Europa ist in Sachen Lieferung, Übertragung und Transiten von Strom de facto schon seit vielen Jahren zusammengerückt. Bereits in den 1950er Jahren gründeten einige europäische Länder (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und die Schweiz) die Vereinigung zur Koordination der Erzeugung und des Transports elektrischer Energie (UCPTE). Sie richteten einen Synchronbetrieb der beteiligten Verbundunternehmen ein und sind mit dem so geschaffenen Verbundnetz in der Lage, kurzfristig Strom an beteiligte Länder zu liefern. Die Schweiz exportiert Überschüsse an Wasserkraftenergie und ist seit den 70er Jahren Stromdrehscheibe insbesondere im Hinblick auf das Strom-Importland Italien.

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Verbindliche EU-Richtlinien

Seit der Öffnung des EU-Strommarktes ist prinzipiell auch das wirtschaftlich interessante Endkundengeschäft für Schweizer Energieversorgungsunternehmen offen allerdings nur bei einer Mindestöffnung des eigenen Strommarktes, die durch eine Zusatzregelung zum Freihandelsabkommen möglich wird. Zur Energiemarkt-Liberalisierung gehört auch das Unbundling der diskriminierungsfreie Netzzugang und die Schaffung einer unabhängigen Regulierungsbehörde , wie die EU-Energierichtlinien dies vorsehen.

Ziel dieser Richtlinien ist die Transparenz der Strom- und Gasmärkte. Nach marktwirtschaftlichen Prinzipien soll sich jeder Kunde seinen Energieversorger EU-weit auswählen können. Bei den derzeit noch vertikal integrierten Versorgungsunternehmen wird das Übertragungs- und Verteilnetz als natürliches Monopol vom Wettbewerbsbereich Vertrieb getrennt. Quersubventionen sollen verhindert werden; zudem verlangt die EU-Richtlinie den diskriminierungsfreien Zugang aller Energieversorgungsunternehmen zu den Strom- und Gasnetzen.

EU sieht dreistufige Entflechtung vor

Die EU sieht eine dreistufige Entflechtung vor: Ab Mitte 2005 sollen die Netzbereiche als unabhängige, separate Abteilungen mit je eigenem Mitarbeiterstab sowie finanzieller Eigenständigkeit geführt werden (operationelle Entflechtung). Die Informationen über Kundendaten sind von den Abteilungen vertraulich zu behandeln bzw. diskriminierungsfrei anderen Anbietern zur Verfügung zu stellen (informationelle Entflechtung).

Wahrscheinlich ab 1. Juni 2006 sind die Unternehmen verpflichtet, Abschlüsse nach den Vorschriften der Kapitalgesellschaften zu erstellen und getrennte Konten für den Netzbereich zu führen (buchhalterische Entflechtung). Die Bilanzen des Netzbereichs dienen dann als Grundlage für die Berechnung der Netznutzungsentgelte durch die Regulierungsbehörde. Zum 1. Juli 2007 wird das Unbundling durch eine unabhängige Rechtsform des Netzbereichs komplettiert (rechtliche Entflechtung), wobei derselbe Geschäftsführer beiden Bereichen vorstehen darf. Unternehmen mit weniger als 100000 Kunden können von der letzten Stufe freigestellt werden.

Durch die konsequente Trennung von Netz und Vertrieb will die EU-Richtlinie erreichen, dass der Vertrieb von Wettbewerbern nicht schlechter gestellt ist als der eigene. Mittelfristig will man den europäischen Markt harmonisieren, um langfristig Europas Energiemärkte konkurrenzfähig zu machen. Strom und Gas auf dem Markt das Ziel ist eine sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente, umweltverträgliche und leistungsgebundene Energieversorgung der Allgemeinheit. Die EU-Energiekommission verspricht sich von der Marktregulierung sinkende Netznutzungsentgelte und damit sinkende Strom- und Gaspreise. Doch so einfach ist die «schöne neue Energiewelt» nicht: Deutschlands Energiewirtschaft ist nach der schnellen und vollständigen Marktöffnung im Jahr 1998 und damit einhergehendem Preisverfall bei einer Marktkonsolidierungsphase angekommen. Die niedrigeren Marktpreise wurden durch Rationalisierungsmassnahmen, Fusionen und Kooperationen aufgefangen. Diese Tendenz hält an, zumal das Stromgeschäft nur schwach gesteigert werden kann.

Die Unsicherheit über die gesetzliche Ausgestaltung der EU-Richtlinien und der Regulierungsbehörde führte zum Stau bei Ersatzinvestitionen. Dies ist umso alarmierender, als durch Überalterung von konventionellen Kraftwerken und den geplanten Atomenergieausstieg im Jahr 2020 zwischen 40000 und 50000 Megawatt (MW) Kraftwerksleistung fehlen werden fast die Hälfte der Gesamtleistung deutscher Kraftwerke. Einige Versorgungsunternehmen haben ihr Portfolio durch die Sparten Gas, Wasser und Abwasser erweitert, um so ihr Know-how in neue Unternehmensbereiche einbringen und rentabel arbeiten zu können. Nach politischem Streit bei der Umsetzung der Regulierung steht nun die Ausgestaltung des neuen Energiewirtschaftsgesetzes in Deutschland fest und gibt den Energieversorgungsunternehmen zumindest Sicherheit bei der Planung neuer Investitionen und der Handhabung der Netznutzungsentgelte.

Unbundling als grosse Hürde

Das Unbundling stellt jedoch eine Hürde dar, die nur mit grossen Anstrengungen überwunden werden kann. Bislang bestehende Synergien können nicht mehr ausgeschöpft werden; die Duplizierung von Prozessen und Bereichen stellt einen hohen systemtechnischen und administrativen Aufwand dar. Die Energiewirtschaft rechnet mit einmaligen Investitionen von 1,5% des Umsatzes und laufenden Kosten bis zu 0,2% des Umsatzes für die unterschiedlichen Massnahmen im Zuge des Unbundling. Die Umgestaltung der getrennten Bereiche Netz und Vertrieb wurde bislang unterschätzt; man befürchtet sogar ein «Stadtwerke-Sterben» im Zusammenhang mit den Kosten für Unbundling und Regulierungsmanagement.

Autonomer Servicebereich

Um die Synergieeffekte ihrer Betriebsbereiche nicht vollständig zu verlieren, denken Energieunternehmen über eine Neuordnung nach, in der Vertrieb und Netz getrennt, gemeinsame Aufgaben jedoch EU-konform einem gemeinsamen eigenständigen Servicebereich (Shared Service) zugeordnet werden könnten. Dieser Bereich wäre dann beispielsweise für Abrechnung, Personal- und Materialwirtschaft sowie IT zuständig; neue Softwarelösungen würden den freien Informationsfluss zwischen getrennten Unternehmensbereichen verhindern.

Der «Shared Service» würde Dienstleistungen für Netz, Vertrieb und Dritte erbringen, dabei Synergien nutzen und Mitarbeiter in neuen Dienstleistungsbereichen beschäftigen. Dabei soll der «Shared Service» als unabhängige Firma marktgerechte Verrechnungspreise fordern und eine angemessene Rendite erzielen. Vertriebs- und Netzbereich wiederum arbeiten als freier Wettbewerber auf dem Markt bzw. reguliertes Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Bedingungen: Der Vertriebsbereich zielt maximale Ergebnisse an, der regulierte Netzbereich soll nur die zulässige Rendite erwirtschaften.

Umnau gemäss EU-Vorgaben

Der Umbau der Energiewirtschaft nach den Vorgaben der EU läuft, und die Branche ist dabei, sich auf die geänderten Rahmenbedingungen einzustellen. Die Unternehmensphilosophie im Netzbereich wird sich im Hinblick auf Rentabilitätsforderungen ändern, die Netznutzungsentgelte werden unter Druck geraten und im Durchschnitt sinken. Das Absinken der Energiepreise als Ganzes ist dagegen eher unwahrscheinlich, da Staatslasten und Regulierungsauflagen keine Preissenkungen zulassen werden. Dennoch ist alles «im Fluss»: In einer Stadtwerkestudie des Beratungsunternehmens Ernst & Young von 2004 haben sich 67 der 100 befragten Führungskräfte von Energieversorgungsunternehmen für eine Umsetzungsstrategie ausgesprochen, die das Unbundling so spät wie möglich umsetzt. 93% wollten zudem nur die gesetzlichen Mindestanforderungen umsetzen.

Wer jedoch versucht, den Wandel auszubremsen, verpasst womöglich Chancen, die sich mit der Umgestaltung bieten, beispielsweise das Vorantreiben neuer Kooperationsformen und Servicelösungen. Jetzt ist die Zeit zum Handeln.

Martin Steiger, CEO, Energiedienst Holding AG, Laufenburg.



Unbundling: Notwendige Entflechtung

Laut der EU-Richtlinie vom 26. Juni 2003 müssen alle Energieversorgungsunternehmen in den Mitgliedsländern Erzeugung, Übertragung und Verteilung von Energie getrennt vom Vertrieb halten. Unbundling zu Deutsch: Entflechtung wird im Zuge des internationalen Stromhandels künftig auch in den schweizerischen Energieversorgungsunternehmen Einzug halten. Von dieser umfassenden organisatorischen und gesellschaftsrechtlichen Massnahme werden tief greifende Auswirkungen auf die Unternehmen ausgehen: Personelle und materielle Ressourcen werden gebunden, neue Konzepte entwickelt und erprobt werden müssen. Unbundling wird Unternehmen und Märkte vollständig verändern. Wer den Wandel vorbereitet und rechtzeitig umsetzt, wird sich eine bessere Marktposition sichern können. (Stei)