An diesem spätsommerlichen Samstag drängen sich zwischen Theken und Ladengestellen etwa drei Dutzend Leute, bewehrt mit Gläsern und Spucknapf. Der Mövenpick Weinkeller Zug hat zur Degustation geladen. Die Stimmung ist entspannt, die Weine finden Zuspruch und guten Absatz. Was wohl am Discount von bis zu 50 Prozent liegt. Zwei Gastwirte räumen beim Billig-Bordeaux ab, eine elegante Dame gesetzteren Alters lässt Aktionsweine für über tausend Franken ins Auto stapeln. Eine Woche später allerdings, die Aktion ist vorbei, haben die Verkäufer viel Zeit, die gerade mal drei Kunden zu bedienen.

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Dabei läuft das Weingeschäft bei Mövenpick vergleichsweise gut. CEO Ueli Eggenberger erwartet für dieses Jahr im Schweizer Geschäft einen lediglich um wenige Prozent tieferen Umsatz von rund 105 Millionen Franken. Die Ebit-Marge hat sich zwar gegenüber dem Spitzenjahr 2000 halbiert, liegt aber mit fünf Prozent immer noch deutlich über dem Branchendurchschnitt.

Beim Gros der Händler dagegen macht sich Katerstimmung breit. Um überhaupt noch ausreichend Bares in die Kassen gespült zu bekommen, müssen sie zu Notmassnahmen greifen. Die Weinkellerei Wy zum Turm verscherbelt Bordeaux der Jahre 1997 und 1998 zu Liquidationspreisen, beispielsweise den sagenhaften Château Latour mit einem Abschlag von 47 Prozent. Eine spezielle Masche, um stracks zu Geld zu kommen, liess sich Millésima einfallen: Wenn ein Kunde beim in Bordeaux domizilierten Weinhändler eine Kiste Bordeaux von 1998 und 1999 orderte, erhielt er zwölf Flaschen desselben Weins mit Jahrgang 2001 gratis. Andere Händler buhlen sogar im Weihnachtsgeschäft, die umsatzstärkste Zeit für die Branche, mit Ausverkaufspreisen um Kunden.

Auch im Detailhandel muss der Weinverkauf im Mittelpreissegment angekurbelt werden. So lockte Coop, mit 500 Millionen Franken Umsatz die Nummer eins, mehrmals mit einem Rabatt von 20 Prozent. Dazu gesellen sich Sonderangebote, über die Weinkenner den Kopf schütteln. Mit einem Abschlag von 35 Prozent regelrecht verramscht wurde beispielsweise der legendäre Süsswein Château d’Yquem. Denner wollte nicht hintenanstehen und zog mit einem 20-Prozent-Discount nach. Da nehmen sich die zehn Prozent an Rabatten von Globus fast bescheiden aus. «Was hier abläuft, grenzt an Selbstmord», meint der Chef eines bedeutenden Handelshauses konsterniert.

Längst hat es sich ausgeboomt im Weinmarkt, die Branche klönt ob des stockenden Absatzes. Allerdings wird weiterhin kräftig gebechert, im Weinjahr 2002/03 zwar 1,3 Prozent weniger, doch mit 286 Millionen Litern immer noch überaus reichlich. Von dieser Menge entfallen, so schätzt Ernest Dällenbach,

Direktor der Vereinigung Schweizer Weinhandel, zwei Drittel auf die Grossverteiler und ein Fünftel auf den Fachhandel. Der Rest verteilt sich auf Selbsteinkellerer – immer mehr von den etwa 10 000 Schweizer Winzern vermarkten ihre Weine selbst – sowie auf Händler ohne Patente. Zahlen übrigens sind in diesem Wirtschaftszweig Mangelware; weder Grossverteiler noch Händler lassen sich in ihre Weinkarte blicken.

Wertmässig gibt der Weinhandel ebenfalls einiges her; Dällenbach taxiert das Umsatzvolumen inklusive Gastronomie auf 3,5 Milliarden Franken. Hier allerdings kommt der Grosshandel, weil dessen Sortiment auf weitaus billigere Weine ausgerichtet ist als der Fachhandel, auf einen deutlich tieferen Anteil. Gemäss dem Weineinkäufer eines Discounters erzielt der Detailhandel einen Weinumsatz von 1,3 bis 1,5 Milliarden. Die Händler wiederum kommen beim Umsatz auf einen weit höheren Anteil als bei der Menge; ihr Marktanteil beläuft sich auf über ein Drittel, was einem Verkaufserlös von etwa 1,2 bis 1,3 Milliarden Franken entspricht.

Wein als Anlageobjekt
Wenig berauschend


Wer in Wein investiert, sollte nur Tropfen kaufen, die auch ihm selbst munden», rät Philipp Schwander, der einzige Master of Wine der Schweiz. Dann könne der Weinanleger seine vermeintlichen Schätze selbst trinken, falls sich das Investment nicht auszahle. Und dieses rechnet sich nur in den seltensten Fällen, obwohl Freunde des Rebensaftes in weinseligem Gespräch von berauschenden Renditen zu berichten wissen. Nur ist das Bordeaux-Fieber der Neunzigerjahre längst abgeklungen, bei der Subskription der Jahrgänge 2001 und 2002 sind die Preise zum Teil ins Bodenlose gefallen. In der Branche rechnet kaum jemand mit einer
baldigen Erholung.


Anlagen in Wein setzen viel Fachwissen voraus, gerade bei der Auswahl. Mövenpick-Wein-CEO Ueli Eggenberger rät zu den «besten Jahrgängen der renommiertesten Bordeaux». Ins gleiche Horn stösst Marc Fischer, Verwaltungsratspräsident der Steinfels Weinauktionen; ihm gefallen Spitzen-Bordeaux der Jahre 1982, 1986, 1988 und 1990. Ebenfalls als attraktiv, weil deutlich unterbewertet bezeichnet er Gewächse des Jahrgangs 1995 und 1996. Hände weg von Durchschnittsweinen aus dieser Region. Burgunder wiederum sind heikel hinsichtlich einer langen Lagerung, und italienische Topweine halten bezüglich Alterung und Preissteigerung selten, was sich der Anleger von ihnen verspricht.


Wer ältere Weine erwirbt, muss auf das Füllniveau sowie den Zustand der Etikette und des Korkens achten. Sonst ist beim Wiederverkauf mit Preisabschlägen zu rechnen. Ein Problem stellt die Lagerung dar. Die Verwahrung beim Spezialisten kostet viel Geld. Der eigene Weinkeller dagegen ist nur selten geeignet. Die endgültige Ernüchterung kommt dann beim Verkauf der Weinpreziosen. Diese lassen sich nicht so ohne weiteres versilbern, oft bleibt nur der Weg über den Auktionator. Doch der kassiert für seine Dienste bis zu 15 Prozent an Kommission. Nach Berappung von Mehrwertsteuer, Transport- und Versicherungskosten endet der Ausflug ins Weingeschäft für manchen Anleger mit einem Verlust.

Der Branche wird die Freude an der Trinkfestigkeit des Schweizers dennoch vergällt. Denn der Konsument greift im Weingestell nicht mehr splendid zu teuren Toskanern oder Bordeaux, sondern angelt sich wohlfeilere Flaschen aus Navarra oder Sizilien. «Weine mit Preisen von über 50 Franken liegen wie Blei in den Regalen des Fachhandels», beobachtet Hans-Jörg Degen, Redaktionsverantwortlicher für die Schweizer Ausgabe des Weinmagazins «Vinum».

Das neue Preisbewusstsein ist Folge der stockenden Wirtschaft und welkender Boni. Seit der Stellenabbau auch in den Topkadern Alltag ist, wird der Lebensstandard nicht mehr an der Anzahl Grand Crus im Keller gemessen. Die Branche trauert auch den Golden Boys nach, die via Börsengewinne ihre Flaschenbestände mit teuersten Säften aufforsten liessen.

Nun treten die in den Boomjahren übertünchten Probleme brutal zu Tage. Vor allem die proppenvollen Lager hängen als Ballast an den Weinhändlern, die Finanzierungskosten drücken schwer auf den Ertrag. Kommt hinzu, dass die Branche von den Banken als risikobehaftet eingestuft wird. Das schlägt sich in höheren Kreditzinsen von zwei bis drei Prozentpunkten nieder. Ein Händler mit einem Lager im Wert von 30 Millionen Franken hat also allein fürs Risiko gegen eine Million zu bezahlen. So ist schnell einmal der Jahresgewinn dahin.

Sorgen bereitet im Weiteren, dass die eingelagerten Flaschen oft zu Mondpreisen in den Büchern stehen. «Viele Fachhändler haben die Preissteigerungen im Inventar angeglichen», erläutert Ueli Eggenberger von Mövenpick Wein. Das geht so lange gut, wie die Weinpreise anziehen. Nur sind diese, gerade bei Bordeaux und Burgunder, in den letzten zwei Jahren ins Bodenlose gestürzt. Nun orten Experten einen Abschreibungsbedarf von zig Dutzenden Millionen.

Wer es sich als Händler erlauben kann, leert seine Lager über Aktionen. Dennoch wandern die Kunden ab. «Früher war beim Weineinkauf das Prestige-Shopping Trumpf, heute ist es das Smart Shopping», freut sich Markus Meny, Leiter Category-Management Wein bei Pick Pay. Der Discounter hat 2003 weit über zehn Prozent mehr Wein verkauft. Zufrieden zeigt sich auch Peter Kaul, bei Denner zuständig für den Getränkebereich: «Wir legen stark zu beim Weinumsatz.»

Dennoch ist Verunsicherung zu spüren. Sich sträubende Nackenhaare ruft das Stichwort Migros hervor; der Schweiz mächtigster Detailhändler soll Pläne wälzen, sich doch noch im Weinmarkt zu etablieren. Für Jean-Pierre Mürset, als einstiger Chef des Weingrosshändlers Garnier ein Kenner der Szene, ist jedenfalls klar: «Die Migros kommt nicht darum herum, über kurz oder lang ins Weingeschäft einzusteigen.» «Das ist kein Thema», blockt Migros-Pressesprecher Urs Peter Naef ab. Doch BILANZ weiss: Die Migros liess von Spezialisten Abklärungen treffen; vor dem Führungsgremium wurde eine Präsentation gemacht. «Dieser Gesprächsstoff kam kürzlich wieder auf den Tisch der Generaldirektion», bestätigt Naef nach einigem Zögern. «Wenn die Migros im Weinmarkt mitmischt, müssen viele Händler wieder bei Adam und Eva anfangen», befürchtet Hans-Jörg Degen vom Schweizer Weinmagazin «Vinum». Um ihre Umsätze zu bangen haben aber vor allem die anderen Detailhändler, in erster Linie Pick Pay und Denner. Deren Politik ist es, sich möglichst nahe bei einem Migros-Laden einzumieten. Doch auch Coop müsste einen guten Teil von seinen 500 Umsatzmillionen abgeben. Ja die gesamte Branche würde kräftig aufschäumen.

Wie auch der Weinhandel. «Weinhändler ist ein Modeberuf geworden», erzählt Philipp Schwander, der als einziger Schweizer die Prüfung zum Master of Wine bestanden hat. Das Resultat: Unter den Händlern machen sich immer mehr Flaschen breit. Nicht weniger als 2424 registrierte Händler drängen sich im Markt; einst waren es halb so viele. Dazu gesellen sich «2000 bis 3000 Feierabendhändler», vermutet Dällenbach vom Schweizer Weinhandel. Zwar setzen solche Hobby-Weinkrämer lediglich einige Dutzend Kisten um, machen aber gerade im Hochpreissegment dem Handel doch einiges an Volumen streitig.

In den nächsten Jahren, darüber herrscht in der Branche Einigkeit, kommt es zu einem Bereinigungs- und Konzentrationsprozess. Wer es nicht schafft, sein Sortiment zu straffen, die Lager herunterzufahren und sich in einer Nische zu positionieren, geht unter. «Jeder dritte Händler wird verschwinden», meint die Weinjournalistin Chandra Kurt. Um ihr Überleben kämpfen müssen vor allem die mittelgrossen Händler. Die mächtigen Anbieter dagegen vermögen schrumpfende Margen über zusätzliche Mengen auszugleichen. Die Kleinhändler wiederum können sich eher als Nischenplayer positionieren.

Wie Philipp Schwander. Der 38-jährige Betriebsökonom hat nicht nur seine feine Nase für Rebensaft, sondern auch sein Gespür fürs Weingeschäft unter Beweis gestellt. Im vergangenen September eröffnete er unter dem Namen Selection Schwander eine Weinhandlung, an der er mit 51 Prozent beteiligt ist. «Niemand hat auf uns gewartet», zeigt er sich realistisch. Also musste ein aussergewöhnliches Konzept her: Mehrmals jährlich werden jeweils sechs verschiedene Weine angeboten. Die Kunden, per Mailing orientiert, bestellen im Voraus und profitieren dafür von günstigeren Preisen. So weiss Schwander, welche Menge er bei den Produzenten bestellen muss. Dadurch können Lager und damit Fixkosten sehr klein gehalten werden. Der erste Verkaufsblock «ist extrem gut gelaufen», freut sich Schwander.

Im Weinhandel hat es immer wieder Zyklen gegeben. Weshalb denn auch viele Häuser auf bessere Zeiten hoffen. Sie hoffen vergeblich. Philipp Schwander: «Die goldenen Neunzigerjahre kommen nicht mehr zurück.»