Es ging ein kleiner Aufschrei durch die Home-Offices der Schweiz, als gestern bekannt wurde, dass Novartis seine Mitarbeiter bei der Arbeit zuhause kontrolliert: Das Programm «Arbeitsplatz Analytics» des Pharmariesen analysiert wie oft die Mitarbeiter mailen, telefonieren und digitale Meetings abhalten.

Der Tenor der Kritik: Wie kann es sich eine Firma nur erlauben, darauf zu achten wie und wie oft die Mitarbeiter arbeiten? Sind die Mitarbeitenden seit dem Beginn des Zwangs-Home Offices nicht endlich frei und unabhängig und entscheiden selbst, wann wie wo und vielleicht sogar ob sie arbeiten?

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Novartis ist Vorbild

Es ist Zeit ein paar Dinge zurechtzurücken: Novartis hat beim Thema Home Office bisher sehr viel richtig gemacht. Dass die Mitarbeitenden Hunderte von Franken erhalten haben, um ihre Home Offices einzurichten ist dabei noch der kleinste Teil. Sie wurden und werden von einer hochprofessionellen HR-Abteilung ins Home Office und im Home Office begleitet.

In einem Webportal erhalten alle Mitarbeiter Lösungen und Tools für die Arbeit zu Hause. Alle Mitarbeitende haben Zugang auf das Beratungs- und Weiterbildungsportal Tignum X, das bei Themen wie Resilienz, Bewegung und Erholung Ratschläge bietet. Und die Chefs des Konzerns wurden zu Beginn der Krise angewiesen, Leistungstiefs im Home Office zu tolerieren und regelmässig Feedback der Mitarbeitenden einzuholen. Und das bei 10'000 Home-Office-Mitarbeitenden in der Schweiz und 90'000 weltweit.

Mitarbeiter wurden in vielen Firmen unsichtbar

Ich bin weit davon entfernt, Novartis heilig zu sprechen. Aber es gibt drei unbequeme Wahrheiten, die von der Empörung über den Konzern kaschiert werden:

Erstens: Einige Mitarbeitende sind in den Home Offices unsichtbar geworden. Ihre Arbeitsleistung, die auch vor Corona oft nicht messbar war, lässt sich im Home Office schlicht und einfach noch besser simulieren. Die anderen Kolleginnen und Kollegen merken das und deren Motivation sinkt.

Zweitens: Viele Vorgesetzte lassen ihre Mitarbeitenden im Home Office alleine. Aus Überforderung oder schlichter Unfähigkeit, das Personal remote zu führen und zu motivieren. Alle zwei Monate einen Zoom-Call veranstalten, hat nichts mit Remote-Management zu tun.

Drittens: Bei vielen Personalabteilungen wurde sichtbar, dass sie zwar etwas von Lohnbuchhaltung verstehen, aber nichts von neuen Arbeitsmodellen, Leistungsmessung und Motivationsförderung im Home Office. Sie warten einfach, bis die Krise vorbei ist, ohne den Wandel aktiv zu gestalten.

Welcher dieser drei Punkte trifft bei Novartis zu? Ich würde behaupten kein einziger.

Die Empörung sollte andere treffen

Die Empörung sollte sich viel eher auf jene Firmen richten, die einer professionellen Verwahrlosung ihrer Mitarbeiter im Home Office schon seit Monaten zuschauen. Sie gefährden nicht nur die Firma, sie tun auch ihren Angestellten keinen Gefallen.

Es ist daher richtig, dass sich Novartis dafür interessiert, was die Kolleginnen und Kollegen zuhause machen. Den Preis für unprofessionelles Home-Office-Management werden viele Firmen sehr teuer bezahlen. Novartis wird nicht dazu gehören.

Stefan Mair
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