Es war eine strube Woche für den Bündner Banker. Zuerst beteuert Pierin Vincenz gegenüber der «SonntagsZeitung», das Enforcement-Verfahren der Finanzmarktaufsicht Finma richte sich nicht gegen ihn, sondern gegen seinen langjährigen Arbeitsgeber, die Raiffeisen Schweiz. Nur drei Tage später flattert dem Ex-Raiffeisen-Chef ein Brief der Aufsicht ins Haus. Die Finma zeigt Vincenz darin ebenfalls ein Enforcement-Verfahren an, «wegen möglicher Interessenskonflikten während seiner Zeit bei der Raiffeisen».

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Dem Verfahren seien «diverse Abklärungen» vorausgegangen, heisst  es im Finma-Brief. Konkret schaute sich die Aufsicht «Transaktionen bei der Investnet Holding sowie die Beurteilung von Investitions- und Kreditvergaben bei der Raiffeisen Schweiz» an. Im Finma-Fokus steht damit eine praktisch unbekannte Firma namens Investnet, an der Raiffeisen Schweiz 60 Prozent hält. Sie verwaltet KMU-Beteiligungen und hat einen weiteren, prominenten Mit-Aktionär: Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz hält 15 Prozent. Dies zeigen Dokumente, die der «Handelszeitung» vorliegen.

Mit dem Segen des VR

In nur zehn Jahren baute Vincenz die Bauernbank Raiffeisen zum Hyporiesen aus, doch nun könnte er über die kleine Investnet stolpern. Denn bei der KMU-Boutique kreuzen sich so manche Linien, die sich im Lichte einer guten Unternehmensführung als heikel erweisen könnten: Aktionärsinteressen, Aufsichtspflichten, Bekanntschaften und Rollenwechsel. Im Sommer 2015 gründet Vincenz, mit dem Plazet des Raiffeisen-Verwaltungsrates und zusammen mit Finanzchef Marcel Zoller, eine KMU-Beteiligungsgesellschaft namens Investnet Holding. Stammkapital: 10 Millionen Franken. Obwohl Vincenz seinen Rücktritt als Chef schon kommuniziert hatte, übernimmt er an Stelle vom designierten Nachfolger Patrik Gisel das Präsidium der Investnet-Gruppe. Ein damaliger Mitstreiter spricht von einem «unlogischen Schritt» und einer «falschen Konstellation».

Besonders brisant: Der Raiffeisen-VR hatte Vincenz auch eingeräumt, sich privat mit 15 Prozent an der Investnet Holding zu beteiligen. Die Finanz-Details der Holding-Konstruktion wurden detailliert geregelt, als er noch Raiffeisen-Chef war. Dabei ging es auch um eine «Neubewertung» gewisser Aktiven. Vincenz Aktienkauf wird schliesslich zum Amtsantritt von Patrik Gisel als Raiffeisen-CEO Anfang Oktober vollzogen. Pierin Vincenz, Investnet und Raiffeisen Schweiz wollen zum Finma-Verfahren keine Stellung nehmen.

Eine Win-Win-Situation

Die Anfänge von Investnet reichen bis in die Jahre 2011 und 2012 zurück. Damals war Investnet eine AG noch ohne Kontakte zur Raiffeisen. Die  Gründer suchten nach Wegen, ihr Geschäft weiterzuentwickeln. Denn stets fehlte das nötige Geld für die nächsten Investitionen.

 Dann gelangten die Investnet-Gründer an Pierin Vincenz und Raiffeisen. Vincenz hatte seit jeher ein Faible für KMU-Investitionen, und bald war allen Beteiligten klar: Das ist eine Win-Win-Situation. Investnet erhielt von Raiffeisen flüssige Mittel für Investitionen, Raiffeisen die Möglichkeit, sich als Experte für KMU-Nachfolge-Lösungen zu profilieren.

Beide Parteien beschlossen, die Zusammenarbeit mit einem Aktientausch zu besiegeln. Raiffeisen erhielt 60 Prozent an der Investnet AG. Und deren Gründer bekamen Anteile am Raiffeisen-Vehikel KMU Capital. Vincenz schickte seine damalige Nummer zwei, Patrik Gisel, in den Verwaltungsrat der Investnet AG. Manchmal waren Investitionen erfolgreich, manchmal gab es Verluste. Und die Jahre zogen vorbei.

Die grosse Reorganisation

Dann kam das Jahr 2015. Im Februar kündigte Vincenz seinen Rücktritt bei Raiffeisen an. Er nutzte die verbleibende Zeit – auch für eine Neuordnung der Dinge bei der Investnet AG. Die bisherigen Geschäfte und Beteiligungen und damit auch die bisherige Investnet AG und die KMU Capital wurden in der neuen Investnet Holding gebündelt. Sie wurde am 15. Juni 2015 in Herisau gegründet. In einem ersten Schritt zeichnete Raiffeisen alle Aktien, wie Akten des Handelsregisteramts zeigen.

Vincenz wurde VR-Präsident der Investnet Holding. Damals sagte er der «Schweiz am Sonntag», er solle dort für einen «Interessensausgleich» zwischen den Partnern und Raiffeisen sorgen. Gisel, der bald Raiffeisen-Chef werden sollte, trat daraufhin bei der Tochter Investnet AG ab. Ganze fünf Minuten dauerte die GV. Doch die entscheidenden Vorgänge spielten sich an der Zahlenfront und im Aktionariat ab.

Vertragliche Goodwill-Erhöhung

Zunächst zu den Zahlen. «Es kam zu einer Neubewertung der Firma», sagt einer, der die Verhältnisse kennt. Sie soll aufgewertet worden sein. Im Geschäftsbericht 2016 der Raiffeissen auf Seite 17 ist nachzulesen: «Aufgrund vertraglicher Abmachungen erhöhte sich der Goodwill für die Investnet Holding AG», heisst es da. Mehr Informationen zu diesen Verträgen gibt es nicht. Allerdings ist die Investnet Holding nach der Neubewertung möglicherweise mehr wert als die Einzelteile vor der Reorganisation.

Das alles tangierte natürlich auch die Investnet-Gründer um Ex-Valora-Chef Peter Wüst, die auch an der Investnet Holding beteiligt wurden. Sie hielten schliesslich immer noch substanzielle Anteile an der ursprünglichen Firma. Und offenbar auch Optionen, die es ihnen erlaubten, ihre Aktien an Raiffeisen zu verkaufen. Dies verlautet aus informierten Kreisen. Es sei immer der Plan gewesen, dass die Gründer nach fünf Jahren aussteigen könnten. Deshalb einigte man sich schon 2012 auf diese Optionen-Konstruktion. Der erstmögliche Verkauf ihrer Anteile war auf Ende 2017 vorgesehen. Je höher die Bewertung der Firma, desto besser für die Gründer.

15-Prozent-Paket

Und Vincenz? Seine private Beteiligung von 15 Prozent geht aus einem Protokoll vom Juni 2016 hervor. Demnach war Vincenz zu diesem Zeitpunkt hinter Raiffeisen zweitgrösster Aktionär. Zu welchen Konditionen Vincenz die Aktien von der Raiffeisen übernahm, ist nicht bekannt.

Licht ins Dunkel muss nun das Finma-Verfahren bringen, das gegen Vincenz und Raiffeisen Schweiz läuft. Basis hierfür ist eine achtmonatige, interne Untersuchung, die Raiffeisen-Chef Patrik Gisel Ende 2016 angeordnet hat: «Der wesentliche Inhalt dieser interne Untersuchung war die Governance im Umgang mit der Tochtergesellschaft Investnet», sagt Gisel. Acht Monate lang durchleuchtete eine externe Kanzlei die Prozesse beim Vincenz-nahen Vehikel.