Der ältere Herr lehnt sich entspannt zurück und lächelt. Hinter der dezenten Hornbrille, die vor einiger Zeit das wuchtige Gestell mit dem Sechziger-Jahre-Charme ablöste, blinzeln verschmitzt zwei hellwache Augen. Natürlich sei es normal, wenn man in seinem Alter – am 30.  August ist er 79 Jahre alt geworden – über die Nachfolgeregelung nachdenke. Natürlich gebe es da schon seit längerem drei, vier Namen, die in der engeren Auswahl stünden und die «wahrscheinlich einen besseren Job machen würden als ich».

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So weit, so unspektakulär. Doch was sich zunächst anhört wie typische Nachfolgeüberlegungen eines mittelständischen Unternehmers – der alternde Patriarch denkt ans Abdanken, aber mit der Wahl eines Kronprinzen tut er sich schwer –, ist in diesem Fall ein Vorgang von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Handelt es sich bei dem grauhaarigen Herrn doch um Amerikas Überinvestor Warren Buffett, Guru der globalen Anlegergemeinde und auf der «Forbes»-Liste der Reichsten zuletzt wieder auf Platz 2 – hinter seinem Intimfreund Bill Gates.

Denkt einer wie Buffett ans Aufhören, erhitzt das naturgemäss die Fantasie der internationalen Finanzwelt. Und waren dem «Orakel aus Omaha» früher solche Diskussionen immer zutiefst zuwider («Haben Sie denn nicht irgendein anderes Thema, über das wir uns unterhalten können?»), so scheint sich der Mann inzwischen mit den ständigen Spekulationen angefreundet zu haben. Zuweilen scheint Buffett es zu geniessen, die Debatte höchstpersönlich anzuheizen. Und dabei ein diabolisches Grinsen aufzusetzen, das einem Jack Nicholson in seinen besten Zeiten zur Ehre gereicht hätte.

So wie zuletzt: Ja, es gebe diese hausinterne Liste von Namen, die in der engeren Auswahl stünden. Ja, eine der Grundvoraussetzungen sei, dass der entsprechende Kandidat «mehr als nur ein paar Jahre jünger als ich sein muss – sonst würde das Ganze ja nicht lohnen». Ziemlich offensichtlich, dass hier jemand seine Freude hat, mit den Medien Katz und Maus zu spielen.

Männerfreundschaft. Einer ist zumindest unumstritten: Microsoft-Gründer Bill Gates. Dieser soll dereinst die Geschicke der Investmentfirma Berkshire Hathaway weiterführen. Als Elder Statesman sozusagen. Schon seit 2004 sitzt Gates im Verwaltungsrat von Berkshire, auf ausdrücklichen Wunsch Buffetts. Die Beziehung der beiden geht aufs Jahr 1991 zurück, als Gates’ Mutter Buffett zu sich nach Hause einlud. «Ich dachte damals: Na ja, worüber soll ich mit einem Investor schon reden?», erinnert sich Gates. Doch entgegen den beidseitigen Erwartungen fanden Buffett und der junge Softwareunternehmer rasch einen gemeinsamen Draht. Es folgten Gegeneinladungen, gemeinsame Ferien, Bridge- und Golfpartien. Später war es Buffett, der sich gegen die kartellrechtlichen Untersuchungen gegen Microsoft aussprach. Im Juni 2006 der vorläufige Höhepunkt der Männerfreundschaft: Buffett kündigte an, einen grossen Teil seines Vermögens von damals 32 Milliarden Dollar der Bill & Melinda Gates Foundation zukommen zu lassen. Seither fliessen der Stiftung jährlich Tranchen in Milliardenhöhe zu. Gates bedankte sich auf seine Weise: Er liess verlautbaren, dass er sich verpflichtet habe, sich für den Rest seines Lebens um Berkshire zu kümmern.

Operativer Chef gesucht. «Bill Gates ist für Warren Buffett wie ein Sohn», ist sich die Buffett-Biografin Alice Schroeder sicher, «umgekehrt bewundert Gates seinen älteren Mentor von ganzem Herzen. Die Beziehung zwischen den beiden ist einmalig.»

Gates nimmt seine Aufgabe ausgesprochen ernst. «Wir müssen uns stets überlegen, was passieren könnte und wie wir sicherstellen können, dass Berkshire nicht nur heute, sondern für immer grossartig ist», sagt der Softwarepensionär in der für ihn typischen leicht schwurbeligen Art. Dass Gates auch ins operative Geschäft eingreifen könnte, scheint indes abwegig. Der Microsoft-Mogul mag sich auf Softwarecodes und Quantensprünge in der Technologieentwicklung verstehen. Als besonders gewiefter Investor ist er aber nie in Erscheinung getreten. Deshalb dreht sich die Diskussion dieser Tage vor allem um die Frage, wer die geniale Investmentstrategie Buffetts weiterführen könnte.

Als aussichtsreichster Kandidat galt lange David Sokol, Chef der Berkshire-Tochter MidAmerican Energy und seit neuestem auch CEO des defizitären Flugzeugleasing-Arms NetJets. Dieser wiegelte ab: «Kein Wort» habe er mit Buffett über eine etwaige Nachfolgeregelung gesprochen. «Unglücklicherweise ist mein Name genannt worden, weil Leute eben Namen nennen wollen.»

Swiss connection. Für viele ist ein anderer der Geheimfavorit: Ajit Jain, Chef der Berkshire Hathaway Reinsurance Group und damit operative Drehscheibe für die umfangreichen Rückversicherungs-Beteiligungen im Reiche Buffetts. Der gebürtige Inder hat enge Bande zur Swiss Re. Auf seine Initiatve ging zurück, dass Buffett 2009 dem von der Finanzkrise gebeutelten Schweizer Konzern mit drei Milliarden Franken unter die Arme griff – natürlich nicht, ohne für seinen Chef hervorragende Konditionen herausgeschlagen zu haben (siehe «Die Macht im Hintergrund» in 'Weitere Artikel'). Jain ist zudem ein persönlicher Freund von Swiss-Re-CEO Stefan Lippe und tauscht sich regelmässig in Zürich aus.

Als weiterer Aspirant gilt Olza M. «Tony» Nicely, Leiter des Berkshire-Autoversicherers Geico. Mit dem Wechsel des Goldman-Sachs-Veteranen Byron Trott zu einem von Berkshire Hathaway finanzierten Wagniskapitalfonds katapultierte sich im März ein weiterer Kandidat ins Rennen. Trott gilt als Architekt von Berkshires fünf Milliarden Dollar umfassendem Investment in Goldman Sachs. Er sei für Buffett «ein guter Spürhund» gewesen, findet Whitney Tilson, der Leiter des New Yorker Hedge Fund T2 Partners. Auf die Nachfolge habe er aber keine Chance. «Nachfolger wird einer der jetzigen operativen Manager.»

Wer auch Nachfolger wird – er tritt ein schweres Erbe an. Nach allem, was Buffett geschafft hat, muss der Neue schon ein glückliches Händchen haben, um den Ansprüchen der Buffett-Gemeinde zu genügen. Und sein Einfluss wird in Zukunft möglicherweise schrumpfen. Immer mächtiger dürften nämlich die Versicherungs-Granden im Hause Berkshire werden. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens macht das operative Berkshire-Geschäft im Vergleich zu den Beteiligungen einen immer grösseren Anteil aus, und die Versicherungen gehören zu den grössten operativen Sparten. Zweitens liefern die im Versicherungsgeschäft eingenommenen Prämien angesichts niedrigerer Auszahlungen eine grosse Menge zusätzlicher Bargeldbestände, die das Unternehmen anderweitig investieren kann. Insofern könnte sich die Frage, wer in Zukunft die Versicherungssparten leiten wird, als mindestens ebenso wichtig erweisen wie die Nachfolgelösung für Buffett selber.