Das Understatement hat Roche definitiv abgelegt. Früher eher verschwiegen, diskret und fast ein wenig arrogant, zeigt der Pharmakonzern heute gerne bei fast jeder Gelegenheit, was er hat und was er kann. Auffällig war das schon zu Beginn der Coronakrise. Da traten CEO Severin Schwan und vor allem VR-Präsident Christoph Franz unüblich häufig in den Medien auf. Die Message dabei: Wir sind Teil der Lösung. 

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Und nun, im Jahr zwei der Corona-Pandemie, heisst es bei Roche bald: «Celebrate Life – Feier des Lebens». Es ist das Motto des 125-Jahr-Jubiläums der Gründung am 1. Oktober 1896. Roche zieht im Herbst ein Mega-Spektakel auf. Während vier Tagen wird für die Bevölkerung eine Lichtshow an den Turm 1 projiziert, dem höchsten Bürogebäude der Schweiz. Musikalisch begleitet vom Sinfonieorchester. 

Bereits Tage vor der Bekanntgabe dieser Show stellte die selbstbewusste Roche den Bau 2 vor. Das Monument - der Einzug der Belegschaft soll in einem Jahr erfolgen - ist mit 205 Metern nochmals eine Spur mächtiger als der 2015 eröffnete Nachbarturm. Die beiden Wolkenkratzer sind das unübersehbare Aushängeschild der Stadt Basel. Eine Spur «Rheinhattan» in der Nordwestschweiz.

Severin Schwan und Christoph Franz

Severin Schwan (l.) ist seit 2008 CEO von Roche, Christoph Franz VRP seit 2014. Im ersten Halbjahr 2018 hatte Schwan seine schwierigste Zeit beim Pharmakonzern auszustehen.

Quelle: Patrick Straub/Keystone

Als wäre es Teil der Inszenierung im Jubiläumsjahr, spielt auch die Börse mit. Der Genussschein von Roche hat seit Anfang Mai 19 Prozent zugelegt. Damit hat Roche die beste Aktie im 21 Mitglieder grossen europäischen Bloomberg Pharma-Index in den letzten knapp zweieinhalb Monaten. Der «Bon», wie der Genussschein an der Börse liebevoll genannt wird, liegt mit 353 Franken bei einem Rekordhoch.

Weil sich der Genussschein im ersten Halbjahr kaum bewegte, resultiert immerhin noch ein Plus von 14 Prozent seit Jahresbeginn. Im ewigen «Beauty Contest» der Pharma-Rivalen am Rheinknie reicht das locker, um Novartis in den Schatten zu stellen. Die Aktie der Nummer zwei am Pharma-Platz Basel kommt gerade mal auf 1 Prozent seit Jahresbeginn. Mit einer Marktkapitalisierung von 307 Milliarden Franken ist Roche zudem dem wertvollsten Schweizer Konzern Nestlé nahe gekommen (323 Milliarden Franken).

Gewiss: Investorinnen und Investoren haben sich in den letzten Wochen wieder vermehrt den defensiven Aktien und so genannten Value-Werten zugewandt. Aber das erklärt die Roche-Hausse an der Börse nicht vollumfänglich. «Die Zulassung des Alzheimer-Medikaments von Biogen hat sich auch positiv auf die Roche-Aktie ausgewirkt, da Roche mit Gantenerumab ebenfalls ein Medikament gegen Alzheimer in der Entwicklung hat», erklärt Carla Bänziger, Portfolio-Managerin bei Vontobel Asset Management. Bisher seien die Chancen für eine Zulassung als sehr gering erachtet worden, «aber mit dem Paradigmenwechsel der FDA kamen da Fantasien auf», so Bänziger.

Ein Durchbruch bei Alzheimer birgt tatsächlich grosses Marktpotenzial. Das Mittel von Roche könnte jährlich bis 10 Milliarden Dollar einbringen - ein so genannter «Megablockbuster». Die Chancen für eine Zulassung stehen etwa 50:50 oder höher. Bis nächstes Jahres köchelt diese Fantasie im Kurs, denn dann werden Studienergebnisse zu Gantenerumab erwartet. Auch wenn die US-Arzneimittelbehörde FDA nun untersuchen lassen will, ob im Bewilligungsverfahren zum Alzheimer-Medikament von Biogen alles korrekt abgelaufen ist.

Im ersten Halbjahr 2018 stand CEO Severin Schwan schwer unter Druck

Die derzeit wunderbare Börsenwelt von Roche steht in scharfem Kontrast zur Situation vor genau drei Jahren. Damals fand im ersten Halbjahr die gegenteilige Kurs-Entwicklung statt. Der Roche-Bon verlor von Januar bis Juni 2018 satte 16 Prozent und - schlimmer noch - sackte Mitte Juni auf den Stand von 2013 ab. Derweil glänzte die Aktie von Novartis. CEO Severin Schwan stand erstmals in seinen zehn Jahren Amtszeit im Gegenwind. «Warum der Roche-Chef gefordert ist wie nie zuvor», titelte die «Bilanz». Die Rücktrittsfrage wurde herumgeraunt, und plötzlich wurden Schwans 15 Millionen Franken Jahreslohn zum grossen Thema. Eine Vergütung, welche «nicht zu einem Aktienkurs passt, der seit Jahren sinkt», wie cash.ch damals schrieb.

Hintergrund der damaligen Roche-Baisse ist fast schon ein Klassiker der Pharmabranche: Der Ablauf von Patenten und die Furcht der Investoren, dass die Firmen die Medikamente nicht mit neuen Produkten kompensieren können. Die Roche-Umsatzrenner und Krebsmedikamente Rituxan, Avastin und Herceptin, damals verantwortlich für rund 40 Prozent des Gesamtumsatzes von Roche, verloren 2018 alle gleichzeitig Patente. Entsprechend nervös war der Markt. Schwans Glück war (und ist) aber, dass er die Roche-Mehrheitsktionäre, die Familien Oeri und Hoffmann, in seinem Rücken weiss. Und diese wissen ihrerseits um die Produkte-Zyklen, welche die Pharmaindustrie prägen. 

Aktienkursvergleich

Aktienkursentwicklung angeglichen zwischen Roche (rote Linie) und Novartis (grüne Linie) seit Anfang 2018.

Quelle: cash.ch

Das Roche-Patent-Problem bleibt bis heute. Die drei grössten Krebsmedikamente haben im letzten Jahr zusammen erneut rund 30 Prozent ihres Umsatzes verloren. Das macht die erkleckliche Summe von fast 6 Milliarden Franken aus. Erst im nächsten Jahr soll diese Zahl auf mehr als die Hälfte davon sinken und neue Krebsmittel sowie das Multiple-Sklerose-Medikament Ocrevus für eine Kompensation verantwortlich sein.

Roche hat das bessere Narrativ als Novartis

Zurück zum schwierigen 2018: Mit den Halbjahreszahlen schwand das Investorenmisstrauen - und der Genusschein klettert seither, mit dem Coronaunterbruch im letzten Jahr, bis heute. «Allgemein ist zu sagen, dass mit der Coronapandemie einem breiten Publikum deutlich gemacht wurde, dass Roche nicht 'nur' eine Pharmafirma ist, sondern dass sie auch im Diagnostikbereich der Marktführer ist», sagt Portfoliomanagerin Carla Bänziger von Vontobel.

Die sonst im Schatten des Pharmageschäfts stehende Diagnostik-Sparte wuchs 2020 wegen des boomenden Coronatest-Geschäfts tatsächlich um 14 Prozent, während das Pharmabusiness leicht rückläufig war. Wie nachhaltig diese neuen Erträge sind, ist unsicher. Allerdings fehlen den Pharmaunternehmen auch gerade wegen Corona gewisse Einkünfte. «Der Umsatz wäre höher, wenn die Leute zum Arzt gehen würden - was sie aufgrund der Pandemie nicht immer tun», sagte Severin Schwan beim Jahreszahlen im Februar.

Investorinnen und Anleger blicken nun auf den 22. Juli, wenn Roche die Halbjahreszahlen präsentiert. Der Börsenkurs dürfte in nächster Zeit kaum Schaden nehmen, dafür sorgen auch teils überaus grosszügige Preisziele von Analysten. Die Deutsche Bank erhöhte dieses kürzlich auf 425 Franken, Goldman Sachs sieht den Genussschein in zwölf Monaten gar bei 432 Franken - was einem Potenzial von 20 Prozent entspräche. Auch nach unten scheint Roche gut abgesichert: Als am letzten Donnerstag am Swiss Market Index nach langem wieder mal ein Ausverkauf stattfand, nahm der Bon von Roche von den 20 Index-Aktien am wenigsten Schaden und gab nur 0,5 Prozent nach.

Die Börse lebt nun mal von Narrativen und Storys. Und davon hat Roche derzeit die besseren als Lokalkonkurrent Novartis.

Dieser Artikel erschien zuerst bei «Cash» unter dem Titel: «Vor drei Jahren Flop, heute Top: Warum Roche an der Börse plötzlich glänzt».

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Daniel Hügli
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