Einmal im Jahr, wenn sich Nestlé-Präsident Rainer E. Gut als Gastgeber die Ehre gibt, kommen sie alle. Von A wie Alder, Jens, Swisscom-Konzernchef, bis O wie Ospel, Marcel, UBS-Präsident, pilgern sie nach La Tour-de-Peilz an den Gestaden des Genfersees. Dort, im internationalen Trainings- und Konferenzzentrum der Nestlé, einem schmucken Hohenzollernbau aus dem Jahre 1851, findet immer Anfang Jahr und hinter verschlossenen Türen die so genannte «Rive-Reine-Tagung» statt, das wohl bedeutendste informelle Wirtschaftstreffen des Landes.

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An dieser Tagung findet sich alljährlich ein Grossteil von Corporate Switzerland rund um einen Gastgeber ein, der um den Wert seines hochkarätigen Beziehungsgeflechts weiss. Ein Netz, das aktiviert werden kann, wenn Not am Mann ist. Wie etwa im Herbst 2001, als nach dem Grounding der Swissair innert Tagen Millionensummen zur Gründung einer neuen Airline zu beschaffen waren.

An der Rive-Reine-Tagung 2003 ist über die Hälfte des Aktienkapitals der von Wirtschaft und öffentlicher Hand mit rund 2,7 Milliarden Franken rekapitalisierten Schweizer Fluggesellschaft vertreten; die Teilnehmerliste liest sich, als wäre es ein Auszug des Aktionärsregisters der Swiss: Swisscom-Chef Alder ist mit 100 Millionen Franken engagiert und damit nach den Banken UBS und Credit Suisse Group einer der grösseren Geldgeber, die bei der Rettungsaktion akquiriert worden sind. Auch Nestlé-CEO Peter Brabeck-Letmathe, Swiss-Re-Präsident Peter Forstmoser, Roche-Chef Franz Humer und Peter Eckert, Topmanager der Zurich Financial Services, haben über ihre Unternehmen 100 Millionen Franken gestiftet. Anwesend am Spitzentreffen am Lac Léman sind auch UBS-Präsident Marcel Ospel, der seinerzeit 178,5 Millionen Franken investiert hat, CS-Präsident Walter Kielholz, mit 171,5 Millionen beteiligt, und Bundespräsident Pascal Couchepin – der Bund hat sich mit 600 Millionen Franken engagiert. Auch kleinere Geldgeber sitzen mit am Tisch: etwa Thomas Knecht, McKinsey-Chef Schweiz (Swiss-Investment: drei Millionen Franken), André Kudelski, Chef der gleichnamigen Westschweizer Firma (zehn Millionen), Edipresse-Verleger Pierre Lamunière (eine halbe Million) oder Ciba-Präsident Armin Meyer (zehn Millionen). Die illustre Schar diskutiert im Nestlé-Konferenzzentrum das Thema «Handlungsspielräume und Konsequenzen eines Alleingangs» in der EU-Frage. «Überraschend harmonisch», konstatiert Gastgeber Rainer E. Gut in seinem Schlusswort, sei die Rive-Reine-Tagung 2003 verlaufen.

Ganz anders die Stimmung 14 Monate zuvor, am 14. Oktober 2001, einem Sonntag, als eine ähnlich hochkarätige Runde sich auf Einladung des Bundesrates auf dem Landsitz Lohn in Kehrsatz bei Bern trifft. Es herrscht Aufruhr im Land. Knapp zwei Wochen nach dem Grounding der Swissair liegen die Nerven blank, und als die Bundesräte Joseph Deiss, Moritz Leuenberger und Kaspar Villiger die helvetische Wirtschaftsprominenz ins Bernische laden, geht es um die Frage: Wie weiter nach dem Crash der Swissair? Finanzminister Villiger eröffnet die Sitzung. Er wählt dramatische Worte: «Seit dem Zweiten Weltkrieg», so der Magistrat, habe es kein grösseres Problem mehr gegeben, das Politik und Wirtschaft gemeinsam zu lösen hätten.

Dann tritt André Dosé auf und skizziert einen ersten Businessplan, den der Crossair-Chef zusammen mit Airline-Spezialisten von UBS und Credit Suisse und Swissair-Experten innert Tagen und in nächtlicher Fronarbeit ausgearbeitet hatte. «Szenarios für eine Schweizer Fluggesellschaft Phoenix Plus» lautet der Titel der Präsentation. Dosé verkündet, der Bund und die beteiligten Banken hätten sich im Grundsatz auf einen Neuanfang des Luftverkehrs auf der Basis der Crossair geeinigt. Der Crossair-Chef nennt auch jene Zahl, welche die anwesenden Wirtschaftsführer am meisten interessiert: Rund 2,7 Milliarden Franken Eigenkapital brauche eine neue Fluggesellschaft, wenn sie flügge werden wolle, eine Summe, die Bund, Kantone und Privatwirtschaft zu berappen hätten.

Darauf herrscht im Landsitz zu Lohn betretenes Schweigen. Mit einer derart horrenden Summe hat wohl keiner der Anwesenden gerechnet. Marcel Ospel, Präsident der UBS, ebenso wie der ebenfalls anwesende CS-Chef und ehemalige Swissair-VR Lukas Mühlemann, hat geglaubt, mit dem Kauf der Crossair hätte die Wirtschaft ihre Schuldigkeit getan; andere, wie Roche-Chef Franz Humer oder Rück-Präsident Peter Forstmoser hüllen sich in Schweigen.

Es ist Rainer E. Gut, der das Eis bricht, und er zeigt sich gar nicht erbaut über das von André Dosé präsentierte Szenario. Der Nestlé-Präsident fragt, ob nicht ein grösseres Langstreckennetz kostengünstig betrieben werden könne. Und Bundesrat Moritz Leuenberger zeigt sich skeptisch, ob der Plan Phoenix Plus überhaupt finanzierbar sei. Die Stimmung ist ernüchtert im Lohn, und die potenziellen Geldgeber von Bund und Wirtschaft bitten Dosé und seine Crew, angesichts der Dramatik der Situation den Raum zu verlassen – nun will man unter sich sein. Das anschliessende Nachtessen findet in einer eher unterkühlten Atmosphäre statt, und das mit gutem Grund: Bundesrat Kaspar Villiger hat den Standpunkt der Regierung unmissverständlich klar gemacht. Angesichts der Dimension der Problematik sei der Bund bereit, Gelder zu sprechen – freilich nur dann, wenn die Privatwirtschaft ihren Teil dazu beitrage. Damit ist allen Anwesenden bewusst, dass nur noch zwei Wege offen stehen: Entweder sind alle bereit, ihre Schatullen zu öffnen, oder aber die einst stolze Schweizer Aviatik steht vor dem Aus. Doch keiner der Wirtschaftsführer gibt an diesem 14. Oktober 2001 ein positives Commitment ab.

In den folgenden Tagen laufen die Drähte heiss zwischen den Wirtschaftskapitänen, die am Meeting im Lohn teilgenommen haben. Kielholz, Humer, Brabeck oder auch Novartis-Chef Daniel Vasella, alle sind sie skeptisch und stehen vor der Frage, ob sie ein millionenschweres Investment in eine neue Schweizer Airline vor ihren Aktionären verantworten können. Und sie müssen sich auch die Frage stellen, was für Folgen ein Abseitsstehen für das Image ihrer Unternehmen in der Öffentlichkeit haben könnte. Es ist noch nicht vergessen, wie die UBS nach dem Grounding der Swissair zur Zielscheibe der Kritik geworden war, weil die Bank in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und auf Grund schlechter eigener Kommunikation für den Flottenstillstand verantwortlich gemacht wurde. Um wie viel stärker würden die emotionalen Wogen hochgehen, wenn nun die Totalliquidation der Schweizer Luftfahrt Realität würde? Ein unkalkulierbares Risiko, dessen sich gerade auch Rainer E. Gut bewusst ist. Er ist sich wohl auch im Klaren darüber, dass seine eigene Person als ehemaliger Swissair-Verwaltungsrat in diesem Fall in den Strudel der Emotionen hineingerissen werden könnte. Und er ist Patriot genug, um zu spüren, dass ein derartiges Fiasko des helvetischen Wirtschaftsestablishments um fast jeden Preis verhindert werden muss – zu gross wäre der Imageverlust gerade auch im Ausland.

Rainer E. Gut greift zum Telefon. Er wählt die Nummer von Walter Haefner, Besitzer der Amag Automobil- & Motoren AG. Gut und Haefner kennen sich persönlich; seit Jahren unterhält der grösste Autoimporteur des Landes geschäftliche Beziehungen zur Credit Suisse. Die beiden Männer treffen sich in Haefners Büro, und natürlich dreht sich das Gespräch zwischen Bankier und Unternehmer um den Zustand der nationalen Airline und den Kapitalbedarf, den die Gründung einer neuen Fluggesellschaft nach sich zöge. Nach dem Zwiegespräch hat Rainer E. Gut eine erste Zusage eines Grossinvestors in der Tasche. Die Swissair, sagt Haefner, könne man nicht einfach beerdigen. Deshalb sei er bereit, 200 Millionen Franken in eine neue Schweizer Fluggesellschaft zu investieren. Gut ist sehr erfreut über diese spontane Zusage, er ahnt, dass damit das Eis gebrochen ist.

Vier Tage nach dem ersten Spitzentreffen im Lohn, als sich eine hochrangige Runde aus Politik und Wirtschaft am 18. Oktober ein zweites Mal im bundesrätlichen Landsitz in Kehrsatz versammelt, ist die Stimmung etwas entspannter. Neben den drei Bundesräten Couchepin, Leuenberger und Villiger nehmen auch Peter Siegenthaler, Chef der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Walter Kielholz, Swiss Re, Daniel Vasella, Novartis, Marcel Ospel, UBS, Andreas Schmid, Präsident Unique, Franz Humer, Roche, und Rainer E. Gut, Nestlé, an dem Treffen teil. Obwohl es Gut persönlich war, der vom Autoimporteur die Zusage erhielt, ist es nicht er, sondern einer der Bundesräte, der die Anwesenden darüber ins Bild setzt, dass mit Walter Haefner ein erster Investor gefunden ist.

Auch bei den Wirtschaftskapitänen hat sich in den vergangenen Tagen ein Meinungsumschwung angebahnt. Beim Chemiekonzern Novartis etwa ist eine finanzielle Beteiligung an einer neuen Airline vor Tagen noch kategorisch ausgeschlossen worden; inzwischen wissen die Basler, dass sie nicht abseits stehen können, wenn der stärkste Befürworter in der Person von Kaspar Villiger im Bundesrat sitzt. Vergleichbar ist die Situation bei Nestlé: Konzernchef Peter Brabeck-Letmathe findet lange Zeit gar keinen Gefallen an der Vorstellung, einige Millionen in Flugzeuge zu investieren. Auch er fügt sich, als sich die Angelegenheit zu einer nationalen Aktion auswächst. Ein ähnlicher, zart patriotisch eingefärbter Pragmatismus verbreitet sich nun unter den weiteren Wirtschaftskapitänen, die im Lohn am Tisch sitzen. Mit Ausnahme des UBS-Chefs – die Bank ist bereits bei der Crossair als Grossinvestor engagiert – geben die Vertreter der Grossunternehmen ein mündliches Commitment ab, sich mit je 100 Millionen Franken bei einer neuen Airline zu engagieren. Euphorie bricht deshalb in der bundesrätlichen Dépendance freilich keine aus, dazu ist die Lage zu ernst. Aber immerhin hat sich damit so etwas wie ein harter Kern von Topmanagern herausgebildet, die kraft ihrer Autorität und der von ihnen repräsentierten Unternehmen gewillt sind, die Finanzierung einer neuen Schweizer Fluggesellschaft an die Hand zu nehmen. Fast scheint es, als hätte sich angesichts der dramatischen Notlage eine Art Schicksalsgemeinschaft formiert.

Marcel Ospel, Chef der UBS, engagiert sich nun sogar persönlich, um das Projekt Phoenix Plus voranzubringen. Er nimmt von dem anwesenden Kern der zukünftigen Aktionäre einer neuen Schweizer Airline den Auftrag entgegen, innert weniger Tage Corporate-Governance-Grundsätze der geplanten neuen Fluggesellschaft zu Papier zu bringen: die Anforderungen an die zukünftigen Verwaltungsräte, die Grösse des Gremiums, einen nach Branchen zusammengesetzten Vorschlag für den Aufsichtsrat sowie eine Liste von potenziellen Kadidaten für das Präsidium, das Vizepräsidium und die weiteren Mitglieder. Marcel Ospel hat damit eine heikle Aufgabe übernommen, und er agiert dabei pragmatisch. Der Basler hatte vor Tagen Hand geboten, zusammen mit der CS eine Mehrheit des Crossair-Aktienpakets aus dem schlingernden Swissair-Konzern herauszukaufen, und er tat dies aus einem persönlichen und aus einem professionellen Grund: Ospel ist gut befreundet mit Crossair-Gründer Moritz Suter, was seine Motivation für diesen Schritt beflügelt haben dürfte, und er ist auch Bankier genug, um zu wissen, dass dies je nach Entwicklung ein lukratives Investment werden könnte, das sich später versilbern liesse. Jetzt aber, wo sich die Grosswetterlage abermals dramatisch verändert hat, ist er Profi genug, um auf den Lauf der Dinge Einfluss zu nehmen – unabhängig von lokalen Basler Empfindlichkeiten. Er kann und will es sich nicht leisten, abseits zu stehen, wenn eine grosse Koalition aus dem helvetischen Wirtschaftsestablishment sich anschickt, eine neue interkontinentale Fluggesellschaft aus dem Boden zu stampfen. Er entscheidet gegen Basel und für die Schweiz.

Auch andere zugewandte Orte werden nun in Position gebracht. Die Schweizerische Bankiervereinigung versendet am 17. Oktober 2001 einen Brief, in dem sie sämtliche in Unterverbänden organisierten Banken – vom Kantonalbanken-Verband bis zum Verband der Auslandbanken – auffordert, sich im Verhältnis zum Bruttoertrag an einer Kapitalerhöhung der Crossair zu beteiligen; dem Schreiben ist der Businessplan Phoenix Plus beigelegt. Ein ähnliches Schreiben an seine Mitglieder verschickt auch der Spitzenverband der Wirtschaft, Economiesuisse, der vom ehemaligen Swissair-Verwaltungsrat Andres F. Leuenberger präsidiert wird.

So erfasst die Schicksalsgemeinschaft immer weitere Kreise. Im Biotop der Emotionen baut sich ein Druck auf, der Privatwirtschaft und Politik gleichermassen erfasst. Beiden geht es in erster Linie um die eine Frage: Wer ist bereit, die Rekapitalisierung der Schweizer Luftfahrt zu unterstützen, und mit welcher Summe? Den wohl heikelsten Entscheid hat dabei die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte zu fällen. Das sechsköpfige Gremium hat für einen Kredit über eine Milliarde Franken und eine Bundesbeteiligung über 600 Millionen am Aktienkapital der neuen Gesellschaft grünes Licht zu geben, und den Mitgliedern dürfte bewusst sein, dass bei einem Nein auch die Wirtschaft ihre finanziellen Zusagen zurückziehen würde.

Am 18. Oktober 2001, als sich im Lohn die Topmanager mit dem Bundesrat treffen, versammelt sich nachmittags um 13.30 Uhr auch die Finanzdelegation, um ein erstes Mal dieses heikle Geschäft zu besprechen. Die Nationalräte Erich Müller (FDP, Präsident), Felix Walker (CVP), Urs Hofmann (SP) sowie die Ständeräte Rico E. Wenger (SVP), Hans-Rudolf Merz (FDP) und Pierre Paupe (CVP) haben an diesem Tag nur ein einziges Traktandum zu besprechen: Die Finanzdelegation muss sich formell über den Verpflichtungskredit für die Übergangsfinanzierung von netto einer Milliarde Franken aussprechen. Mit diesem Entscheid ist aber auch implizit die Beteiligung an der neuen Fluggesellschaft und die Beteiligung an den Anlaufverlusten verbunden. Ganze vier Tage haben die Parlamentarier Zeit, sich zu einem Entscheid durchzuringen. Beim nächsten Treffen, am 22. Oktober 2001, einem Montag, müssen die Würfel fallen.

Grünes Licht für ein massives Investment in eine neue Airline benötigt das Projekt Phoenix Plus aber auch von den Managern der Privatwirtschaft – und als diese sich am 20. Oktober, zwei Tage vor der Deadline also, im Zürcher Hotel Dolder versammeln, um über Geld zu reden, zeigen sie einen unfreiwilligen Sinn für Symbolik. Als ab 13 Uhr am Zürichberg die Limousinen vorfahren und Gut, Mühlemann, Ospel, Kielholz, und Vasella ihren Autos entsteigen, verschwinden sie sofort in einem Sitzungszimmer mit dem hoffnungsvollen Namen «Salon vert». Und während sich vor den Türen des Sitzungszimmers Bodyguards postieren, wird drinnen bei Mineralwasser, Tee und belegten Brötchen um Millionen gefeilscht. Die hitzige Diskussion im Nobelhotel in der Limmatstadt wirft Wellen bis ins Land der aufgehenden Sonne: Dort, in einem Hotelzimmer in Tokio, ist Franz Humer per Telefon der Konferenz zugeschaltet – beim Roche-Chef ist es schon fast Mitternacht, als die Diskussion im fernen Zürich dem Höhepunkt zusteuert. Einige Topmanager haben zwar mündlich eine finanzielle Unterstützung bereits in Aussicht gestellt, doch dieses Investment reicht bei weitem nicht. Und vor allem herrscht im «Salon vert» immer noch ein gerüttelt Mass an Skepsis, ob es sinnvoll sein kann, dass Bund und Wirtschaft ein Milliardeninvestment in eine Fluggesellschaft tätigen. Für Kaspar Villiger ist dies keine Frage mehr. Der Bundesrat agiert mehr als Staatsmann denn als Finanzminister: Er will fast um jeden Preis einen massiven Stellenabbau verhindern und der Schweiz eine interkontinentale Fluggesellschaft erhalten. Für dieses Ziel kämpft er an diesem Samstagnachmittag, appelliert an die soziale Verantwortung der Anwesenden und betont die Notwendigkeit einer eigenständigen Airline für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Nach Stunden
eines harten rhetorischen Gefechts weichen sich die Fronten langsam auf. Die Frage ist nun: Wie können innert rund 48 Stunden weitere verbindliche Zusagen von Investoren gefunden werden? Villiger ist sich im Klaren: In zwei Tagen, am Montag, 22. Oktober 2001, muss die Finanzdelegation die milliardenschwere Finanzspritze an die neue Fluggesellschaft absegnen; nur dann kann der Bundesrat am gleichen Tag definitiv grünes Licht für das Investment geben. Dem Bundesrat ist bewusst, dass dieser Fahrplan nur einzuhalten ist, wenn es gelingt, die Wirtschaft im grossen Stil mit ins Boot zu holen.

Beim Spitzentreffen hoch über dem Zürichsee wird auch das Papier diskutiert, das UBS-Chef Marcel Ospel vorlegt, insbesondere das Anforderungsprofil an den zukünftigen Präsidenten des Verwaltungsrats. Und dieses ist hoch gesteckt: erfolgreicher unternehmerischer Track-Record, Erfahrung im Airline- oder airlineverwandten Geschäft, die Möglichkeit, mindestens fünfzig Prozent des Zeitbudgets für die Gesellschaft aufwenden zu können, ein Bekenntnis zu moderner Corporate Governance, die Bereitschaft zur Kooperation mit dem CEO und dem Steuerungsausschuss als Vertreter der Aktionäre, die Beherrschung einer Landessprache, aber nicht zwingend Schweizer Nationalität. Keiner im Saal widerspricht, im Gegenteil, den meisten ist bewusst, dass dem als CEO gesetzten André Dosé ein erfahrener Airliner zur Seite gestellt werden muss. Und der UBS-Chef liefert wie versprochen auch eine erste Liste von Namen, die in den vergangenen Tagen von verschiedenen Topmanagern zusätzlich alimentiert worden ist: Die Liste mit den einfachen Verwaltungsräten umfasst insgesamt 21 Namen. Zusätzlich aufgelistet sind fünf potenzielle Präsidenten – einer davon heisst Moritz Suter. Den ehemaligen KLM-Chef Pieter Bouw hat Ospel jedoch nicht auf der Liste. Das Name-Dropping des UBS-Chefs wird in der hochkarätigen Runde diskutiert, und am Ende sind die Namen von zwei weiteren möglichen Präsidenten auf der Liste. Einer freilich hat nach der samstäglichen Diskussion keine Chance mehr: Der Crossair-Gründer Moritz Suter wird von der Liste gestrichen – etliche der Investoren machen ihr finanzielles Engagement von diesem Schritt abhängig. Marcel Ospel beugt sich dem kollektiven Diktum.

Die Suche des passenden Verwaltungsrats muss hochprofessionell erfolgen, das ist allen klar. Es ist der Chefbeamte Peter Siegenthaler, neben Kaspar Villiger ein zentraler Kopf in diesen Tagen, der eine Projektorganisation präsentiert, mit der ein reibungsloser Übergang von der alten zur neuen Airline zu gewährleisten ist. Ein so genanntes Steering-Committee, ein Steuerungsausschuss, soll aus Personen aus dem innersten Kreis der Aktionäre gebildet werden. Diesen Vertretern der Geldgeber obliegt es auch, einer ausserordentlichen Generalversammlung einen neuen Verwaltungsrat vorzuschlagen. Bund und Kantone sollten in diesem Gremium ebenso Einsitz nehmen wie die beiden Grossbanken, und das Präsidium soll mit einem Exponenten der Privatwirtschaft besetzt werden. UBS und CS lehnen einen Einsitz freilich ab, sie fürchten Interessenkonflikte, und auch für das Präsidium melden sich im «Dolder» keine Scharen von Bewerbern. Ein Zurufer aus der hochkarätigen Runde meint, jetzt liege es am Bundesrat, den Kopf des Steuerungsausschusses zu bestimmen.

Das ist der Moment, da Finanzminister Villiger sein Augenpaar auf Rainer E. Gut richtet. Es gibt keinen im «Salon vert», der über ein weitläufigeres internationales Beziehungsnetz verfügt, das auch die Airline-Branche umfasst, keinen, der in der Businesswelt über eine höhere persönliche Autorität verfügt als der Nestlé-Präsident. Villiger weiss, dass Gut gegenüber dem Plan Phoenix Plus eher kritisch eingestellt ist. Er bittet ihn dennoch, dieses Amt zu übernehmen. Gut zögert. Er bittet um ein Time-out und um ein separates Meeting nur mit den Wirtschaftsführern, ohne Beteiligung der Banken und des Bundesrats. Im kleinen Kreis versucht er, noch andere Topmanager in Position zu bringen. Doch ein Daniel Vasella oder ein Walter Kielholz sind nicht zu haben – zu sehr sind sie in ihren eigenen Unternehmen engagiert. Dieser Kelch geht an Rainer E. Gut nicht vorbei.

Wenn einer ein persönliches Commitment eingeht, können andere nicht abseits stehen. Peter Siegenthaler erklärt sich bereit, für den Bund in dem Steuerungsausschuss Einsitz zu nehmen, ebenso der Zürcher Volkswirtschaftsdirektor Rudolf Jeker als Vertreter der Kantone. Etliche der anwesenden Topmanager sind nun auch bereit, ihre persönlichen Kontakte in andere Teppichetagen von Schweizer Unternehmen zu nutzen, um weitere Investoren zu finden. Auch Villiger und Siegenthaler versprechen, in dieser Angelegenheit den Telefonhörer in die Hand zu nehmen.

Innert zehn Tagen formiert sich nun Corporate Switzerland. Am 30. Oktober 2001 wird eine Grundsatzvereinbarung aufgesetzt, die allein aus der Wirtschaft finanzielle Zusagen in Höhe von rund 1,62 Milliarden Franken auflistet. Dieses Papier hat Rainer E. Gut als nun offizieller Präsident des Steering-Committee zu überwachen. Als Ehrenpräsident bei der Credit Suisse Group ist Gut Exponent eines der grössten Investoren bei der Crossair, und er hat mit Walter Haefner persönlich einen ersten Grossinvestor aus der Wirtschaft akquiriert. Peter Forstmoser, Präsident der Swiss Re, holt er in das Steering-Committee; der von Walter Kielholz pilotierte Rückversicherer ist als Grossinvestor gesetzt, ebenso wie die Nestlé, deren Verwaltungsrat Gut vorsteht. Aus diesem Gremium akquiriert der Präsident den Westschweizer Unternehmer André Kudelski als Investor, auch wenn die offizielle Anfrage vom Bundesrat kommt. Vielschichtig sind die Verbindungen zum Basler Chemiekonzern Roche. Franz Humer, der in den vergangenen Tagen intensiv in die Gespräche involviert gewesen ist, amtet dort als CEO und VR-Präsident; Ehrenpräsident ist mit Fritz Gerber ein alter Weggefährte von Rainer E. Gut, und im Board sitzen zudem Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe und als Vizepräsident Andres F. Leuenberger. Roche als Grossinvestor ist also gesetzt, und da Roche zahlt, zieht wenig später auch Konkurrent Novartis mit.

Leuenberger ist zudem Präsident der Economiesuisse, die sich als Koordinationsstelle für potenzielle Investoren aus der Industrie zur Verfügung stellt, und als Verwaltungsrat der Swissair ist er bis zur letzten Stunde der Airline persönlich in deren Crash involviert. Nur folgerichtig also, dass Leuenberger seine geschäftlichen Verbindungen in den Dienst der Investorensuche stellt: Er ist Präsident bei der Rentenanstalt / Swiss Life und Vizepräsident bei Givaudan – beide Unternehmen investieren insgesamt 60 Millionen Franken in die neue Fluggesellschaft. Aus einer ähnlichen Motivation öffnet auch Ex-Swissair-Verwaltungsrat und Holcim-Präsident Thomas Schmidheiny seine Firmenschatulle und macht 50 Millionen Franken locker.

Traditionell eingebunden in dieses Wirtschaftsestablishment sind auch die Zurich Financial Services, deren Präsident jahrzehntelang Fritz Gerber gewesen ist. Im Verwaltungsrat sitzt auch Armin Meyer, Präsident und CEO der Ciba Spezialitätenchemie. Er sorgt dafür, dass auch die Ciba mit zehn Millionen Franken mit von der Partie ist.

Eine traditionelle Nähe zur Grossinvestorin UBS pflegt Ernesto Bertarelli: Die Basler Grossbank sponsert im Jahre 2002 seinen Alinghi-Segeltripp, und seit 2002 sitzt Bertarelli im UBS-Verwaltungsrat. Über seine Ares-Serono International Finance Ltd. und die Bertarelli & Cie fliessen dem Projekt Phoenix Plus schliesslich weitere 50 Millionen Franken zu.

Peter Siegenthaler, Chef der Eidgenössischen Finanzverwaltung und Mitglied des Steering-Committee, aktiviert für diese Sammelaktion ebenfalls seine persönlichen Kontakte. Kraft seines Amtes und als Vertreter des Bundes trifft er regelmässig Swisscom-Chef Jens Alder. Alder, der beim denkwürdigen «Dolder»-Spitzentreffen im «Salon vert» nicht anwesend war, nimmt das Begehren des Bundes – immerhin auch Grossaktionär beim Telekomriesen – wohlwollend entgegen. Entscheidungsgrundlagen für das gewünschte Investment in Höhe von 100 Millionen Franken hat er keine; lediglich eine Liste von mündlich zugesagten Investitionen aus der Privatwirtschaft wird ihm ausgehändigt sowie ein Entwurf einer Grundsatzvereinbarung zwischen den potenziellen Aktionären einer neuen Schweizer Airline. Alder entscheidet pragmatisch: Ein Investment in eine Fluggesellschaft hat auch beim besten Willen keinen Zusammenhang mit der Telekombranche; der Swiscom-Chef ist sich aber bewusst, dass er es sich aus Imagegründen nicht leisten kann, abseits zu stehen. Nach 36 Stunden hat er vom Verwaltungsrat grünes Licht.

Auf Hochtouren läuft in diesen Tagen auch die Geldsammelaktion bei den Banken. Die Deutsche Bank investiert 50 Millionen Franken und ist damit das ausländische Geldinstitut mit dem höchsten Investment. Über die Schweizerische Bankiervereinigung kommen zwar nicht die ursprünglich gewünschten 300 Millionen Franken zusammen, sondern schliesslich nur 141 Millionen, aber immerhin investiert die Zürcher Kantonalbank einen zweistelligen Millionenbetrag. Auch die Basellandschaftliche oder die Aargauische Kantonalbank spenden einige Millionen, wogegen die Berner Kantonalbank lediglich eine Million aufzubringen im Stande ist. Andere, vorab kleine Banken, werfen Summen von einigen Hunderttausend Franken in den Topf.

Wohl noch nie in der Nachkriegsgeschichte ist Corporate Switzerland derart entschieden zusammengerückt, um das Überleben eines einzelnen Unternehmens an die Hand zu nehmen. Dennoch gibt es auch prominente Absagen: Swatch-Chef Nicolas Hayek etwa steht in diesen Tagen im telefonischen Kontakt mit Rainer E. Gut. Als er jedoch angefragt wird, im Steering-Committee Einsitz zu nehmen, lehnt ab, weil er den erforderlichen Zeitaufwand nicht leisten kann. Auch zu einem finanziellen Investment kann sich der Uhrenfabrikant nicht durchringen – sein Verhältnis zur Swissair ist nicht mehr ungetrübt, seit die Airline vor Jahren den Verkauf seiner Uhren auf dem Fliegern gekappt hat. Eine weitere Absage kommt aus Liechtenstein: Als Kaspar Villiger bei der Hilti AG anklopft – immerhin sitzt VR-Präsident Michael Hilti zusammen mit Gut im Beirat der CS –, wird dem Bundesrat mitgeteilt, dass ein finanzielles Engagement in eine Fluggesellschaft nicht zu den strategischen Optionen einer in der Befestigungstechnik tätigen Firma gehöre.

Bei anderen, welche die benötigten Millionen aufzubringen im Stande wären, springt Kaspar Villiger im Dienste der Sache über seinen Schatten, um weitere Investoren für ein Engagement zu gewinnen. Am Tag nach der «Dolder»-Tagung, einem Sonntagnachmittag, versucht der Bundesrat, telefonisch Kontakt mit Ems-Chemie-Chef Christoph Blocher aufzunehmen und gabelt den SVP-Nationalrat schliesslich im sonnigen Spanien auf. Dem politischen Gegner versucht Villiger nicht nur eine finanzielle Beteiligung an der neuen Fluggesellschaft schmackhaft zu machen, sondern auch einen Einsitz im Verwaltungsrat, in prominenter Rolle, wie er sagt. Doch Villiger beisst bei Blocher auf Granit, ebenso wie bei Blochers Parteikollege Walter Frey, Besitzer des gleichnamigen Autoimporteurs. Positiveres ist immerhin von den Kantonen zu vermelden: Der Flughafenkanton Zürich stellt 300 Millionen Franken in Aussicht, und die Halbkantone Basel-Stadt und Baselland weitere 31 Millionen.

Die Finanzierung der Kapitalerhöhung der Crossair und den Ausbau des ehemaligen Regionalcarriers zu einer interkontinentalen Fluggesellschaft scheint nach diesem gemeinsamen Kraftakt von Politik und Wirtschaft gesichert, und der Bundesrat um den in dieser Sache stark engagierten Finanzminister Kaspar Villiger ist guten Mutes, nun auch den entscheidenden Akt in diesem dramatischen Stück zu schaffen. Am Montag, dem 22. Oktober 2001, ist im Parlamentsgebäude in Bern eine Verwaltungsratssitzung der Crossair anberaumt. Angesichts der historischen Stunde kündigen erstmals in der Geschichte der Regionalfluggesellschaft gleich drei Bundesräte ihre Teilnahme an: Die Bundesräte Couchepin, Leuenberger und Villiger wollen es sich nicht nehmen lassen, dem Gremium mitzuteilen, dass die Finanzierung des Projekts Phoenix Plus gesichert ist. Danach, um 14.30 Uhr, tagt ebenfalls im Bundeshaus die Finanzkommission des Nationalrates, welche die Bundeskredite für die neue Airline formell zu bewilligen hat. Unmittelbar danach, so der zeitliche Fahrplan, soll die Öffentlichkeit darüber informiert werden, dass die Aktion zur Rettung der Schweizer Aviatik geglückt ist.

Doch in diesen Stunden des Montagnachmittags steht das Projekt Phoenix Plus noch einmal am Abgrund. Es ist kurz nach 14 Uhr, als die drei Bundesräte, der Chefbeamte Peter Siegenthaler, Crossair-Chef André Dosé, der Jurist Peter Kurer als Vertreter der UBS und Holger Demuth, Sekretär der Steering-Committee als Vertreter der Credit Suisse, vor das siebenköpfige Aufsichtsgremium der Airline treten, das von Moritz Suter präsidiert wird. Moritz Leuenberger eröffnet die Sitzung und referiert über das Projekt Phoenix Plus. Dann ergreift Präsident Moritz Suter das Wort. Er und sein Verwaltungsrat haben den auf dem Modell von 26 Lang- sowie 26 Mittel- und Kurzstrecken basierenden Businessplan bereits vor zehn Tagen zurückgewiesen, und Suter favorisiert noch immer seinen nach dem Grounding der Swissair entworfenen «Plan B»: nur einige wenige Langstreckenflugzeuge aus der Swissair herauszulösen und auf der Kostenbasis der Crossair operieren zu lassen. Entsprechend kritisch nun seine Replik: Der Businessplan, so der Crossair-Gründer, sei mit «erheblichen Risiken» belastet, und er spricht von den «unternehmenskulturellen Unterschieden» zwischen Swissair und Crossair, die nun zu einer Airline zusammengeschweisst werden sollen.

Deutliche Worte des Präsidenten. Bundesrat Villiger ist irritiert und erwidert nicht minder scharf. Er habe den Eindruck, dass der Verwaltungsrat keine Verantwortung für den Erfolg von Phoenix Plus übernehmen wolle und vom Bund erwarte, dass er im Falle eines Scheiterns die Konsequenzen trage. «Wenn dies zutreffen sollte», so Villiger, lasse sich «die Gewährung eines Überbrückungskredits gegenüber dem Steuerzahler» nicht rechtfertigen.

Der Plan Phoenix Plus ist an einem toten Punkt – die Differenzen scheinen unüberbrückbar. In dieser Pattsituation bleibt nur ein Ausweg: Die Aktionäre der Crossair, die Grossbanken UBS und CS, müssen nun Farbe bekennen. Und sie tun das auch an diesem Montagnachmittag. Der Businessplan, sagt UBS-Chefjurist Peter Kurer, «ist für die UBS akzeptabel», die Umsetzung jedoch sei Sache des Crossair-Verwaltungsrates. Und Holger Demuth, der CS-Vertreter, meint: Die Credit Suisse Group habe «sehr intensiv mit dem Management der Crossair zusammengearbeitet, um bei der Erstellung des Businessplans mitzuhelfen». Trotz diesen klaren Voten der neuen Eigentümer bleibt Suter dabei, dass der Verwaltungsrat «erheblich unter Druck gesetzt» werde, diesem Vorhaben zuzustimmen. Angesichts der unverrückbaren Positionen fordern die Bundesräte ein Time-out und ziehen sich mit André Dosé und den Bankenvertretern zur Beratung zurück. Und während im Büro von Moritz Leuenberger debattiert wird, wie Suter und seine Mitstreiter zum Einlenken bewegt werden könnten, gehen auch drinnen im Sitzungszimmer die Emotionen nochmals hoch. Allen im Raum ist jedoch klar, dass sie es nicht zum Eklat kommen lassen dürfen – das würde auch das Ende der Crossair bedeuten. So zückt Michael Pieper, Crossair-Verwaltungsrat und Weggefährte Moritz Suters, einen letzten Trumpf: Suter sei, sagt er, der geeignete Mann, um auch in Zukunft die Funktion des Präsidenten wahrzunehmen. Doch Kaspar Villiger, der weiss, dass der Crossair-Chef längst von der Verwaltungsrats-Liste des Steering-Committee gestrichen ist, erteilt diesem Ansinnen eine in diplomatische Worte gefasste Abfuhr.

Damit ist der Kampf entschieden. Suter erklärt, dass der Verwaltungsrat unter der Voraussetzung, dass das Gremium von der zukünftigen Entwicklung der Airline entlastet werde und die neuen Aktionäre den Plan Phoenix Plus wollten, die Zustimmung geben soll. Einzeln ruft Suter seine langjährigen Verwaltungsrats-Kollegen zur Abstimmung auf; jeder Einzelne formuliert noch einmal seine Vorbehalte – und stimmt Ja. Es ist 16.50 Uhr, als Moritz Suter die Sitzung schliesst.

Doch es ist noch eine letzte Hürde zu nehmen: Kaum ist das Treffen beendet, hastet Kaspar Villiger zum nächsten Termin. Im Zimmer 7 des Parlamentsgebäudes tagt seit knapp zwei Stunden die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte und ringt um einen Entscheid für oder gegen die Bundesgelder für die neue Airline. Noch einmal legt sich der FDP-Bundesrat mächtig ins Zeug, um die Parlamentarier von der Notwendigkeit zu überzeugen. Mit Erfolg: Mit drei Ja-Stimmen gegen zwei Nein-Stimmen bei einer Enthaltung ist der Entscheid aber denkbar knapp. Nur ein paar Schritte weiter, im Bundeshauszimmer 86, wartet schon ein Pulk von Journalisten auf News, und die bekommen sie geboten: Neben den Bundesräten Villiger, Leuenberger und Couchepin sitzen die beiden Topmanager Rainer E. Gut und Marcel Ospel – eine so hochrangige Besetzung an einer Pressekonferenz im Bundeshaus hat es noch nie gegeben. Nur Minuten später, um 18.18 Uhr, geht eine erste Flash-Meldung über den Ticker der Schweizerischen Depeschenagentur: «Bundespräsident Leuenberger: ‹Neue Crossair› kann abheben, Bund hält 20 Prozent, Kantone 18 Prozent, Wirtschaft 62 Prozent.» Der Schulterschluss zwischen Politik und Wirtschaft ist gelungen. Es ist Kaspar Villiger, der diesen fast historischen Durchbruch in Zahlen fasst. Der gesamte Finanzierungsbedarf für eine neue Schweizer Fluggesellschaft, so der Bundesrat, betrage nach heutigem Planungsstand 4,24 Milliarden Franken. Davon stammten zwei Drittel von der Privatwirtschaft, ein Drittel von der öffentlichen Hand. 2,74 Milliarden Franken würden als Eigenkapital für die neue Fluggesellschaft verwendet, und an dieser Finanzierung sei die Privatwirtschaft mit knapp 1,7 Milliarden beteiligt. Weitere Überbrückungskredite für Swissair und flugnahe Betriebe in Höhe von weiteren 1,5 Milliarden finanziere der Bund. Als André Dosé an diesem denkwürdigen Tag gegen halb zehn Uhr nachts ins Bundeshausstudio zum Live-Interview für die Nachrichtensendung «10 vor 10» aufbricht, ist ihm schon wieder zum Scherzen zumute: «Schaut auf meinen Koffer», meint der Crossair-Chef, «es hat vier Milliarden drin.»

Am Tag nach dem grossen Medienspektakel greift Rainer E. Gut zum Telefon. Er wählt eine Nummer in Basel, und dort, in der Augustinergasse, nimmt Moritz Suter den Hörer ab. Der Nestlé-Präsident schlägt dem Crossair-Gründer eine Aussprache in Basel vor. Suter willigt ein und zeigt sich bereit, sich mit Gut in Zürich zu treffen. Als der Basler an die Limmat reist, hofft er noch immer, seinen Crossair-Verwaltungsrat im Amt halten zu können, allenfalls ergänzt mit einigen personellen Vorschlägen von Rainer E. Gut. Als die beiden Männer schliesslich beisammensitzen, versucht Suter sein Gegenüber davon zu überzeugen, dass er in keiner Art und Weise für das Grounding der Swissair verantwortlich zu machen sei, wie dies seit Tagen immer wieder öffentlich verbreitet werde. Er habe dies seinerzeit gegenüber dem Swissair-Chef Mario Corti auch ausführlich und schriftlich begründet. Diesen Brief händigt der Besucher Gut aus, und dieser liest ihn aufmerksam. Suter kämpft jedoch auf verlorenem Posten. Die Investoren inklusive die Suter nahe stehende UBS haben am Vortag den Stab über dem Crossair-Gründer gebrochen. Rainer E. Gut fühlt sich nun dem Auftrag des Steering-Committee verpflichtet, einen neuen Verwaltungsrat zusammenzustellen – ohne den Crossair-Gründer. Das sei der Wille der Investoren, sagt Gut nüchtern, und deshalb könne Moritz Suter nicht Präsident werden.

Am nächsten Tag setzt Suter einen Brief an Rainer E. Gut auf. Er formuliert sein Unverständnis darüber, dass man ihm angesichts seiner Verdienste um die schweizerische Luftfahrt das Vertrauen nicht schenke. Und er bittet Rainer E. Gut, ihn doch einmal direkt mit den Investoren in Kontakt treten zu lassen, um allfällige Differenzen ausräumen zu können – eine Bitte, die nie erfüllt wird.

Stattdessen macht sich der Steuerungsausschuss daran, bei der Crossair die Ära nach Suter zu planen. Das Steering-Committee ist inzwischen neben Gut, Jeker und Siegenthaler mit zwei weiteren Persönlichkeiten aus der Wirtschaft komplettiert worden: Peter Forstmoser, als Präsident der Schweizer Rück, Jurist und langjähriger Rechtsberater der CS ein Rainer E. Gut beruflich nahe stehender Mann, sowie Jens Alder, Swisscom-Chef, der vom Chefbeamten Siegenthaler angefragt worden ist. Siebenmal tagt das Gremium im Zeitraum zwischen dem 24. Oktober und dem 4. Dezember 2001.

Am 30. Oktober 2001 trifft sich die Männerrunde in den Räumlichkeiten der Credit-Suisse-Niederlassung in Bern. Sie diskutiert unter der Leitung von Gut über die Namen der potenziellen Aufsichtsräte und redet über einen besonders intensiv: Pieter Bouw, ehemaliger Chef der holländischen KLM, ein Mann, den Rainer E. Gut bestens kennt. Vor acht Jahren haben Bouw und Gut Schulter an Schulter für ein ehrgeiziges Airline-Projekt gekämpft: Alcazar, das den Zusammenschluss von Swissair, KLM, der skandinavischen SAS und der österreichischen AUA vorsah. Obwohl der Plan schliesslich scheiterte, war für Rainer E. Gut damals klar, dass nur Bouw als Chef der fusionierten Mega-Airline in Frage gekommen wäre. Was damals unvollendet geblieben ist, soll nun nachgeholt werden. Ein Pieter Bouw wäre ein ernsthafter Anwärter auf den Präsidentenstuhl. Alle Anwesenden pflichten dem bei, und Gut steht auf, geht in eine Ecke des Besprechungszimmers, wählt die Nummer eines Privatanschlusses.

In einer Backsteinvilla an der noblen Keizersgracht im historischen Zentrum von Amsterdam klingelt das Telefon. Pieter Bouw ist im ersten Augenblick etwas erstaunt über den Anruf. Rainer E. Gut hat er schliesslich seit Alcazar-Zeiten nie mehr gesehen. Der Schweizer hält sich nicht lange mit Floskeln auf, kommt zum Punkt, erklärt dem Holländer die Situation und erkundigt sich, ob man einmal reden könne. Schon ein paar Tage später ist Bouw in Zürich, begibt sich in das Büro von Peter Forstmoser bei der Swiss Re am Zürcher Mythenquai und stellt sich dem Steering-Committee vor. Tage später ruft Bouw Gut an und sagt zu. Der wichtigste Personalentscheid ist damit gefallen und der bisherige Job von Moritz Suter wieder besetzt.

Am 7. Dezember 2001, seinem ersten offiziellen Arbeitstag, ruft Pieter Bouw Moritz Suter immerhin ein einziges Mal an. Der neue Crossair-Präsident will wissen, wie es dem alten Crossair-Präsidenten persönlich gehe. Suter antwortet, er habe schlecht geschlafen.

In der nächsten Ausgabe: «Globale Ambition. First Boston/CS Holding: Eine Strategie erhält ein Gesicht.»