Zukunft und ihr Überleben in einem immer härter werdenden Konkurrenzkampf verantwortlich. Ab 2004 fällt das Monopol für Pakete, ab 2006 gilt das Monopol bei den Briefen nur noch bis 100 Gramm. Zwar ist es gemäss Postorganisationsgesetz möglich, dass die Post für den Universaldienst aus Konzessionsgebühren, die bei Konkurrenten aus dem freien Wettbewerb erhoben werden, entschädigt wird. Gegen solche Konzessionsgebühren gibt es jedoch massiven Widerstand aus Wirtschaftskreisen. Noch offen ist die Teilfinanzierung der Kosten für ein flächendeckendes Poststellennetz durch den Bund. Der Nationalrat hat zwar ein solches Vorhaben abgelehnt, dank einer Gewerkschafts- und Konsumenten-Initiative werden sich aber die Bürgerinnen und Bürger in zwei Jahren zur Frage äussern können, ob sie eine «Post für alle» wollen.

Eine verführerische Frage für ein Land, das die Post als ein Stück seiner selbst betrachtet. Da spielen denn Fakten kaum eine Rolle mehr: Dass etwa die Zahl der Vollstellen bei der Post seit Jahren konstant bei etwa 40 000 liegt oder der Betriebsgewinn der Briefpost – der mit den Finanzdienstleistungen zu den einträglichen Sparten gehört – 2001 im Vergleich zum Vorjahr um 32 Mio Fr. oder rund 28% gesunken ist.

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