Eines muss man Mario Irminger lassen: Wo andere Manager in der Frühphase ihres neuen Jobs öffentlich Plattitüden verbreiten, ihre Phrasen von Wohlfühlklima, höchstmotivierten Angestellten und grossartigen Chancen in den Raum sprayen, pflegt der neue Migros-Chef einen anderen Auftritt. Irminger schwebt nicht im Corporate-Honeymoon, sondern steht auf dem Boden der Tatsachen. Der Mann weiss, was beim orangen Riesen wo im Argen liegt. Besser und ungewöhnlicher noch: Er spricht darüber.

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Irminger sieht, dass es in den Supermarktfilialen Investitionsbedarf gibt. Und sagt es. Er erzählt freimütig, dass man mit den Fachmärkten Geld verliert. Er gibt zu, wie komplex es sein kann, im Migros-Föderalismus ein nationales Konzept für das Supermarktgeschäft zu entwerfen. Und natürlich predigt er das Rezept des Fokussierens: Wer sich auf weniger Geschäftsfelder beschränkt, kann dort mehr Know-how bündeln und wird es somit besser machen. Das alles in verständlichen Worten, frei von Managementsprech. Ein «M» besser, wäre man fast versucht zu sagen.

Die Botschaft hinter Irmingers Aussagen wird schnell klar: Da reift eine neue Migros heran. Eine, die nicht nur Umsatz bolzen, sondern auch ein Ergebnis sehen will. Keine wilde Diversifikation mehr beim orangen Riesen und keine notorischen Verlustbringer. Finger weg vom Wagniskapitalgeschäft und von heissen Wetten auf die Zukunft. 

Was er nicht will, ist klar. Aber was will er?

So weit, so gut. Und trotzdem bleibt auch noch zehn Monate nach Irmingers Amtsantritt ein etwas flaues Gefühl zurück. Weil es da eine gewisse Asymmetrie gibt. Was Mario Irminger nicht will, macht er klar. Unklar dagegen bleibt: Was will der Mann denn eigentlich?

Geschäftsfeld Gesundheit beispielsweise. Da wolle man Opportunitäten wahrnehmen, sagt Irminger, in fast schon wesensfremdem Corporate-Gschnurr. Interessanter wäre natürlich: In welche Richtung geht es, wie gross soll das noch werden? Besser noch: Hat Dr. Migros vielleicht sogar eine verblüffende (oder kämpferische) Idee, wie man die Kosten im Gesundheitswesen reduzieren könnte?

Oder das Themenfeld Supermarkt: Wie will die Migros ihre Kundinnen und Kunden so nachhaltig begeistern, dass sie von ihren Ausland-, Aldi- und Lidl-Fremdgängen zurückkehren? Soll das vor allem mit tiefen Preisen geschehen? Oder mit einem Trading-up beim Shopping-Erlebnis? Setzt man verstärkt auf Markenartikel oder will man die eigene Industrie zu neuen Topleistungen anspornen und so Produkte in die Läden bringen, wie man sie sonst nirgends in dieser Qualität und zu diesem Preis sieht?

Was will Mario Irminger? Die Migros-Kundinnen und -kunden hätten da mehr Ideen- und Wissensvermittlung verdient. Zumal ihnen das Unternehmen ja auch gehört.

Andreas Güntert
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