Ein Schreckensszenario für alle, die sich nicht impfen lassen möchten: Nur wer geimpft ist, darf zurück ins Büro.

Am nationalen Impf-Auftakt vom Montag sind vorerst nur Personen über 75 und Risikopatienten an der Reihe. In einigen Wochen kommt auch der Rest der Bevölkerung dran. Und spätestens dann kann sich auch der Arbeitgeber einschalten.

Isabelle Wildhaber (47), Direktorin des Lehrstuhls für Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität St. Gallen, und Nicole Vögeli (52), Fachanwältin für Arbeitsrecht und Dozentin an der ZHAW, beantworten die wichtigsten Fragen.

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In meinem Vertrag steht nichts von Impfpflicht drin. Darf der Arbeitgeber trotzdem die Impfung verlangen?
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber die Pflicht, seine Angestellten zu schützen. Der Arbeitgeber kann eine Impfung über das sogenannte Weisungsrecht verlangen.

Damit darf der Arbeitgeber Weisungen über das Verhalten am Arbeitsplatz erlassen. «Das Weisungsrecht ist durch den Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers eingeschränkt.

Eine Impfung greift in die Persönlichkeitsrechte ein. Das lässt sich also nur durch ein intensives betriebliches Interesse rechtfertigen», sagt Wildhaber.

«Gerade im Büro erscheint mir ein Impfzwang weniger durchsetzbar.» Nicole Vögeli

Also muss sich nur das Gesundheitspersonal impfen lassen?
Eine Impf-Anordnung ist nur in Berufen möglich, in denen die Impfung notwendig ist und keine Option auf Homeoffice besteht.

«Das dürfte vor allem dort der Fall sein, wo physische Kontakte zu Personen der Risikogruppe bestehen, wie in der Altenpflege, im Kontakt mit Krebskranken oder Diabetikern», erklärt Wildhaber. Es entscheidet also jede Gesundheitsorganisation selbst, ob sie eine Impfpflicht anordnen will.

Vögeli geht noch weiter: «Direkter Kontakt mit vulnerablen Personen besteht auch bei erhöhtem persönlichem Kontakt mit Drittpersonen.

Zum Beispiel Kunden, Schülern, Fluggästen oder anderen Mitarbeitenden.» Heisst konkret: Auch Lehrpersonen und Flugbegleiter müssten sich impfen lassen.

Mein Chef will mich trotzdem zum Impfen zwingen, was nun?
Arbeitet man nicht in einem Beruf, bei dem die Impfung notwendig ist, ist eine Impf-Weisung nicht zulässig. Und eine unzulässige Weisung muss nicht befolgt werden.

Was allerdings möglich sein kann, sind weichere Aufforderungen. Geimpfte dürfen etwa schneller wieder vom Homeoffice zurück ins Büro.

Kann man mich zwingen, im Homeoffice zu bleiben, wenn ich mich nicht impfen lasse?
«Gerade im Büro erscheint mir ein Impfzwang weniger durchsetzbar. Es müssten weitere Faktoren vorliegen wie etwa eine Zusammenarbeit mit vulnerablen Personen», erklärt Vögeli.

Kann ich entlassen werden, wenn ich eine Impfung verweigere?
Grundsätzlich nicht. Das Pflegepersonal kann aber verwarnt werden. Weiterhin möglich ist eine normale, sogenannte ordentliche Kündigung. «Bei der Impfverweigerung darf ordentlich gekündigt werden», so Vögeli.

Ich erkranke an Corona, weil ich mich nicht impfen lassen wollte, und kann nicht arbeiten. Bekomme ich noch Lohn?
Ja. Eine Verweigerung der Lohnzahlung ist bei Verweigerung der Weisung nicht erlaubt. «Allein das Unterlassen der Covid-19-Impfung ist zu wenig schwerwiegend, um eine verschuldete Arbeitsunfähigkeit anzunehmen», sagt Vögeli.

Kann der Arbeitgeber die Impfpflicht vertraglich festlegen?
Steht die Impfpflicht im Vertrag, besteht mehr Spielraum. «Die Impfpflicht muss aber stets in einem funktionalen Zusammenhang mit der auszuübenden Tätigkeit stehen sowie sachlich begründet sein.

Angesichts des Eingriffs in die Persönlichkeit der Arbeitnehmer müsste eine Impfpflicht einzelvertraglich vereinbart werden, eine Regelung im Personalreglement oder in allgemeinen Anstellungsbedingungen genügt nicht», sagt Wildhaber.

Kann der Arbeitgeber den Vertrag nachträglich anpassen?
Für eine nachträgliche Vertragsänderung wegen einer Impfpflicht müsste der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen.

Wildhaber betont allerdings: «Zu beachten wäre dabei, dass bei einer grösseren Anzahl von Änderungskündigungen die Regeln zur Massenentlassung Anwendung finden könnten.»

Muss sich meine Familie auch impfen lassen?
Wer mit Risikopatienten arbeitet, könnte das Virus übertragen. Eine Impfung der ganzen Familie würde dieses Risiko senken. Eine solche Weisung des Arbeitgebers ist allerdings nicht zulässig.

«Eine Mitimpfung der ganzen Familie geht zu weit», sagt Wildhaber.

Darf ich mich während der Arbeitszeit impfen lassen?
Wenn der Arbeitgeber die Impfung anordnet, muss die Zeit zur Impfung als Arbeitszeit gelten. «Die Anordnung gilt per sofort, sobald die Impfdosen vorhanden sind», sagt Vögeli.

Kommt die allgemeine Impfpflicht?
Nein. «Das Impfobligatorium darf nur für genau definierte Personengruppen ausgesprochen werden und muss aufgehoben werden, sobald keine erhebliche Gefährdung mehr besteht», so Vögeli.

Dieser Artikel wurde zuerst im Wirtschaftsressort des «Blick» veröffentlicht.