Am 22. September 2004 gilt es ernst. Dann öffnet sich am Zivilgericht Bern-Laupen der Vorhang zu einem Prozess, der die Aufsehen erregende Fehde zwischen dem Verwaltungsrat und dem Konzernchef der Valora neu aufrollt. Verwaltungsratspräsident Peter Küpfer hatte CEO Reto Hartmann am 11. Juni 2003 auf Grund einer «gravierenden Kompetenzüberschreitung» fristlos entlassen. Worauf Hartmann seinen früheren Arbeitgeber auf ungerechtfertigte fristlose Entlassung, falsche Anschuldigung der Kompetenzüberschreitung und Rufschädigung einklagte. Seine Forderung beläuft sich auf 1,5 Millionen Franken.

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Eine ganze Staffel namhafter Anwälte durchforstete seit dem Eklat Protokolle, Briefe und E-Mails aus der Chefetage. Valora hat offiziell die Berner Fürsprecher Friedli & Schnidrig engagiert, aber im Hintergrund weibeln obendrein die Anwälte der potenten Zürcher Wirtschaftskanzlei Homburger. Reto Hartmann vertraut auf die Dienste des alteingesessenen Berner Büros Krneta & Partner seines Protektors und langjährigen Valora-Präsidenten Georg Krneta. Eine heisse Konstellation: Der Berner Fürsprech war Vorgänger von Küpfer als VR-Präsident und Vater der unbändigen Expansionsstrategie der Berner Firma. Das hochkarätige juristische Aufgebot zeigt, dass es um mehr geht als nur um Geld: Küpfer verteidigt seinen Ruf als unerschrockener Verwaltungsratspräsident, Hartmann kämpft um seine Glaubwürdigkeit als Manager eines Milliardenunternehmens.

Die beiden Hauptakteure, die einander seit der Entlassung aus dem Weg gehen, könnten unterschiedlicher nicht sein: hier Peter Küpfer, als gelernter Bücherexperte und ehemaliger Banker ein Mann der Zahlen, der zwar ein Auftreten hat wie ein Hollywoodstar, aber das Glamourgetümmel konsequent meidet; dort Reto Hartmann, feuriger Jurist mit Marketinglaufbahn und ein begnadeter und mediengewandter Verkäufer seiner selbst. Gemeinsam ist beiden, was sie ins Verhängnis stürzte: unbändiger Machtwille.

Der Satz, den Peter Küpfer im Geschäftsbericht 2004 geschrieben hat, wirkt wie eine Befreiung: «Übertriebene Wachstumspläne werden durch einen gesunden Realismus und hohe Glaubwürdigkeit abgelöst.» Endlich ist Küpfer, seit 1998 im Valora-Verwaltungsrat, seit 1999 dessen Präsident, seinen CEO losgeworden, der sich mit dem Schlachtruf «Jedes Jahr ein Land» einer Expansionsstrategie verschrieben hatte, die dem Verwaltungsrat wachsendes Bauchgrimmen bereitete. Kaum war Reto Hartmann weg, präsentierten die Strategen eine grundlegende Neuausrichtung des Konzerns.

«Fokussierung», «Konzentration» und «Kernkompetenzen» heissen die neuen Schlagworte in den PowerPoint-Präsentationen der Berner Valora-Zentrale. Traditionsreiche Geschäfte wie die Merkur-Confiserien oder die Messer-Dolmetsch-Filialen wurden verkauft, die Expansion gestoppt. «Ich habe im Gegensatz zu unserem früheren CEO nicht den Anspruch, eine Drei- oder Vier-Millionen-Gruppe zu führen», sagt Küpfer, «wir dürfen nur den Fehler nicht machen, wieder in der Breite zu akquirieren.» Und wie immer, wenn ein Konzernchef geschasst wird, begann erst einmal das grosse Reinemachen: Küpfer packte Sonderabschreibungen und Sonderkosten in den Geschäftsabschluss 2003, sodass am Ende ein Verlust von 106 Millionen Franken resultierte – der erste in der Firmengeschichte. Die grosszügigen Abschreiber ermöglichen es Küpfer, quasi vorbeugend künftige Gewinne anzuhäufen.

Frauendoppel im Valora-Verwaltungsrat
«Die vielen Kioskfrauen repräsentieren»


Valora ist das einzige börsenkotierte Unternehmen mit zwei Verwaltungsrätinnen. Beatrice Tschanz vermittelte dem Frauenfreund Küpfer die Norwegerin de Mora.


Verwaltungsräte börsenkotierter Unternehmen sind im grossen Ganzen frauenfreie Zonen. Mit der Berufung einer Frau ist das Thema für den Verwaltungsratspräsidenten meist erledigt, auch wenn sich alle wundern, dass die einzige Verwaltungsrätin als Alibifrau verhöhnt wird. Während Multis wie Kuoni, Nestlé oder Novartis je eine Frau im Spitzengremium haben, gibt es hier zu Lande nur ein kotiertes Unternehmen mit zwei Verwaltungsrätinnen: die Berner Valora. Seit 2000 sitzt Beatrice Tschanz Kramel in dem Gremium, seit 2003 zudem Hanne de Mora.


Das Beispiel widerlegt den Verdacht, Frauen seien zur professionellen Beziehungspflege unfähig. Als Peter Küpfer 1999 Präsident des Verwaltungsrats wurde, bat er Rosmarie Michel, die abtretende Valora-Verwaltungsrätin, um eine Liste mit Kandidatinnen. «Unser Personal besteht zur grossen Mehrheit aus Frauen», sagt Küpfer. «Frauen müssen daher im Verwaltungsrat unbedingt vertreten sein.» Ein Jahr später wurde die Kommunikationsberaterin Beatrice Tschanz Kramel gewählt. Ihr Antrieb war es, «die Neuausrichtung dieses schweizerischen Traditionsunternehmens mitzugestalten und die vielen Kioskfrauen im Verwaltungsrat zu repräsentieren». Geht es um die Kommunikation wichtiger Entscheide, wirkt Tschanz massgeblich im Hintergrund, so etwa bei der Entlassung von Konzernchef Reto Hartmann. Dass die Hintergründe dieser Rochade auf den Tisch gelegt wurden, trägt ihre Handschrift.


Als Küpfer bei der nächsten Vakanz abermals eine Frau für das sechsköpfige Gremium suchte, bat er Beatrice Tschanz um Vorschläge. Sie stellte ihm Hanne de Mora vor, die als Partnerin von McKinsey unter anderem für die Swissair arbeitete, wo sie Tschanz kennen lernte. Im Jahr 2002 gründete de Mora A-Connect, ein Netzwerk für selbstständige Spezialisten und Freelancer, das sie heute präsidiert. «Nach zwei Verwaltungsratssitzen in Norwegen wollte ich unbedingt ein Mandat in der Schweiz», sagt die Norwegerin. «In der Schweiz hat der Kiosk einen viel höheren Stellenwert als in vielen anderen Ländern. Er ist ein kleiner Supermarkt.»


Während Tschanz im Nomination Committee sitzt, präsidiert de Mora seit Ende April 2004 das Audit Committee, das die Rechnungslegung und die interne Kontrolle überwacht. De Mora, auch noch Verwaltungsrätin der norwegischen Gesellschaften Telenor und Tomra, will es neben ihrer Hauptaufgabe bei A-Connect bei drei Mandaten bewenden lassen. Auch Tschanz fühlt sich mit drei Mandaten in gemeinnützigen Organisationen neben Valora ausgelastet. Allerdings: «Wenn ein interessanter Vorschlag kommt, würde ich schon die Brille aufsetzen», meint sie spitzbübisch.

Das wichtigste Kerngeschäft sind noch immer die Kioske. Die muffig gewordenen Verkaufsstellen sollen einen frischen Auftritt erhalten. «Wir müssen die Macht unserer Standorte an meist prominenter Lage noch besser nutzen», sagt Küpfer. Das unter dem Namen «K-Outfit» laufende Projekt ist weit gediehen. An Pilotbetrieben in Winterthur und Luzern, die unter dem Namen «K-Spot» liefen, fanden in den letzten Monaten Kundenumfragen statt. Dabei wurde klar: Der Name «Kiosk» ist beliebt und verankert. Er bleibt darum bestehen. Dafür werden der optische Auftritt, die Auslagen und das Warensortiment aller 1200 Kioske bis Ende 2005 komplett erneuert.

Küpfer hat nicht nur die Bilanz ausgemistet, sondern auch das Management neu besetzt. In der Chefetage von Valora folgte Rochade auf Rochade. Nicht immer hatte das Nomination Committee des Verwaltungsrats, dem neben Küpfer auch Fritz Ammann, Konzernleitungsvorsitzender der deutschen Spar, sowie Kommunikationsberaterin Beatrice Tschanz angehören, eine glückliche Hand. Eben wurde der Posten des Finanzchefs zum vierten Mal in vier Jahren neu besetzt. Dabei war Markus Voegeli, der Neue, bereits früher einmal evaluiert worden. In der Valora-Konzernleitung hat nun mit Konzernchef Peter Wüst, Finanzchef Markus Voegeli und Ruedi Keller, Leiter Management Services, eine Seilschaft der ehemaligen Swissair-Tochterfirma Nuance Einzug gehalten. Was viele Mitarbeiter beunruhigt, hält Küpfer für «normale personelle Wechsel in Zeiten des Umbruchs».

Als Küpfer, ehemals Chef der Bank Leu, Mitte der Neunzigerjahre seine zweite Karriere als Profiverwaltungsrat in Angriff nahm, erstellte er eine «persönliche Due Diligence». Anhand einer zehn Punkte umfassenden Checkliste trifft er die Auswahl für seine Mandate, neben Valora auch noch Swisscom, Holcim oder Bank Bär. An erster Stelle steht: Vertrauen in die Führungsorgane. «Ich muss mich mit den Personen wohl fühlen, sonst nehme ich das Mandat nicht an», kommentiert Küpfer.

Er sagt aber auch: «In der Auswahl von Führungspersonen passieren die meisten Fehler. Bestes Beispiel ist der frühere Chef von Valora, von dem ich mich zu lange blenden liess.» Die Scharmützel begannen, als Hartmann auf Geheiss des Verwaltungsrats den defizitären Matratzen- und Bettenhersteller Slumberland verkaufen musste. Die ehemalige Führungsequipe um Georg Krneta hatte sich Diversifikation auf die Fahne geschrieben, sich dabei aber arg verzettelt. Einmal könnten die Matratzen das schlechte Ergebnis der Kioske auffangen, dann wieder umgekehrt, so das Kalkül. Küpfer sah keinen Sinn darin, er wollte fokussieren. Das Vorhaben vertrug sich schlecht mit Hartmanns Ansinnen, Valora in die nächste Dimension zu katapultieren.

Das Projekt hiess «Quantensprung». Als die Bon appétit Group Ende 2002 in Schwierigkeiten geriet, trug Hartmann die Idee in den Verwaltungsrat, das Unternehmen zu kaufen, um Valora hinter Migros und Coop als drittgrösste Kraft im Schweizer Detailhandel zu positionieren. Gleichzeitig wurde über eine mögliche Übernahme von Valora durch die Investment-Gesellschaft GPI des in Brasilien lebenden Schweizers Jorge Lemann diskutiert. Während Küpfer dem Bon-appétit-Deal von Anfang an skeptisch begegnete, war er einer Übernahme durch GPI gegenüber nicht abgeneigt.

Am 15. Januar 2003 tagt die Konzernleitung im bernischen Schönenried. Küpfer betont, der Kauf von Bon appétit und die Übernahme durch GPI schlössen sich gegenseitig aus, worauf sich die Konzernleitung für die Option Bon appétit ausspricht. Am 20. Januar orientiert Hartmann Küpfer telefonisch angeblich darüber, dass die Idee mit GPI aufgegeben worden sei und dass er Lemann bereits orientiert habe. Hartmann bestreitet dies in einem Interview mit dem «Bund». Richtig sei, er habe gesagt, Bon appétit habe erste Priorität und die Übernahme durch GPI zweite. Welche Version stimmt, wird der Richter ermessen müssen.

Am 29. Januar 2003 lehnt der Verwaltungsrat das Projekt «Quantensprung» einstimmig ab. «Die Komplexität von Bon appétit war zu hoch, um eine Integration in die schon zu breit aufgestellte Valora ohne grosse Reibungsverluste zu ermöglichen. Das Management wäre überfordert gewesen», so Küpfer. Je öfter er vom Verwaltungsrat zurückgepfiffen wird, desto höher steigt Hartmanns Frustpegel. Küpfer wird ihm lästig – und umgekehrt. Mit einem neuen Hauptaktionär wie GPI könnte er endlich die Fesseln sprengen: So hat es sich Hartmann vermutlich ausgemalt. Zudem hätte er gemäss Valora-Verwaltungsrsat mit dem GPI-Modell in ein paar Jahren ein paar Dutzend Millionen Franken verdienen können.

Im Anschluss an die Verwaltungsratssitzung vom 26. März 2003 ermahnt Küpfer seinen CEO in einem Brief, seine Kräfte zu konzentrieren, um die Ertragskraft des Konzerns zu steigern und die Kosten abzubauen. Hartmann wird aufgefordert, ein Fokussierungsprogramm zu erarbeiten. Er beklagt sich im Gegenzug in einem Brief über mangelnde Wertschätzung.

Nach und nach sammeln sich beim Verwaltungsrat Hinweise, dass Hartmann die Verhandlungen mit GPI – Codename «Vintage» – klandestin weiterverfolgt und vertrauliche Daten herausgegeben habe. Hartmann bestreitet dies. Gemäss seiner Darstellung ist der Verwaltungsrat über die Verhandlungen orientiert gewesen, auch habe er nur öffentlich zugängliches Material weitergegeben. Am Abend des 10. Juni 2003 entscheidet der Verwaltungsrat einstimmig, den Konzernchef fristlos zu entlassen.

Am Mittwoch, 11. Juni 2003, überbringt Küpfer die Nachricht. Liefen die Gespräche bis anhin in einem gemässigten Ton, hören Beteiligte jetzt erstmals laute Stimmen. Für neun Uhr morgens ist eine Konzernleitungssitzung anberaumt. Peter Küpfer bittet Reto Hartmann in einen separaten Raum, während Verwaltungsrätin Beatrice Tschanz das restliche Management zum Warten anhält. Hartmann wird aus dem Haus geführt, die Lohnzahlung gestoppt. Dann orientiert Küpfer die Konzernleitung über Hartmanns Entlassung und stellt die Neubesetzung des Postens für halb zwei am Nachmittag in Aussicht. Peter Wüst sollte ihn übernehmen, als besonnener Schaffer ein Gegenpol zu seinem jovialen Vorgänger. Küpfer räumt ihm genau zwei Stunden Zeit ein, den Job anzunehmen. Als Wüst Ja sagt, hat er noch nicht einmal drei Monate in der Valora-Konzernleitung gearbeitet.

Während Reto Hartmann per Anfang Jahr eine neue Stelle als Konzernchef der Feintool angetreten hat – Georg Krneta sitzt dort im Verwaltungsrat –, ist bei Valora statt Kaufrausch Knochenarbeit angesagt. «Wir müssen die interne Kontrolle verbessern, Produktepalette und Warenlager optimieren und am Debitorenmanagement arbeiten», so Küpfer. Auch denkt er bereits über eine weitere Fokussierungsrunde nach. Anfang 1999 hat Valora die in der Fotoentwicklung tätige Fotolabo erworben – in der Hoffnung, die Kioske könnten dereinst Fotodienstleistungen anbieten. Doch die Bereitschaft der Schweizer, ihre Filme zum Kiosk zu bringen, hält sich in Grenzen, sie gehen damit lieber zur Post. Sobald Valora Imaging aus dem Jammertal auftaucht, will Küpfer über den Verkauf der Sparte zu einem angemessenen Preis nachdenken. Die vor kurzem bekannt gegebene Partnerschaft mit der belgischen Spector ist ein erster Schritt dorthin.

Der gelernte Bücherexperte Peter Küpfer ist kein Mann der Sentimentalitäten. Das Abstossen von Unternehmensteilen gehorcht für ihn einer ökonomischen Notwendigkeit. Mit dem Verkauf des Herzstücks Merkur Anfang 2004 hat Valora vollends mit der Vergangenheit gebrochen. Der Traditionsname Merkur existiert nur noch ausserhalb des Unternehmens. Dabei hätte Merkur nächstes Jahr den hundertsten Geburtstag feiern können. Aber Küpfer hat weder eine Festschrift in Auftrag gegeben, noch ist eine Jubiläumsfeier geplant.