Es gibt Firmen, die präsentieren den Anlegern ungeschminkte Zahlen. Reingewinne und Umsätze, wie sie von den Revisoren abgesegnet wurden. Und dann gibt es Firmen, die es mehr mit Sängerin Lady Gaga oder Promi-Sternchen Kim Kardashian haben. Da wird erst eine Grundierung aufgetragen, bis man von den Fältchen und roten Stellen nichts mehr sieht. Und dann pinseln und pudern die Finanzexperten so lange, bis alles aussieht, wie es soll. Das nennt sich dann «bereinigtes» Ergebnis.

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«Der Trend geht klar dahin, dass Unternehmen ihre Erfolgszahlen normalisieren», sagt Roger Kunz, Partner beim Revisionsunternehmen PWC. «Man geht davon aus, dass 80 bis 90 Prozent der Firmen Zahlen im ungeprüften Teil ihres Geschäftsberichts zu ihren Gunsten darstellen.» Direkt verantwortlich sind die Revisoren nur für die Zahlen auf den wenigen, meist farbig gedruckten Seiten der dicken Geschäftsberichte. Alles andere ist Erläuterung.

Bereinigt wird nur nach oben

Offiziell geht es den Firmen beim Bereinigen darum, Ereignisse aus den Zahlen zu rechnen, die einmaligen Charakter haben und damit vom operativen Geschäft ablenken. Zum Beispiel Bussen aus Strafverfahren oder Restrukturierungskosten. Faktisch wird meist aber einfach das Ergebnis aufgehübscht.

Bereinigt wird nur nach oben. Das belegt der Blick auf die Jahresabschlüsse der SMI-Firmen: Von den zwanzig Unternehmen setzen elf in der Kommunikation mehr oder weniger stark auf bereinigte Kennzahlen. Insgesamt rechneten sie rund 12,5 Milliarden Franken Kosten aus ihren Büchern. Die entsprechenden Gewinne wurden so um einen Fünftel aufgerundet.

Banken polieren besonders gern

Besonders gut in der Disziplin des Schönrechnens sind die Banken. Die Credit Suisse machte aus ihrem Vorsteuerverlust von 2,2 Milliarden Franken einen «bereinigten» Gewinn von 615 Millionen Franken, indem sie unter anderem Rückstellungen für Rechtsfälle von 2,4 Milliarden Franken rausrechnete. Auch die UBS rundet gerne auf. Den Vorsteuergewinn verschönerte sie um 1,3 Milliarden Franken. Das summiert sich: Mehr als 7 Milliarden Franken hat die UBS in den letzten fünf Jahren zur Ausnahme erklärt. Bei der Credit Suisse waren es sogar 14 Milliarden. Und stets waren die bereinigten Gewinne höher als die offiziellen.

Hinzu kommt: Die Unternehmen publizieren bei der jährlichen Präsentation für Journalisten und Analysten zwar ausführliche Zusammenstellungen und Grafiken. Den von den Revisoren geprüften Jahresbericht reichen sie aber meist erst Wochen später nach. Zeitgleich publizierten dieses Jahr nur sechs von zwanzig SMI-Firmen. «Wir erleben es mitunter, dass Firmen Umsatzzahlen publizieren, die wir noch gar nicht geprüft haben», sagt PWC-Partner Kunz. Was intern abläuft, wenn der Revisor dann an den Zahlen zweifelt, kann man sich nur vorstellen.

Reale Folgen

Man könnte die Finanzkosmetik als Nebelpetarde abtun, hätte sie nicht reale Folgen. «Problematisch wird es dort, wo ungeprüfte Zahlen als Basis für die Entlöhung dienen», sagt Kunz. So verwenden viele Unternehmen bereinigte Werte bei der Berechnug der Boni. Das Rausrechnen von Einmaleffekten ist für das Management dann bares Geld wert.

Ein zweites Problem nennt Vincent Papa, Experte bei der Finanzanalysten-Vereinigung CFA Institute: «Firmenbewertungen setzen oft bei Kennzahlen wie dem Free Cashflow oder dem Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) an. Wenn diese Zahlen nicht vergleichbar sind, kommt es zu falschen Bewertungen.» Analysten seien daher gezwungen, bereinigte Zahlen erneut zu bereinigen.

Ebit nicht standardisiert

Was viele nicht wissen: Auch bekannte Kennzahlen wie der Free Cashflow oder der Ebit sind nicht standardisiert und können von den Unternehmen frei ausgelegt werden. Weder im Schweizer Obligationenrecht noch in den internationalen Buchhaltungsstandards sind sie definiert.

Die detaillierte Überprüfung dieser Kennzahlen durch eine Revisionsgesellschaft geschieht höchstens freiwillig. «Bei den offiziellen Erfolgszahlen gibt es einen genau definierten Prozess, wie diese erstellt und geprüft werden», sagt PWC-Mann Kunz. «Nicht standardisierte Zahlen werden hingegen oft einfach noch so erstellt und können von uns nur infrage gestellt werden, wenn sie das Bild sehr stark verzerren.»

Grosse Freiheit für Schweizer Firmen

Daran stören sich auch die Finanzmarktregulatoren. Die amerikanische Börsenaufsicht hat bereits nach der Jahrtausendwende Regeln zur Kommunikation nicht standardisierter Zahlen erlassen, weil es viele Unternehmen im damaligen Boom der New Economy nicht ganz so genau nahmen. Auch andere Länder sind mit Regelwerken zur Finanzkosmetik nachgezogen. Nicht so die Schweiz.

Erst jetzt handelt auch die Börsenbetreiberin SIX Group. Ende Mai hat sie eine erste Vernehmlassung über «Alternative Performance Measures» gestartet. Darin will sie den kotierten Gesellschaften mehr «Klarheit und Transparenz» vorschreiben. Für den CFA-Experten Papa ist das zwar ein richtiger Schritt. «Der Schweizer Entwurf geht aber deutlich weniger weit als die Regelwerke anderer Finanzplätze.» So gebe es kaum Vorschriften zur Vergleichbarkeit und zur Herleitung der alternativen Kennzahlen.

Goodwill-Test als Mittel zur Gewinnsteuerung

Stark gefordert sind auch die Wirtschaftsprüfer. 
Oft wird in den Unternehmen schon gesalbt und gepudert, bevor der Revisor ins Haus kommt. Trotz immer detaillierteren Vorschriften in den Buchführungsstandards haben die Firmen immer noch grosse Spielräume. Etwa bei der Bestimmung des Goodwill, der entsteht, wenn Firmen zu Preisen gekauft werden, die über ihren Buchwerten liegen. Die Werthaltigkeit des Goodwill muss jährlich geprüft werden. «Doch der basiert grösstenteils auf Annahmen. Und die kann man steuern», sagt Kunz. Ähnlich ist es mit Verlustvorträgen, die als Assets aktiviert werden können.

Am Ende bleibe dem Anleger nichts anderes übrig, als alle Zahlen in einen Kontext zu stellen und einem Plausibilitätstest zu unterziehen, sagt CFA-Experte Papa. Erst wenn Lady Gaga neben der ungeschminkten Alicia Keys steht, fällt einem richtig auf, wie viel Make-up sie eigentlich trägt.

Michael Heim Handelszeitung
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