Das politische Klima in Deutschland ist vergiftet. Die Wirtschaft läuft nicht. Die Infrastruktur von Schiene, Strasse und Strom ist unzureichend. Der Lebensstandard ist deutlich tiefer als bei uns. Es gibt mehr Ungleichheit und mehr arme Menschen. Die Kassen sind leer, obwohl der Staat die Hälfte des Volkseinkommens für sich beansprucht. Drei ostdeutsche Bundesländer drohen in diesem Jahr unregierbar zu werden.

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Zumindest aus Schweizer Perspektive erscheint dieser Befund kaum umstritten. Und doch gibt es immer wieder die Tendenz, dem grossen Nachbarn alles nachmachen zu wollen. Zumindest in Politik und Medien. In der Politik haben sich die Extremparteien und ihre Internet-Trolle einer Strategie der Entrüstung und Polarisierung verschrieben, wie sie die Deutschen seit Jahren kennen. Wissenschaftsverleugnung, Faktenverdrehung und vor allem Empörung sind da an der Tagesordnung.

Wer nicht glauben will, dass es das bei uns auch gibt, möge sich nur auf X umschauen zu Themen wie AHV-Initiativen, Krankenversicherungsprämien, EU-Verhandlungen oder Mietpreisdeckel. Statt auf die historische Stärke der schweizerischen politischen Kultur von Sachlichkeit, Zuhören und Kompromiss zu setzen, wird gepoltert und polarisiert.

Der Gastautor

Der Ökonom Klaus Wellershoff ist Gründer und Verwaltungsratspräsident von Wellershoff & Partners sowie Honorarprofessor an der Universität St. Gallen.

Wie man dem begegnen kann? Mit Sachlichkeit, Zuhören und Kompromiss. Vor allem aber damit, die von den Menschen empfundenen Probleme zu lösen und nicht zugunsten der eigenen Agenda wegzudiskutieren. Sprachverbote darf es keine geben. Fakten – nicht ideologische Fiktionen– müssen im Mittelpunkt stehen.

Man sollte meinen, dass das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sei. Bei unseren nördlichen Nachbarn leider nicht mehr. Warum? Auch weil die Qualität des Journalismus dort enorm gelitten hat. Viele Medienschaffende sind fachlich nicht mehr in der Lage, die Behauptungen der Politiker kritisch zu hinterfragen. Wer das nicht kann, kann nur noch über Streit berichten. Streit ist aber negativ besetzt und die Akzeptanz der Demokratie schwindet.

Wer verhindern will, dass es auch bei uns so weit kommt, muss den Journalismus in privaten und staatlichen Medien stärken. Halbierungsinitiativen sind da kontraproduktiv. Wir sollten Qualitätsjournalismus bei privaten und öffentlichen Anbietern fördern. Damit es nicht so weit kommt wie in Deutschland, braucht es aber auch selbstkritische Journalisten. Davon gibt es auch bei uns leider immer weniger.