Ein Büro an Zürichs bester Lage: an der Fraumünsterstrasse gelegen, einen Steinwurf vom Paradeplatz, einen von der Limmat entfernt. Vier hohe, getäfelte Zimmer umfassen die Räumlichkeiten hinter der ornamentverzierten Glastür im vierten Stock. Zwei davon sind unbenutzt, seit der letzte Untermieter ausgezogen ist, in den anderen steht an Mobiliar nur das Nötigste. Und in Zukunft wird es in den Zimmern noch ruhiger zugehen. Walter Bosch, der hier residiert, wird künftig drei Tage die Woche in einem Swiss-Büro am Flughafen Einsitz nehmen.

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Bosch (60) hat bei der Airline eine Blitzkarriere hingelegt. Vor 18 Monaten wurde er als Berater engagiert. Vor elf Monaten in den Swiss-Verwaltungsrat gewählt. Vor acht Monaten zum Mitglied des Nomination Commitee ernannt. Und seit dem Abgang von Konzernchef André Dosé Anfang März ist Bosch Vizepräsident des Verwaltungsrates und Independent Lead Director. Damit ist er hinter Pieter Bouw zweitwichtigster Mann der krisengeschüttelten Airline. «Ich hätte nicht erwartet, dass das so schnell geht, und auch nicht angestrebt», sagt er.

Doch richtig überrascht ist er nicht. Bosch war sein ganzes Leben lang Chef: Mit 23 Feuilletonchef der «Weltwoche», mit 26 Chefredaktor der Frauenzeitschrift «Annabelle», mit 34 Chefredaktor beim «Blick». Kurze Zeit später wurde er Chef aller Chefredaktoren im Verlagshaus Ringier. Sein rasanter Aufstieg brachte ihm einige Neider (einer seiner ehemaligen Chefredaktoren bezeichnet ihn heute als «Blender»), doch echte Feinde findet man nicht unter den Weggefährten von Bosch. Dafür war er viel zu sehr darauf bedacht, mit allen auf gutem Fuss zu stehen. Als Chefredaktor war er beliebt, weil er grosszügig mit seinen Mitarbeitern umging und ein gutes Betriebsklima schuf, und geachtet, weil er ein hervorragendes Themengespür bewies, auch wenn er die eigentliche operative Arbeit gerne delegierte. «Ich habe gerne das Sagen», sagt er von sich selber. Wenn er das gerade mal nicht hatte, übernahm er Beratungsmandate, schrieb Drehbücher oder baute ein Hotel auf den Malediven. Dass er dort nach einigen Jahren enteignet wurde, gehört zum Berufsrisiko. «Bosch ist ein Abenteurer», sagt sein ehemaliger Geschäftspartner Theophil Butz.

Und nun also das Abenteuer Swiss. Er hat es gesucht. «Es ist ein guter Moment, um im Leben etwas Neues zu erreichen», sagt Bosch, nachdem er die letzten Jahre als Investor – mit mässigem Erfolg – und als Berater gearbeitet hat. Bereits im Herbst 2001, als der erste Verwaltungsrat für die neu zu gründende Airline zusammengestellt wurde, versuchte Bosch sein Glück: Bundesrat Moritz Leuenberger, ein Freund von ihm, sowie Kreise aus dem Umfeld der Swiss Re signalisierten ihm, jemand wie er werde im neuen Swiss-VR gebraucht. Bosch schickte eine Bewerbung samt Lebenslauf an den Wirtschaftsanwalt Peter Forstmoser, der die Zusammenstellung des Gremiums organisierte. Doch Bosch handelte sich eine höfliche Absage ein.

Ein Jahr später kam doch noch eine Anfrage von der Swiss: Dosé suchte einen Fachmann, der die Swiss bei der Auswahl der neuen Werbekampagne unterstützen solle. Da war er bei Bosch an der richtigen Adresse: Der hatte sich 1987, als er realisiert hatte, dass er bei Ringier nicht weiter aufsteigen konnte, in die Werbeagentur von Theophil Butz eingekauft. Wirtschaftlich erwiesen sich Bosch & Butz als ideales Gespann: Der Ex-Journalist kümmerte sich um die Kommunikation und beriet die Kunden in strategischen Fragen, der Grafiker war für die Kreativität zuständig. In zehn Jahren verdreifachten sie den Bruttoumsatz und konnten die Agentur 1998 für geschätzte zehn Millionen Franken (Butz: «Ein Superdeal!») an den englischen Starwerber Frank Lowe verkaufen.

Doch obwohl Bosch 1994 zum Werber des Jahres gewählt wurde – ohne seinen Partner notabene, was in der Branche Diskussionen auslöste – und zwei Jahre lang den Art Directors Club präsidierte, konnte er sich die Anerkennung seiner Kollegen nie richtig erkämpfen. «Eine aussergewöhnliche Persönlichkeit, aber kein guter Werber», beschreibt ihn einer, der die gleichen Auszeichnungen wie Bosch erhalten hat.

Dosé jedoch suchte das Fachwissen Boschs, und dieser nahm das Angebot an. Zweieinhalb Tage die Woche, zu einem Tagessatz von 3500 Franken, leitete er den Pitch der Agenturen ums Werbebudget der Swiss. Bosch gewann nicht nur Dosés Vertrauen, sondern auch dessen Freundschaft. Der Freundeskreis von Walter Bosch ist gross – er verfügt über ein sehr gewinnendes Wesen. Im persönlichen Gespräch ist er schmeichelnd, humorvoll und eloquent. «Man muss aufpassen, dass man seinem Charme nicht erliegt», sagt einer seiner ehemaligen Werberkollegen. Nicht wenige sind es: An seinem 60. Geburtstag, den Bosch am 29. Januar in der Zürcher Limmat Hall feierte, standen auf der Gästeliste neben André Dosé auch Bundesrat Moritz Leuenberger, Avenir-Suisse-Chef Thomas Held, Brauereibesitzer Werner Dubach, Ruedi Sprüngli aus der gleichnamigen Schokoladendynastie, Medienmanager Roger Schawinski, Yello-Gründer Dieter Meier, Unternehmer Peter Friedli und viele andere mehr. Mit den Spitzen der Schweizer Verlagswelt (unter anderem Michael Ringier) pflegt er freundschaftliche Beziehungen, mit den ehemaligen Kollegen der Werbebranche trifft er sich einmal die Woche zum Fussballspielen.

Das illustre Beziehungsnetz ist Teil des Erfolgsrezepts von Walter Bosch. Als «hervorragenden Netzwerker, der sich sehr gut durchs Leben schlängelt», bezeichnet ihn einer seiner ehemaligen Chefredaktoren. Ein langjähriger Fussballkollege gebraucht den Ausdruck Filz.

Auch die guten Beziehungen zu Dosé zahlten sich für Bosch aus: Als es im März letzten Jahres im VR zwei Rücktritte gab, bat Dosé seinen Freund, dem obersten Leitungsgremium beizutreten. Obwohl er dafür sein lukratives Beratungsmandat aufgeben musste, liess sich Bosch nicht zweimal bitten: «Ich habe die Gabe, das Glück zu packen, wenn es kommt», sagte er später in einem Interview. «Ich sehe nicht, wie er etwas ablehnen könnte, das ihn eine Stufe nach oben führt», nennt es der ehemalige «Blick»-Chefredaktor Peter Uebersax. Die Fachwelt reagierte überrascht und skeptisch. Ein Mann, der nie ein Grossunternehmen geleitet hatte, fühlte sich berufen, die nationale Fluglinie zu retten? Ein Quereinsteiger sollte das schaffen, was den Haudegen der Airline-Industrie bislang nicht gelungen war? Wenn etwas rational nicht zu vermitteln ist, das weiss Bosch als Werber, braucht es Emotionen. Also wählte er Pathos, um der Öffentlichkeit seine Berufung zu erklären: «Alles, was ich in meinem Leben gelernt habe, hat nun plötzlich einen neuen Sinn bekommen, einen Nutzen für die ganze Nation», liess er die Schweiz nach seiner Wahl in den VR wissen.

Auch heute wischt er Bedenken an seiner fachlichen Eignung nonchalant zur Seite. «Das Airline-Business wird zur Geheimwissenschaft hochstilisiert, was es nicht ist», sagt Bosch. «Wir verkaufen keine unergründliche Mystik, sondern schlicht Passagier- und Frachtkilometer.» Und er fügt hinzu: «Peter Brabeck weiss auch nicht, wie man Nescafé herstellt.» Immerhin hat der Nestlé-Chef während 36 Jahren in der Nahrungsmittelindustrie Erfahrung gesammelt. Boschs Begegnungen mit der Airline-Industrie beschränkten sich bisher darauf, die Sitze der First Class zu wärmen. Doch kreativ, wie er ist, sieht er den wahren Grund für die ihm entgegenschlagende Skepsis ganz woanders: «Es ist absurd, dass bei so vielen unfähigen VRs die Journalisten ausgerechnet auf einem der Ihren herumhacken», sagt Bosch. «Aber die Presse hat Mühe, wenn einer aus ihrer Mitte die Seiten wechselt.»

Marketing und Kommunikation sind die beiden Arbeitsschwerpunkte von Bosch bei der Swiss. Doch sein Job ist ein zweischneidiges Schwert – nicht nur, weil er sich so als VR-Mitglied zum Tagesgeschäft äussern muss, was nicht seine Aufgabe ist, sondern auch, weil in schwierigen Zeiten Kommunikation Chefsache sein muss. «Jeder Soloauftritt Walter Boschs schwächt den CEO», kritisiert ein Swiss-Topmanager. Zweifellos kommt seine charismatische Art an beim Publikum. «Er bewahrt eine entwaffnende Ruhe auch in schwierigen Situationen und lässt sich nicht von Emotionen leiten», sagt sein Geschäftsfreund Dieter Meier. Bosch sei «gnadenlos optimistisch» und «glaubt ans Gute im Menschen», beschreiben ihn andere Weggefährten.

Mit diesen Eigenschaften erreichte Bosch letzten Juli die Einigung mit der Pilotenvereinigung Swiss Pilots. In den Monaten zuvor hatten sich die beiden Seiten im Konflikt um Entlassungplan und Abfindungen der ehemaligen Crossair-Piloten keinen Millimeter aufeinander zubewegt. Bosch, historisch unbelastet, setzte eine neue Runde Verhandlungen an und konnte mit seiner integrativen Art das Vertrauen gewinnen. «Er war immer fair, offen und transparent, er hatte keine Hidden Agenda», sagt David Bieli, der mit Bosch die Einigung ausgehandelt hat.

Vor allem war Bosch grosszügig: Im Hauptvertrag, bei dem Dosé die Verhandlungen führte, waren die finanziellen Punkte noch nicht abschliessend geklärt. Als sich darum weiterer Streit anbahnte, verhandelte Bieli die Ausführungsbestimmungen statt mit dem unnachgiebigen Dosé direkt mit Walter Bosch. Da Bosch Angst hatte, die Einigung und damit sein erster Auftrag könnten in letzter Minute scheitern, gelang es den Swiss Pilots, ihm 56 Millionen abzuknöpfen. «Da haben die Piloten Bosch die Taschen umgedreht.

Einem erfahrenen Verhandlungsführer wäre dies nicht passiert», sagt einer aus der Topetage der Swiss. «Was wir aus dem Kompromiss geholt haben, war gut. Die Summe ist stattlich», nennt es Bieli und lobt Boschs «konziliante Art». Das teure Ergebnis der Einigung sah Dosé erst, nachdem es Bosch von seinen VR-Kollegen bereits hatte verabschieden lassen.

Damit war der Streit beigelegt, und Bosch hatte sich im VR für weitere Aufgaben empfohlen. Die nächste Stufe der Leiter erklomm er am 5. März, als die Verwaltungsräte in einer Telefonkonferenz die Zukunft Dosés diskutierten für den zu erwartenden Fall, dass die Untersuchung über die Schuld am Crossair-Absturz 2001 in Bassersdorf auf ihn ausgeweitet würde. Bosch und Bouw wehrten sich gegen die Forderung, Dosé müsste in diesem Fall sein Amt ruhen lassen, konnten sich gegen den Rest des VR jedoch nicht durchsetzen. Dosé, durch den Beschluss desavouiert, trat zurück, und Pieter Bouw musste interimistisch das CEO-Amt übernehmen. Zu seiner Entlastung sowie aus Gründen der Corporate Governance brauchte es einen weiteren Vizepräsidenten und einen Independent Lead Director.

Jan Audun Reinås, ausser Bouw der einzige Airline-Experte im VR und damit die nahe liegende Wahl, hatte im März das VR-Präsidium des Mischkonzerns Norsk Hydro angenommen; ihm wollte man die Mehrbelastung nicht zumuten. Auch die anderen VR-Mitglieder sind mit ihren eigentlichen operativen Aufgaben zeitlich völlig ausgelastet. So fiel die Wahl auf Walter Bosch. «Ich wäre nicht gewählt worden, wenn ich bislang nur Blödsinn gemacht hätte», sagt er.

Seine Aufgabe als Independent Lead Director wird er trotzdem nicht erfüllen können. Um, wie es das Amt verlangt, ein Gegengewicht zu VR-Präsident und Interims-CEO Pieter Bouw zu bilden, fehlt ihm die Sachkompetenz. «Er ist ein lieber Kerl, aber vom Business hat er keine Ahnung», heisst es aus der Topetage der Swiss. «Ich werde Bouw in Fachfragen nicht desavouieren», nennt es Bosch.

Mit seinen neuen beiden Ämtern dürfte Bosch die für ihn letzte Stufe der Swiss-Leiter erklommen haben. Bouw als VR-Präsidenten beerben, wie sein ehemaliger Arbeitgeber «Blick» spekulierte, wird er nicht. «Es braucht eine Vertrauen erweckende Person aus dem Wirtschaftsestablishment mit Symbolcharakter. Das bin ich nicht», sagt Bosch selber. (Kaspar Villiger wurde für das Amt angefragt, hat sich aber für die weniger riskanten Jobs bei Nestlé und Swiss Re entschieden.) Doch der rasante Aufstieg bei der Airline dient Bosch als Sprungbrett in seine dritte Karriere: Er, der bisher nur bei eigenen Investments und bei der Konzertagentur Good News im obersten Gremium sass, will nun als Profi-VR sein Geld verdienen.

«Die Swiss ist ideal, um sich zu positionieren», sagt er. Prompt hat er auch ein VR-Mandat der Cablecom GmbH gewonnen, wobei dieses Amt eher beratende Funktion hat – die Entscheidungen werden eine Ebene weiter oben getroffen, im VR der Cablecom Holding, wo die Vertreter der Eigentümer sitzen. Grösster Aktivposten ist Boschs Beziehungsnetz, wie man auch bei Cablecom hinter vorgehaltener Hand zugibt. Mit einem weiteren namhaften, nicht börsenkotierten Unternehmen ist er in Verhandlung. «Er will jetzt einsacken», kommentiert ein langjähriger Freund und Mitfussballer die neue Karriere von Walter Bosch. Bei der Swiss freilich wird man nicht reich: Das VR-Honorar beträgt einen symbolischen Franken, das Sitzungsgeld jährlich 20 000 Franken. Interessanter für Vielflieger Bosch sind da schon die kostenlosen First-Class-Tickets. Und die Aussicht, dank der bei der Swiss gewonnenen Publizität andere Mandate an Land zu ziehen.

Dazu freilich muss er zuerst bei der Swiss einen Leistungsausweis erbringen und seinen Teil zum Überleben der Airline beitragen. Zu Swissair-Zeiten war ein VR-Mandat der Ritterschlag für jeden Manager: Wer im obersten Gremium der nationalen Airline Einsitz nehmen durfte, wurde, wie Bénédict Hentsch, Vreni Spoerry oder Eric Honegger, offiziell Teil des Wirtschaftsestablishments. Heute ist ein Job im Swiss-VR nicht mehr Höhepunkt, sondern Ausgangspunkt einer Wirtschaftskarriere. Dies ist der Unterschied zwischen Swissair und Swiss.