Die Schweizer Wirtschaft ist allen Unkenrufen zum Trotz international super positioniert», sagt Karl J. Deutsch, Vice President der internationalen Beratungsfirma A.T. Kearney. Rund um den Globus seien die Schweizer Firmen in den Märkten toppräsent. Ein dickes Lob für eine Wirtschaft, der von allen Seiten nur Wachstumsschwäche, Produktivitäts- und Innovationsdefizite nachgesagt werden. «Verglichen mit Konkurrenten wie Belgien, Holland, Österreich oder Schweden», legt Deutsch noch eins drauf, «ist die Schweizer Firmenlandschaft stabil und solid.»

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Die Glückwünsche des Unternehmensberaters kommen nicht von ungefähr. A.T. Kearney hat in den letzten Monaten die Schweizer Unternehmenslandschaft durchleuchtet. Die zehn wichtigsten Branchen wurden dabei auf ihre Leistungsfähigkeit hin untersucht. Resultat der Enquête: Die Schweizer Wirtschaft verfügt nicht nur über eine Reihe von leistungsstarken Firmen, die derzeit im Weltkonzert der Multinationalen mitspielen, sondern sie werden dies auch künftig tun.

Von den 50 untersuchten Firmen gehören 17 zu den erfolgreichen Value Growers. Was bedeutet, dass sie, verglichen mit ihrer internationalen Peer Group, sowohl beim Umsatz- wie auch beim Gewinnwachstum (auf Ebit-Basis) überdurchschnittlich abgeschnitten haben. Die Schweizer Unternehmenslandschaft ist akkurat dreigeteilt. Neben den 17 Siegern finden sich 17 Verlierer, die gegenüber dem internationalen Branchendurchschnitt zum Teil deutlich schlechter abschnitten, darunter die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse. Dabei ist anzumerken: Offenbar schätzt die Börse zwei Verliererfirmen positiv ein. So schlossen der Maschinenbauer Schindler und die UBS im untersuchten Zeitraum mit Kursgewinnen ab. Das mittlere Drittel, 16 börsenkotierte Firmen, ist entweder den Umsatzstrebern, die Volumenwachstum vor Gewinn favorisierten – darunter der Versicherungsriese Zurich Financial Services –, oder umgekehrt den Gewinnstrebern, unter denen Schweizer Edelfirmen wie Nestlé und Roche figurieren, zuzuordnen. Die Korrelation zwischen Erfolg und Misserfolg lässt sich auch an den Börsenkursen ablesen. Firmen, die zwischen 1999 und 2004 satte Umsätze und Gewinne einfuhren, konnten auch an der Börse reiche Ernte einfahren (siehe «Die Sieger: von Anlegern bevorzugt»).

«Die Value Growers haben nicht nur eine überzeugende Strategie», so Karl J. Deutsch, «sie haben diese auch konsequent durchgesetzt.» Deutsch hat sämtliche Firmen nach sechs Kriterien untersucht (siehe «Umsetzung der globalen Erfolgsstrategie»). Er verweist gerne auf Kühne + Nagel, die alles richtig gemacht habe. Der Schwyzer Logistikkonzern hat sich rechtzeitig international ausgerichtet, Akquisitionen zur Ergänzung seiner Geschäftsfelder getätigt, schnell auf geänderte Marktsituationen reagiert und neue wachsende Märkte besetzt. Die Performance ist denn auch eindrücklich. Umsatz- und Gewinnwachstum von Kühne + Nagel liegen deutlich über dem Branchendurchschnitt, in allen Segmenten mischt die Firma vorne mit, und ihre Finanzkraft ist einmalig.

In fast sämtlichen Bewertungen erhält Kühne + Nagel die besten Noten, so bei der Globalisierung, in der Innovation, als Big Player und bei der Schnelligkeit. Nur bei der Durchdringung in den Emerging Markets ist Kühne + Nagel nicht zuoberst platziert. Bei sechs Bewertungen mit einer Skala von je 1 bis 5 kommt der Logistiker auf 29 Punkte. Fast so hoch hinaus schaffen es nur die vier Schweizer Medtechunternehmen, die auf je 27 Punkte kommen. «Die Medtechfirmen wachsen so schnell», sagt Deutsch, «dass sie ihren Umsatz in drei Jahren verdoppeln.»

Für Kühne + Nagel zahlte sich die kohärente Firmenstrategie aus. In den Jahren 1999 bis 2004 stieg ihr Aktienkurs um 32 Prozent. Erstplatzierte bei den Value Growers ist sie indessen nicht. An der Spitze stehen die Medtechfirmen Ypsomed und Straumann vor der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL). Dann folgen Kühne + Nagel sowie Schokoladehersteller Lindt & Sprüngli. Insgesamt bringen es die 17 Sieger im betrachteten Zeitraum auf eine Aktienperformance von 17,6 Prozent. Sie schlagen damit ihre internationale Peer Group, die nur auf total 15,1 Prozent Kurswachstum kommt. Der Vergleich mit dem Swiss Market Index fällt noch deutlicher zu Gunsten der Value Growers aus. Zwischen 1999 und 2004 hat der SMI 6,9 Prozent verloren – eine Differenz von 24,5 Prozentpunkten.

Sind die Schweizer Unternehmen also auf der Siegerstrasse? In der eigenen Wahrnehmung zumindest sieht es danach aus. Gemäss dem neusten UBS-Branchenspiegel schätzt die Mehrheit der Schweizer Firmen ihre Zukunft positiv ein – zumindest was die kurze Frist angeht. Die UBS hat mehr als 4700 Unternehmen nach der Einschätzung ihrer Zukunft befragt. Dabei gehen für das laufende Jahr alle «von einem ungebremsten Wachstumstrend» aus, wobei die Banken-, die Pharma-, die Uhren- und die Elektroindustrie am meisten Optimismus zeigten. Laut den Auguren schaltet die Konjunktur gegenüber den glänzenden Jahren 2004/05 einen Gang zurück, doch nur wenige Unternehmen rechnen mit einem schwächeren Volumen- und Gewinnwachstum. Das Umfeld für die in hohem Mass exportorientierte Schweizer Wirtschaft ist in der Tat vorzüglich. Der Welthandel wächst mit vier bis fünf Prozent, die amerikanische Wirtschaft läuft weiterhin rund, und die Lokomotiven der Weltkonjunktur, China und Indien, legen zwischen sechs und zehn Prozent zu. Japan erholt sich zusehends im Schlepptau der boomenden Schwellenländer, und in Europa dürfte der exportgetriebene Aufschwung durch ein breites Binnen- und Konsumwachstum abgelöst werden.

Zieht Helvetiens Konjunktur für einmal mit, oder bleibt die Schweiz wie in den letzten Jahren das Schlusslicht in Europa? Die Auguren der UBS sind durchwegs optimistisch. Für dieses und das kommende Jahr wird das Schweizer Inlandprodukt gemäss ihren Prognosen um rund zwei Prozent wachsen – einen halben Prozentpunkt über Potenzial. Die Exporte dürften um 5 bis 6 Prozent zulegen und der Konsum um 1,5 bis 2 Prozent. Die Konsumentenstimmung hellt sich zusehends auf, insbesondere weil die Arbeitslosigkeit leicht zurückgeht, die Inflation und Zinsen moderat bleiben und der Franken nur leicht höher tendiert.

Rosige Aussichten für die Unternehmen, die in den letzten beiden Jahren fette Gewinne einfuhren. Doch der nächste Abschwung kommt bestimmt. Was im Jahr 2007 und danach sein wird, ist derzeit höchst ungewiss. Nicht von der Hand zu weisen ist auch dies: Die Schweizer Firmen haben ausgeprägte Schwächen, die in der BILANZ-Serie ausführlich zur Sprache gekommen sind. Die Wachstumsdefizite der Schweizer Firmen lassen sich auf drei Typen reduzieren:

– Erstens stehen sie bei den Akquisitionen oft hintan. Die Analyse von A.T. Kearney hat gezeigt, dass Helvetiens Multinationale bei den internationalen Grossakquisitionen keine glückliche Hand haben. Entweder geht die Strategie nicht auf wie bei der missratenen Übernahme der Pharmafirma Aventis durch Novartis. Oder die Firmenchefs erklären von vornherein, dass grosse Übernahmen derzeit kein strategisches Ziel seien, wie dies Credit Suisse, Roche oder auch Panalpina explizit tun. Die Strategieanalyse von A.T. Kearney erhellt aber auch, dass die Schweizer Unternehmen generell eine Akquisitionsschwäche haben. Von allen bewerteten Strategiekriterien – Globalisierung, Innovation, Präsenz in Emerging Markets, Big Player und Schnelligkeit – schneiden die untersuchten Firmen bei den Akquisitionen am schlechtesten ab. «Längerfristig», sagt Deutsch, «kann man indessen nur mit Übernahmen nachhaltig wachsen.»

– Die international agierenden Schweizer Unternehmen sind zweitens zu zögerlich in der Umsetzung fundamentaler Wachstumsstrategien. Deshalb fallen sie international oft zurück, besonders gravierend die Maschinenindustrie. «Die Schweizer Maschinenbauer sind grundsätzlich gesund», so Deutsch, «aber sie sind zu langsam.» Für ihn fehlen in der Branche die proaktiven Elemente. Die Firmen hätten nur unter dem Druck der Rezession gehandelt. So mangelt es beispielsweise an einer überzeugenden Antwort der Schweizer Textilmaschinenbranche auf den Vorstoss der beiden asiatischen Riesen Jingwei Textile Machinery aus China und Lakshmi Machine Works aus Indien. Die Börse jedenfalls hat die beiden Value Growers unter den Maschinenbauern, die Schaffhauser Georg Fischer und Rieter aus Winterthur, mit Abschlägen von 11,4 und 6,8 Prozent gestraft.

Wie eine Firma ganz gewiss nicht agieren sollte, hat die Basler Ciba demonstriert und sich damit selber demontiert: Seit Herbst 2004 besteht bei der Textilfarbensparte Handlungsbedarf. In den europäischen Werken herrschen Überkapazitäten, das Geschäft hat sich nach Asien verschoben. Passiert ist bis dato nichts, das Management zögert einen Entscheid über das Schicksal der Division hinaus, und die Firma findet nicht aus ihrem Tief heraus. Nicht schlecht agiert haben dagegen einige Firmen, die nicht unbedingt zu den Value Growers gehören, aber auf der Aufholjagd in die vorderen Ränge sind. Die Luxuskonzerne Richemont und Swatch haben sich bestens in Position gebracht: Der Richemont-Konzern hat eine Reihe von Luxusuhrenmarken übernommen und damit ihre Stellung in diesem Bereich gestärkt. Swatch wiederum gelang es, sich mit Omega erfolgreich in einem höheren Preissegment zu implementieren.

– Drittens sind die Schweizer Konzerne in den neuen Märkten vielfach nur sehr rudimentär vertreten, Ausnahmen wie ABB oder UBS in China vorbehalten. Selbst Value Growers haben in ihrer geografischen Ausrichtung ausgeprägte Schwächen. Die Ems-Chemie etwa, die in den Jahren 1999 bis 2004 markant zugelegt hat, ist in den Schwellenländern in Asien, Osteuropa und Südamerika praktisch absent. Der Börse ist diese Schwäche nicht entgangen, sie hat die Siegerin im selben Zeitraum mit einem Minus von 6,9 Prozent zur Verliererin gestempelt. Wie vorzugehen wäre, hat die österreichische Raiffeisenbank den Schweizern vorexerziert. Das Management der Provinzbank hat seine Chancen in Osteuropa frühzeitig erkannt, eine neue Aktiengesellschaft, die Raiffeisen International, gegründet, und die Bank ist heute in ganz Osteuropa trefflich verankert. In Rumänien ist sie die Nummer eins, und sie hat auch im russischen Bankensektor eine enorm starke Stellung. Anders die Schweizer Finanzbranche: Auf Europa fixiert und gesättigten Märkten verhaftet, hat insbesondere die Versicherungsbranche wichtige Wachstumschancen verpasst. In den stark wachsenden Schwellenländern sind die Schweizer Versicherer praktisch nicht präsent.

Tröstlich ist, dass eine erhebliche Zahl von Schweizer Firmen – gerade auch unter den Verlierern – eine Grösse erreicht haben, die sie kaum zu einem Übernahmeziel werden lässt, sofern sich die Firmen selbst am Merger-Poker beteiligen. ABB, Credit Suisse, Nestlé, Novartis, Roche, Swiss Re, Swatch, Syngenta, Synthes, UBS oder «Zürich» dürften längerfristig eher zu den Siegern im internationalen Konkurrenzkampf gehören. Eine Garantie dafür gibt es allerdings nicht.