BILANZ: Herr Professor Flamholtz, ist Ihr Verständnis von erfolgreichem Management eher unamerikanisch?

Eric Flamholtz: Keineswegs, wie kommen Sie darauf?

Seit Ihrem Bestseller «Von der Gründer-Firma zum Profi-Unternehmen» predigen Sie mit grosser Überzeugung die Planbarkeit unternehmerischen Erfolges.

Was sollte daran nicht amerikanisch sein?

Nun, wir Europäer bewundern ja immer die relative Unbefangenheit und Experimentierfreude, mit der Ihre Landsleute im Business zur Sache gehen. Dieses Prinzip von Trial and Error …

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… nach dem Motto: «Lass uns mal ein Geschäftsmodell auf den Markt werfen und sehen, was passiert» …

… ja, und da kommen Sie mit Ihrer «Pyramid of Organizational Development» und sechs präzise definierten Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Unternehmen daher. Klingt ausgesprochen methodisch!

(lacht) Um nicht zu sagen, pedantisch! Nein, ich will keineswegs unternehmerische Risikobereitschaft limitieren. Perfektionismus kann im Geschäftsleben zuweilen tatsächlich hinderlich sein. Die Tatsache, dass Unternehmer bereit sind, ständig neues Terrain zu betreten, ist der unerlässliche Treibsatz jeder Volkswirtschaft.

Aber?

Gerade Jungunternehmer stehen den vielfältigen Anforderungen, die ein rasches Firmenwachstum mit sich bringt, oft unvorbereitet gegenüber. Ihr unkonventioneller und zwangloser Führungsstil, der ja die Grundlage des Anfangserfolgs ist, führt mit zunehmendem Alter der Firmen zu immer grösseren Problemen: Ihre innerbetriebliche Organisation ist schlicht überfordert.

Eine ganze Generation gescheiterter Dotcoms lässt herzlich grüssen!

Richtig, deshalb ist gerade in dieser Phase die Risikobegrenzung das Gebot der Stunde. Es geht sozusagen um das Erwachsenwerden der gesamten Organisation. Mein Job als Berater ist es, erfolgreiche Unternehmen beim Sprung auf die nächste Ebene zu begleiten. Erfahrungsgemäss befinden sich die Entrepreneure in dieser Phase in einem «High», sind süchtig nach ihrem eigenen Adrenalin. Ich zeige ihnen, wie sie das Risiko verringern und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit erhöhen können, auch weiter erfolgreich zu sein. Die Lektionen gescheiterter Imperien aus der Geschichte sind hier oft der beste Ratgeber.

Die uralte Melange aus Gier und Selbstüberschätzung?

Ja, der amerikanische Historiker Paul Kennedy hat 1987 – also zwei Jahre vor dem Zerfall der Sowjetunion – ein sehr interessantes Buch über den Aufstieg und Fall grosser Mächte geschrieben. Ich habe gelernt, dass viele Lehren aus der Geschichte auch auf unser Geschäftsleben heute übertragbar sind.

Ein Beispiel, bitte!

Nehmen Sie etwa das Scheitern Hannibals. Es stellt sich doch die Frage, warum die Karthager der Ausbreitung Roms in aller Seelenruhe zusahen, diese sogar mit Wohlwollen betrachteten? Der Hochmut der Karthager ist nicht verwunderlich, da ihre Stadt innerhalb kurzer Zeit erblüht war. Rom hingegen war nicht viel mehr als eine Ansammlung von Lehmhütten.

Und im Business?

Ich erinnere immer gern an Osbourne Computers, ein Unternehmen, das in den achtziger Jahren mit atemberaubender Geschwindigkeit wuchs. Im zweiten Jahr ihres Bestehens verkaufte Osbourne Rechner im Wert von 100 Millionen Dollar, die Topmanager fühlten sich unschlagbar. Im dritten Jahr waren sie pleite. Die sind an ihrem eigenen Erfolg erstickt.

Sie haben die Kaffeehauskette Starbucks ab Mitte der neunziger Jahre in einer entscheidenden Wachstumsphase als Berater begleitet. Der Gründer Howard Schultz und seine Crew hätten ja schon damals allen Grund gehabt, ein wenig besoffen am eigenen Erfolg zu sein. Was hat Starbucks dann besser gemacht als andere?

Zunächst einmal war das Konzept brillant. Das Märchen hatte ja bereits 1987 begonnen, als Schultz von einer Italienreise zurückkam und begeistert war von der Popularität der Espressobars in Mailand. Gemeinsam mit lokalen Investoren übernahm er den Kaffeeausschank von Starbucks in Seattle und eröffnete im gleichen Jahr bereits siebzehn weitere Filialen.

Der Laden war also kein echter Start-up mehr, als Sie an Bord kamen?

Nicht wirklich, das Unternehmen war Mitte der Neunziger an einer Sprungstelle angelangt. Starbucks hatte damals 165 Filialen, und die Zahl stieg rasant.

Wo genau lag der Leidensdruck?

Der damalige Chief Executive Orin Smith hatte irgendwann mein Buch «Growing Pains» gelesen. Er rief mich an und sagte: «Eric, die Firma, die Sie da beschrieben haben, sind wir!» Orin (Smith), Howard (Schultz) und der Handelschef Howard Behar waren zu diesem Zeitpunkt wohl überfordert. Jeder war ein Genie, aber sie hatten derart viel um die Ohren, dass ihr Tag nicht mehr über genug Stunden verfügte – ein typisches Symptom für eine kritische Unternehmensphase. Sie wussten, dass sie da einen Tiger beim Schwanz hielten – und waren sich im Klaren darüber, wie gefährlich das ist.

Konnte das Trio nicht delegieren?

Das war sicher ein Faktor. Dazu kam mangelhaftes Zeitmanagement. Sie haben versucht, das Wachstum mit der Brechstange zu erzwingen. Und Starbucks war in bestimmten Bereichen unterentwickelt.

Die Kaffeeröstereien etwa verfügten über kein eigenes Systemmanagement. Die Organisationsstruktur glich der einer kleinen Firma, zum Beispiel hatten sie noch keinen eigenen Chief Operating Officer.

Zu welchen Massnahmen haben Sie Starbucks geraten?

Wir haben passende Management-Instrumente entwickelt und implementiert: Planungs-, Personal- und Controlling-Systeme etwa. Die Führung hatte keine konkrete Vorstellung über die Zahl der Filialen, die hinzukommen sollten. Da hiess es nur: «So viele wie möglich.» Heute denkt das Management konkret in Ein-, Fünf- und Zehnjahrschritten. Wir haben Behar bei der Planung der internationalen Expansion unterstützt und zwei Joint Ventures begleitet, eines mit der Pepsi-Cola Company zu Entwicklung und Vertrieb trinkfertiger, auf Kaffee basierender Produkte, das andere mit Dreyer’s Grand Ice Cream zur Markteinführung von Starbucks-Kaffeeeiscreme. Diversifikation um das Thema Kaffee herum, das war unsere Devise.

Howard Schultz hat immer gesagt, Starbucks sei ein «Beziehungs-Unternehmen, das nebenher Kaffee verkauft».

Ja, Starbucks war von Anfang an eine Kulturrevolution, getarnt als Expansion einer Company. Das brachte eine Veränderung des Kaffeegenusses in den USA mit sich. Der ultimative Triumph wäre es natürlich, den Italienern in Mailand Starbucks-Kaffee zu verkaufen! Wissen Sie was: Ich glaube, die schaffen das!

Müssiggang war nie der American Way of Life, schrieb Phillipe Lopates in seinem Essay «A Passion for Waiting» über das Rumsitzen in Kaffeehäusern.

Starbucks ist alles andere als ein Ort des Nichtstuns! Leute hacken hier in ihre Laptops, quatschen am Natel, spielen mit ihren Kindern. Niemand tut hier nichts! Starbucks ist alles, was nicht Kaffeehaus ist: Büro, Seminarraum und sogar Kindergarten. Während traditionelle Kaffeehäuser eher Melancholie verströmen, ist Starbucks voller Aufbruch.

Spiegelt sich diese Dynamik auch in der Unternehmenskultur wider?

Aber sicher! Der Starbucks-typische «Wohfühlfaktor» schliesst auch die Mitarbeiter ein. Zudem ist Starbucks eine Firma des Fair Trade, mit exzellenten Arbeitsbedingungen für Behinderte und mit enormen Spenden für die Aids-Forschung. Für uns als Berater bedeutet «Unternehmenskultur» aber vor allem ein informelles Controlling-System, das die seismografischen Schwingungen in der Organisation erfasst.

Wirklich? Uns scheint, als sei in der Managementtheorie kaum ein Thema in den letzten Jahrzehnten so überstrapaziert worden wie das der Unternehmenskultur.

Viele Konzernlenker haben das Thema missbraucht, um eigene strategische Fehlentscheidungen zu kaschieren. Nach dem Motto: «Die Unternehmenskultur war nicht reif für meine Visionen.» Tatsache ist, dass jedes Unternehmen, jede Organisation eine Unternehmenskultur besitzt ...

... über die viele reden, wobei kaum einer sagen kann, was damit eigentlich genau gemeint ist.

Deshalb hat das Thema einen geheimnisvollen Beiklang: wenig greifbar, doch allgegenwärtig, latent bedrohlich und zugleich faszinierend, voller «heimlicher Spielregeln». Versuche, die Kultur eines Unternehmens zu beschreiben, gibt es wie Sand am Meer – von den Konzernen in Hochglanz gedruckt. Handelt es sich hierbei um die tatsächliche – gelebte – Unternehmenskultur? In den meisten Fällen sicherlich nicht.

Liegt das nicht zumeist an der Leitfigur? Die Walt Disney Company etwa galt ja jahrzehntelang als Musterbeispiel einer unternehmerischen Spasskultur. Unter dem immer autokratischer regierenden Chef Michael Eisner sollen die Mitarbeiter zuletzt aber nur wenig zu lachen gehabt haben.

Natürlich prägt der Chief Executive massgeblich das Klima in einem Unternehmen. Wenn er es nicht schafft, soziale Kompetenz auszustrahlen und seinen Führungskreis auf ein konstruktives Miteinander einzuschwören, wird auch Disneyland schnell zum Horror-Trip.

Woran liegt es, dass festgeschriebene und gelebte Kultur meist so weit voneinander entfernt sind?

Hierfür gibt es viele Ursachen. Die wohl häufigste ist, dass sich die Mitarbeiter nicht mit der festgeschriebenen Vision identifizieren können. Sie sind zwar die Betroffenen, sind jedoch nicht zu Beteiligten gemacht geworden. Binden Sie Ihre Mitarbeiter in den Findungsprozess mit ein. Lassen Sie sie daran teilhaben. Dann steigt die Chance der Identifikation immens. Je stärker die Vision, je mehr sie alle mitreisst, umso erfolgreicher wird das Unternehmen sein.

Aber die Veränderungsprozesse – gerade im Bereich der Kultur – zeigen doch ernüchternde Ergebnisse: Verschiedene Quellen weisen darauf hin, dass bis zu 70 Prozent aller Veränderungsvorhaben in Organisationen scheitern.

Das Change Management muss sich der Verantwortung stellen, eine Perspektive für das Unternehmen zu entwickeln – und eine für die Beschäftigten. «Veränderung» ist in den letzten Jahren aber leider viel zu oft mit rigorosen Kosteneinsparungen gleichgesetzt worden, was eine Kultur der Angst und der Widerstände zur Folge hatte.

Wenn Ihnen das Wasser bis zum Halse steht, bleibt rigides Downsizing à la McKinsey wohl die einzige Alternative.

Das ist lächerlich. Ein Verwaltungsrat, der sich berufen fühlt, eine namhafte Consultingfirma anzuheuern, um Massenentlassung zu legitimieren, inszeniert einen üblen Mummenschanz. Jeder weiss das – und trotzdem machen alle mit.

Warum ist das so?

Weil man sich hinter einer der mächtigsten Institutionen der Wirtschaftswelt natürlich prima verstecken kann. Die kommen mit ihren blauen Blöcken und predigen ihr Vaterunser vom Outsourcen, Straffen, Stellenstreichen.

Zumindest die Rechnung für die Berater lässt sich locker begleichen – durch eingesparte Personalkosten.

Ja, das ist immer die betriebswirtschaftliche Argumentation. Aber welche Auswirkungen hat das auf die Moral der Angestellten, wenn die schlauen Berater durch die Flure stolzieren? Wenn sie das Topmanagement wissen lassen, was es zu tun und zu lassen hat? Das ist nicht mein Geschäft ...

... war aber in den vergangenen fünf Jahren überall en vogue ...

... und hat die Zunft der Management-Berater schwer in Verruf gebracht. Ich gehe nicht zu Mövenpick oder Starbucks oder Amgen und sage denen, wie ihre Strategie auszusehen hat! Ich vermittle ihnen unsere Philosophie, die Umsetzung muss vom Topmanagement kommen. Und an das Mantra vom Gesundschrumpfen glaube ich sowieso nicht.

Was wäre die Alternative?

Ich habe vor einigen Jahren mit Simon Properties aus Indianapolis zusammengearbeitet, dem damals zweitgrössten Betreiber von Shopping Malls in Amerika. Die standen mit dem Rücken zur Wand – und hätten nach konventioneller Lehre radikal downsizen müssen. Wir haben mit dem Management lange verschiedene Strategien erörtert. Am Ende fusionierten sie mit dem Marktführer DeBartolo Realty Corporation zur Simon Property Group und übernahmen die Leitung im Gesamtkonzern. Simon managt heute 297 Shopping Malls in Nordamerika und hält Beteiligungen an 40 Einkaufszentren in Europa. Mit einer Rosskur nach dem Geschmack von McKinsey wären sie wohl kaum dahin gekommen, wo sie heute stehen.