Niklas Nikolajsen fällt auf. Es sind nicht nur die langen Haare, die er zum Rossschwanz gebunden trägt, der Schnauz und das Kinnbärtchen, sondern es ist auch seine Kleidung. «Ich habe mir nie etwas aus Mode gemacht», erklärt er. Deswegen habe er sich vor 20 Jahren entschieden, seine Garderobe an einem täglich gleichen Konzept auszurichten. «Das vereinfacht mein Leben, und ich habe mehr Zeit für meine Arbeit», sagt er.

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Sein Stil ist an die Mode aus den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts angelehnt: schwarze Lederschuhe, schwarze Wollhosen, weisses Hemd, ein Gilet und dazu ein Admiral’s Frock Coat, ein Mantel im Stil der Royal Navy. Er selbst nennt es einen klassischen Look und ist sich bewusst, dass sein anachronistisches Outfit im Gegensatz zur revolutionären Technologie steht, mit der er arbeitet und die das Finanzsystem umkrempeln könnte.

Don Quijote

Es ist 8 Uhr 30, wir sind bei der Firma Bitcoin Suisse AG, und Niklas Nikolajsen ist deren Chef. «Don Quijote von Bitcoin» nennt ihn wohlwollend Daniel Diemers, Partner bei der Strategieberatung Strategy& von PwC und Mitbegründer der Swiss Finance + Technology Association. Der Beiname passe zu Nikolajsen, weil er als einer der Ersten der Branche in der Schweiz gegen viele Mühlen habe kämpfen müssen.

Diemers wandert diesen Morgen durch das Crypto Valley, das sich zwischen Baar und Zug erstreckt. Dort hat sich ein gutes Dutzend Firmen angesiedelt, die mit der Blockchain-Technologie arbeiten. Diese kann dafür sorgen, dass es den Banken ergeht wie der «Brockhaus»-Enzyklopädie mit Wikipedia, der Musikindustrie mit Spotify, dem Taxigewerbe mit Uber und den Medienunternehmen mit Google und Facebook: Es entwickeln sich ganz neue Geschäftsmodelle, Traditionsfirmen gehen unter, neue Grosskonzerne entstehen.

An der Lättichstrasse 1 in Baar, dem Sitz von Bitcoin Suisse, ist vom Umsturz der Bankenwelt aber nichts zu sehen. Die Firma befindet sich in einem Areal, das vor allem Kleingewerbe beheimatet.

Das Revolutionäre

Das Revolutionäre an der Blockchain ist, dass damit zwei Parteien einander vertrauen können, auch wenn zwischen ihnen kein Vertrauensverhältnis besteht und sie vielleicht sogar weit voneinander entfernt sind. Normalerweise ist in solchen Situationen eine Drittpartei nötig, der die beiden vertrauen. Etwa ein Notar bei Grundstücksübertragungen, eine Bank bei Geldgeschäften oder eine Revisionsgesellschaft bei Firmenabschlüssen. Mit der Blockchain sind solche Drittparteien überflüssig. Die Vertrauensposition ist mittels mathematischer Methoden und eines dezentralen Konsensprinzips in die Blockchain eingebaut.

Im Grundsatz ist die Blockchain ein öffentliches Register, das dezentral, auf den Computern aller Teilnehmer, alle Transaktionen speichert, die jemals stattgefunden haben. Die Transaktionen werden verschlüsselt, in Blöcken gegliedert und miteinander verkettet, woraus sich der Name Blockchain ableitet.

Bitcoin ist eine Blockchain

Bitcoin ist die erste bei einem breiteren Publikum funktionierende Applikation der Blockchain-Technologie. Dank Bitcoin kann sich ein Verkäufer darauf verlassen, dass der Käufer wirklich die benötigten Bitcoins besitzt und den Bitcoin-Betrag, der dem Verkäufer versprochen wurde, nicht gleichzeitig noch jemand anderem versprechen kann.

Wer mit dem Exportgeschäft vertraut ist, mag sich an Akkreditive erinnern, wo zwei Banken jeweils für das Vertrauen zwischen Importeur und Exporteur sorgen. Die eine Bank versichert der anderen, dass die Güter geliefert wurden, und jene, dass der Betrag auf dem Konto ist. Jetzt kommen Exporteur und Importeur ins Geschäft. Auch bei gewöhnlichen Kreditkartenzahlungen ist es eine zentrale Institution, eine Kreditkartenfirma, die Vertrauen zwischen Käufer und Verkäufer schafft. Sie stellt sicher, dass der Käufer das Geld hat, denn sonst lehnt die Kreditkartenfirma die Transaktion ab.

Mit Bitcoins ist eine solche Institution, eine Bank oder eine Kreditkartenfirma, nicht mehr notwendig. Der Käufer kann schlicht nicht kaufen, wenn er den Betrag nicht besitzt. Dazu braucht es keine Bank, die das kontrolliert.

Möglichkeiten ausloten

Die Banken haben das Potenzial der Blockchain-Technologie erkannt und sind selber daran, deren Möglichkeiten auszuloten. Die UBS etwa hat in London, an bester Lage im Büroviertel Canary Wharf, ein Blockchain-Lab aufgebaut.

Während die UBS noch experimentiert, handelt Nikolajsen schon mit Bitcoins. Im Idealfall kauft er an einer Börse zu tiefen Preisen und verkauft an einer anderen zu leicht höheren. Mit seinem Geschäft verbessert er die Handelbarkeit von Bitcoins, denn er erhöht die Liquidität. Ein Bitcoin kostet derzeit rund 350 Franken.

Kein Konto in der Schweiz

Niklas Nikolajsens Firma beschäftigt sieben Mitarbeiter und macht rund zehn Millionen Franken Umsatz pro Jahr. «Damit sind wir die grössten Händler für Bitcoins in Europa», sagt er. Die Margen in dem Geschäft seien aber sehr gering. «Ein Friseurgeschäft würde mit einem Umsatz von zehn Millionen Franken deutlich mehr Gewinn erwirtschaften als wir.»

Im Gegensatz zum Friseurgeschäft wird der Handel mit Bitcoins oft als gefährlich eingestuft, weil damit Geld gewaschen und illegale Geschäfte getätigt werden könnten. «In den Anfängen einer neuen Technologie ist es schwierig, diese einzuschätzen», so Nikolajsen. Er erinnert an die Anfänge des Automobils, an den Red Flag Act, der in Grossbritannien im Jahr 1865 eingeführt und erst 1896 wieder abgeschafft wurde. Das Gesetz verlangte, dass vor jedem fahrenden Automobil ein Mann mit roter Flagge laufen müsse, um die Bevölkerung zu warnen.

«Natürlich muss das Geschäft reguliert werden», sagt Nikolajsen. Das bringe Rechtssicherheit. Dass er aber kein Konto bei einer Schweizer Bank eröffnen könne, sei ein Geschäftsnachteil. Er habe 53 Schweizer Banken gefragt. Schliesslich sei er nach Liechtenstein ausgewichen.

Es seien solche Hindernisse, die dazu führten, dass die Branche in der Schweiz ihrem Potenzial hinterherhinke. Nur 100 Beschäftigte habe die Industrie hierzulande, während es weltweit 15'000 seien.

Klare Regeln für die Firmen

Auf dem Weg von Baar nach Zug zum nächsten Termin im Crypto Valley erklärt Diemers: «Die Blockchain-Branche könnte in einigen Jahren einen erheblichen Beitrag zur Schweizer Wirtschaftskraft leisten.» Allerdings müsse jetzt gehandelt werden. Es brauche klare Regeln für die Firmen: «Brauchen sie eine volle Banklizenz, eine Lizenz light oder etwas ganz anderes?» Die Politik sollte sich zudem dafür einsetzen, dass Blockchain-Firmen ein Konto bei einer Schweizer Bank eröffnen könnten. «Die Zuger Kantonalbank zum Beispiel hat auch den Auftrag, die lokale Wirtschaft zu fördern, sollte hier also enger mit den Firmen zusammenarbeiten.»

Es ist 10 Uhr 30, Olga Feldmeier, Managing Partner bei der Firma Xapo, empfängt Diemers im Zentrum von Zug, unweit des Bahnhofs, in einem Büro im Focus Business Center. Xapo beschäftigt insgesamt 30 Mitarbeiter, die meisten davon im Silicon Valley. Feldmeier ist bisher als Einzige in der Schweiz. Sie soll die Beziehungen zu den Behörden in der Schweiz ausloten. «Derzeit treffe ich viele Anwälte», sagt die ehemalige Beraterin der Boston Consulting Group.

Weltweit grösster Aufbewahrer von Bitcoins

Xapo bewahrt Bitcoins offline in einem digitalen Portemonnaie auf. «Das sicherste überhaupt», ist Feldmeier überzeugt. Jedenfalls sei die Firma der weltweit grösste Aufbewahrer von Bitcoins. Die Schweiz sei als Standort wegen der politischen Stabilität, der Sicherheit und des Datenschutzes interessant. Viele Xapo-Kunden lagerten wegen fehlenden Datenschutzes ihre Bitcoins nicht in den USA.

Xapo ist ein Schwergewicht in der Blockchain-Branche. Der Verwaltungsrat ist prominent bestückt: mit Lawrence H. Summers, ehemals Präsident der Harvard University und Finanzminister der USA, Dee Hock, Gründer der Kreditkartenfirma Visa, sowie John Reed, dem ehemaligen Chef der Citibank. Alle drei glauben an das Potenzial der Bitcoin-Technologie.

Differenzierte Sichtweise

Feldmeier selber sieht das differenziert: «Ich bezweifle, dass Bitcoin jemals weite Verbreitung in der Schweiz findet.» Das grosse Potenzial liege in den Entwicklungsländern, wo noch keine flächendeckende Finanzinfrastruktur vorhanden sei. In einem optimistischen Szenario stellt sie sich vor, dass sich Bitcoin dort in drei bis fünf Jahren auf breiter Basis durchgesetzt haben wird.

Mit diesem optimistischen Szenario geht es weiter auf die andere Seite des Bahnhofs, zur Firma Monetas. Sie ist in einem sehr noblen Gebäude einquartiert, direkt unter der Finanzdirektion des Kantons Zug. Die Büros sind hochmodern. Diemers begrüsst Johann Gevers, den südafrikanischen Gründer der Firma, und Vitus Ammann, den Marketingchef von Monetas. Zehn Personen arbeiten in den Büros in Zug, weitere fünfzehn über den Erdball verteilt, in Holland, Italien, den USA, Rumänien, Polen und auf den Kanarischen Inseln.

Sparpotenzial

Die Firma hat «eine extrem effiziente Krypto-Transaktionsplattform entwickelt», so Gevers. Alles, was es braucht, sind zwei Smartphones und die Gratis-App von Monetas. Auf dem Verkäufer-Handy wird ein QR-Code erzeugt. Diesen fotografiert der Käufer, bestätigt den Betrag – fertig.

Die Software will Monetas vor allem in Entwicklungsländern anbieten, wo die Mehrheit der Menschen von Bankdienstleistungen abgeschnitten ist, aber über ein Smartphone verfügt. In Tunesien hat die Post die Software von Monetas kürzlich lanciert. Ein Geldtransfer sei damit fast gratis und sehr schnell. In den nächsten Monaten will Monetas die eigene Technologie so integrieren, dass auch Bitcoins damit handelbar werden.

In einer Studie der spanischen Grossbank Santander wurde berechnet, dass Banken weltweit mit der Blockchain-Technologie 20 Milliarden Franken pro Jahr einsparen könnten. Der britische Premier hat das Potenzial der Blockchain erkannt und sich einen Experten dafür in seine Entourage geholt.

Im letzten Papier zum Thema aus dem Schweizer Finanzdepartement wird Bitcoin als Randphänomen bezeichnet, das keiner Regulierung bedürfe. Das Papier ist zwar schon über ein Jahr alt, aber auf Nachfrage ist zu erfahren, dass sich an dieser Meinung bisher nichts geändert hat.