Lautstärke wird in der Musik Dynamik genannt, und das aus gutem Grund. Denn es gehört beides dazu: laute und leise Töne. Erst das Zusammenspiel von Forte (laut) und Piano (leise) verleiht der Musik Ausdruck, Struktur und eine Botschaft, die bleibt. Gleiches gilt für Unternehmen. Leider dominiert hier das Laute. Das Leise wird überhört, und das ist gefährlich.

Fortissimo zeigt sich im Führungs- und Arbeitsalltag als Fixierung auf das Sichtbare, Dringende und Messbare. Quartalslogik, Sprintprojekte und Kampagnen fordern lautstark ein «Schnell» und «Sofort» ein. Das kann sinnvoll sein. Es übertönt aber leicht das Langfristige wie Strategiearbeit, Qualität, Kultur und Beziehungen. Zudem verstummen erste, leise Hinweise, dass man in die falsche Richtung läuft, was oft fatal endet.

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Auch Führung kann sehr «forte» sein. Manager, die mit lauter Präsenz ihre Meinung durchsetzen und wenig Raum für Widerspruch lassen, erzeugen viel «Schalldruck». Sie dominieren die «Partitur» der Meetings und verhindern echte Resonanz, die für das wirkliche Verständnis wichtig wäre. Viele Organisationen belohnen Lautstärke und Sprechtempo, nicht Präzision. Im permanenten Grundrauschen der «Busyness», etwa durch E-Mails, Kalenderketten und Dauerverfügbarkeit, hat konzentriertes Denken keine Chance. Im Aktionismus fehlt der Kommunikation die notwendige Melodie, um anzukommen.

Die Gastautorin

Katja Unkel ist Gründerin der Firma Managing People AG, die Führungskräfte und Organisationen berät, coacht und trainiert.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Laut ist nicht per se schlecht, es ist ein wichtiges Mittel. Kritisch wird es, wenn es zum Standard wird. Dann wird es anstrengend und stressig. Wir verlieren Nuancen und Energie. Dynamik bedeutet, bewusst umzuschalten, statt im selben Modus zu verharren.

Organisationen brauchen das Pianissimo. Es liefert die subtilen und entscheidenden Aspekte wie zum Beispiel ein ehrliches Feedback, unbequeme Marktbeobachtungen oder drohende Qualitätsmängel. Gefährlich wird es, wenn im Lärm der Erfolgsmeldungen erste Warnsignale untergehen. Sorgen, die noch nicht in Zahlen passen, werden stumm gestellt. Die Früherkennung fällt aus – mit verheerenden Folgen, wie die Columbia-Raumfahrtkatastrophe oder der VW-Abgasskandal veranschaulichen. Auch Chancen gehen leise verloren, denn frühe Signale sind zart. Sie brauchen Schutz, nicht Tempo. Sonst wird aus dem feinen Hinweis ein teures Ereignis, wie einst Nokia und Kodak schmerzhaft zu spüren bekamen.

Gleiches gilt für Expertise. Analytische, oft introvertierte Fachleute bringen Substanz, wenn man ihnen Zeit und Raum gibt. Im schallenden Ad-hoc-Dialog gehen ihre sorgfältig aufgebauten Einsichten und tiefgreifenden Datenanalysen unter, obwohl sie zukunftsentscheidend sind. Brillanz ist nicht immer laut.

Mentale Gesundheit ist ein starkes Pianissimo-Element. Ein Dauerfortissimo überlagert Fürsorge sowie Empathie und erodiert Vertrauen. Wer erschöpft leiser wird, fällt durch das Raster. Erst wenn Mitarbeitende durch ein Burn-out laut ausfallen, finden sie Gehör.

Genauso wie in der Musik ist die richtige Dynamik entscheidend. Unternehmen können das bewusst gestalten. Drei Schritte helfen. Erstens: Piano-Zeiten einführen, in denen nicht geliefert, sondern gedacht wird, mit Pausen, die nicht sofort gefüllt werden. Zweitens: leisen Signalen Gewicht geben mit klaren Wegen für Feedback, Qualitätswarnungen und Marktbeobachtungen. Drittens: Forte als Akzent nutzen. Auf klare Ansagen folgt Raum für Resonanz, Einordnung und Fragen. Dann wird es nicht leiser um der Ruhe willen, sondern klarer um der Zukunft willen.