Das Verschweigen beginnt leise. Ein Projekt läuft nicht wie geplant, aber man wartet noch, denn «das wird schon wieder». Die Stimmung im Team kippt, doch man «will jetzt nicht irritieren». Der Markt sendet Warnsignale, man klammert sich an das noch gute letzte Quartal. Man glaubt, es noch in den Griff zu kriegen, oder hofft, dass es sich von allein löst. So wird das schwierige Gespräch aufgeschoben und die unliebsame Meldung weiter hinausgezögert – bis alles mit grossem Getöse eskaliert. Kein böser Wille oder Inkompetenz stecken dahinter, sondern etwas zutiefst Menschliches.
Wir alle schieben unliebsame Dinge gerne vor uns her. So auch die unbequeme Wahrheit, denn sie verlangt Konsequenzen. Man muss Entscheidungen treffen, womöglich Fehler eingestehen oder gar enttäuschen. Das ist unangenehm – besonders für Menschen in Verantwortung, die sich als Problemlöser verstehen und nicht als Problemverkünder.
Gerade in schwierigen Zeiten wird das Verbergen von Zweifeln mit dem Zeigen von Stärke verwechselt. Unsicherheit kann man sich nicht leisten. Und niemand will zu den Bedenkenträgern gehören. Die Folge ist eine explosive Mischung aus Beschönigungen, taktischem Lavieren und gefährlichen Halbwahrheiten. Alles soll handlungsfähig wirken, ist aber ein Aufschieben des Unvermeidlichen.
Die Gastautorin
Katja Unkel ist Gründerin der Firma Managing People AG, die Führungskräfte und Organisationen berät, coacht und trainiert.
Die Wahrheit bahnt sich immer ihren Weg. Irgendwann kippt es und eskaliert. Dann wird aus dem, was man hätte ansprechen können, ein Vertrauensbruch, aus dem, was man wusste, eine Fehlentscheidung und aus dem, was man verschwiegen hat, ein handfester Skandal. Es folgt Schadensbegrenzung, die viel Geld, Nerven und Vertrauen kostet. Das wäre vermeidbar gewesen mit dem berühmten Schritt zurück; nicht als Rückzug, sondern als Führungsstärke.
Je turbulenter und krisengeschüttelter die Zeiten sind, desto mehr müssen wir gezielt handeln. Je grösser der Stress, desto grösser ist die Gefahr der Affekthandlung. Dem Druck der Schnelligkeit fällt das Innehalten und das Nachdenken zum Opfer. Rückblickend sehen wir sofort, dass wir offenen Auges in die Eskalation gelaufen sind. Daher empfiehlt sich als erste Regel das feste Einplanen regelmässiger Denkpausen, um die unangenehme Wahrheit in Ruhe anzuschauen. Kann ich das Projekt wirklich allein auf Kurs bringen? Ist die Stimmung im Team tatsächlich nur vorübergehend schlecht? Die Wahrheit wird sich deutlich zeigen und mit ihr dann auch der Lösungsweg.
Als Zweites sollte immer der Grundsatz «Keine Überraschungen!» gelten, besonders für jede Form der Zusammenarbeit. Diese Regel ist einfach und ein pragmatisch gelebtes Frühwarnsystem. Im Beruflichen wird man ungern überrumpelt, egal ob mit guten oder schlechten Nachrichten. Wir brauchen Vorabinformationen, um recht-zeitig und klug handeln zu können. Obige Regel ermutigt, frühzeitig aufzuzeigen, dass etwas im Argen ist, sich ändern oder schieflaufen könnte.
Gute Führungskräfte etablieren beide Prinzipien und unterstützen ihr Team, indem sie nicht mit Gewissheiten glänzen, sondern mit Aufrichtigkeit. Es sollte normal sein, drohende oder mögliche Probleme anzusprechen. Das ist eine wichtige Form des Mitdenkens und hoch relevant. Es geht nicht darum, permanent alles infrage zu stellen, sondern um kritisches und konstruktives Denken. Es geht darum, frühzeitig agieren und gegenlenken zu können, um kleine und grosse Katastrophen zu verhindern.