Wer ein richtiger Wettbewerbfan ist, hätte sich einen anderen Ausgang gewünscht. Muss in der Schweizer Reiseveranstalterszene, die im Kern von den drei Playern Hotelplan Group, Dertour Suisse und TUI Suisse bestimmt wird, ausgerechnet die Nummer zwei die Nummer eins übernehmen? Wer die hiesige Reisewelt sehr eng definiert, kann das kaum gutheissen. Und hätte es bestimmt lieber gesehen, wenn die Migros-Tochter Hotelplan von einem hungrigen ausländischen Player wie Easyjet Holidays, Booking.com oder Schauinsland Reisen übernommen worden wäre. Oder von einem Private-Equity-Player. Oder, wohl am allerliebsten, von einem hiesigen Champion wie Knecht, Globetrotter, Twerenbold. Oder von einem Family-Office mit imprägniertem Schweizerkreuz.
Aber so kam es nicht. Wie es nun tatsächlich kommt: Dertour, Tochter des deutschen Detailhandelskolosses Rewe und heutige Mutter von Kuoni, darf Hotelplan übernehmen. Mit dem Segen der Weko, die das Geschäft seit Ende Mai vertieft geprüft hat.
Der Schweizer Reisemarkt – und warum die Weko nicht falschliegt
Eine kleine Milchbüechli-Rechnung (oder heisst es hier Milch-Booking-Rechnung?) zeigt, dass der Weko-Entscheid nachvollziehbar ist. Grob gesagt, ist der Schweizer Markt für Ferien- und Freizeitreisen rund 10 Milliarden Franken schwer. Davon werden etwa 2,5 Milliarden von hiesigen Reiseveranstaltern erwirtschaftet. In diesem – eher kleinen – Kuchenstück sind Hotelplan, Dertour und TUI Suisse drin. Das viel grössere Stück aber, geschätzte 7,5 Milliarden Franken, wird individuell und online gebucht – mal über grosse ausländische Plattformen wie Booking.com oder Airbnb, mal direkt bei den Leistungsträgern, das heisst bei Airlines, Hotels, Ausflugs- und Tourenportalen. Wer nun also den ganzen Kuchen anschaut, kann – wie die Weko – zur Ansicht gelangen, dass eine Konzentration im kleineren Teil nicht zu einer marktbeherrschenden Verschiebung führt.
Was man zum Reisemarkt ebenfalls wissen muss: Über die letzten Jahre zeigte sich, dass die klassischen Pauschalreisen (ja, die gibt es immer noch!) tendenziell ins Internet abwandern und zu einer Art Ferien-Commodity werden. Was bedeutet: Hier zählt vor allem der Preis. Bei der Produktion günstiger Ferien-Päckli sind europaweit tätige Player im Vorteil, weil sie viel grössere Volumen einkaufen können als die rein schweizerisch operierenden Veranstalter. Davon profitieren aber auch hiesige Ferienmacherinnen und -macher: Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten können den Onlinesprung über die Landesgrenzen locker machen und so die Reisen bei solchen Giganten kaufen. Sie haben eine Auswahl. Kurz: Aus Kundensicht spielt der Wettbewerb – auch wenn nun alle drei grossen hiesigen Reiseveranstalter deutschen Konzernen gehören.
Warum die Reisebranche nicht happy ist
Natürlich kennen Schweizer Reiseprofis die oben grob skizzierte Rechnung. Richtig happy dürften sie mit der nun Weko-genehmigten Lösung trotzdem nicht sein. Eine kürzliche Umfrage im Fachmagazin «Travel Inside» brachte zutage, dass die Schweizer Reisebranche den Dertour-Hotelplan-Deal zu 26 Prozent «sehr negativ» und zu 30 Prozent als «eher negativ» sieht. Unabhängigen Reisebüros bangt es vor einer grösseren Dertour-Abhängigkeit, sie ahnen höhere Preise oder fürchten einen Produkteeinheitsbrei. Für die neue Hotelplan-Mutter wird es also wichtig, den Vertriebskanal der unabhängigen Reisebüros auf eine faire Art mitzunehmen.
Etwas anderes aber ist noch wichtiger: was mit den Mitarbeitenden und was mit den Hotelplan-Marken geschieht. Noch zu Jahresbeginn kommunizierte Dertour Suisse, dass man alle Brands der Hotelplan Group (ausser der Ferienhausvermittlerin Interhome, die an den deutschen Spezialisten Hometogo geht) erhalten werde. Nach der positiven Weko-Botschaft spricht man bei Dertour von einem «entscheidenden und freudigen Moment für uns», erwähnt die Hotelplan-Marken jedoch nicht mehr. Auf Nachfrage heisst es bei Dertour zwar auch heute noch, dass man die Hotelplan-Marken erhalten wolle. Ein Ablaufdatum aber – zum Beispiel mindestens über die nächsten fünf Jahre – will man nicht nennen.
Aufpassen vor Over-Dertourism
Einen von Augenmass und Fairness geprägten Umgang verdienen auch die Hotelplan-Angestellten, die seit der ersten Migros-Verkaufsankündigung vom Februar 2024 in einer 18-monatigen Unsicherheit weiterarbeiten mussten. Sie wissen jetzt zwar, was Sache ist. Aber sie wissen auch, dass es viele Doppelspurigkeiten gibt. Oftmals liegen Kuoni- und Hotelplan-Reisebüros nah beisammen, zentrale Bereiche wie IT oder Einkauf werden heute noch doppelt geführt und werden so wohl nicht mehr gebraucht. Kommt es hier zu grossem Jobabbau, zu einem «Blutbad», wie da und dort gefürchtet wird?
Dertour hat zwar vor zehn Jahren mit der Kuoni-Übernahme gezeigt, dass man behutsam mit Marken und Mitarbeitenden umgehen kann. Bei der jetzigen Übernahme ist die Sache aber heikler. Und so wünscht man sich vom Ferienkonzern das, was man heute schon bei allen Reisenden sehen möchte: Verständnis für die lokale Kultur und eine Mentalität, die nicht nur auf den eigenen finanziellen Gewinn abzielt. Damit es am Zielort nicht zum Over-Dertourism kommt.