Der «Winterthur»-Chef ist guter Dinge: «Mit dem Börsengang geben wir dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern eine spannende Zukunftsperspektive», sagt ein sichtlich erfreuter Leonhard Fischer am Rande der Pressekonferenz vom 7. Dezember. Das Luftholen danach tönt wie ein Aufschnaufen – bald frei von den Fesseln der Grossbank Credit Suisse, die zuletzt der Versicherungstochter nicht gut gesinnt war. Keinen Rappen war die CS Group zuletzt noch bereit, in ihre 1997 gekaufte Tochter zu investieren. Die Prioritäten des Besitzers, das liess CS-Chef Oswald Grübel gerne durchschimmern, galten dem Banking.

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Zwar konnte Fischer noch keinen genauen Zeitplan für den Börsengang angeben, aber: «Wir wollten den grassierenden Spekulationen ein Ende bereiten.» Die Mitarbeiter hätten lange genug mit der Unsicherheit leben müssen, meint der energiegeladene Ex-Investment-Banker an der Spitze der «Winterthur». Nun will die Versicherung ihre operative Leistung und ihr Geschäftsportfolio weiter optimieren und so bis 2007 einen Gewinn von 1,2 Milliarden Franken erwirtschaften. Dies soll die Grundlage für den Börsengang bieten.

Hals über Kopf muss Fischer der Öffentlichkeit nun die wichtigsten Fragen erklären: Warum sollte die «Winterthur» eigentlich für einen Aktienkäufer interessant sein? Welche Story will man den Kleinanlegern und institutionellen Investoren verkaufen, damit sie gemeinsam die rund acht Milliarden, welche die Firma nach Ansicht der Nochbesitzer heute mindestens wert ist, aufbringen?

Es zeigt sich, wie nachteilig es war, dass die «Winterthur» als Anhängsel der CS zuletzt kaum Gehör fand. Was lange verpasst wurde, nämlich der Öffentlichkeit die strategische Ausrichtung der Versicherungsgesellschaft näher zu bringen, musste vor den versammelten Analysten und Journalisten in Windeseile nachgeholt werden. Fischer gab sein Bestes und fasste seine Vorstellungen unter dem eingängigen Stichwort «Uniqueness» zusammen. Die «Winterthur» wolle sich auf ihre Stärke in besonderen Segmenten fokussieren: «Wir wollen lieber in wenigen Märkten eine besondere Position innehaben, als in möglichst vielen Märkten dabei zu sein.»

Peter Spälti 1983 bis 1997
Peter Spälti, fast 15 Jahre an der Spitze des Unternehmens, prägte wie kein anderer die jüngere Geschichte der «Winterthur». Unter ihm erreichte die Versicherungsgesellschaft ein enormes Prämien- und Ertragswachstum. Der Jurist, Oberst im Generalstab und langjährige FDP-Nationalrat war bekannt für sein gutes nationales und internationales Beziehungsnetz. Er öffnete für die «Winterthur» immer wieder Türen zu wichtigen Märkten. So erteilte die chinesische Führung 1996 der «Winterthur» als erster europäischer Versicherung eine Lizenz für das Chinageschäft. Unter ihm wurde die Marke «Winterthur» weltweit bekannt. Allerdings schaffte es Spälti in vielen Märkten nicht, die notwendige kritische Grösse zu erreichen.

Nicht nur Grösse wie in der gängigen Vorstellung von Marktstärke könne dabei eine solche Besonderheit begründen, sondern auch das Besetzen aussichtsreicher Nischenpositionen. Ein Beispiel ist der englische Lebensversicherer «Winterthur» Life UK, der mit nur 1,5 Prozent Marktanteil anspruchsvolle Produkte für wohlhabende Kunden anbietet – und hochprofitabel ist. «Ertrag, nicht Grösse ist das Ziel des Wirtschaftens», so Fischer.

Er sieht zudem das Investment-, das Asset- und Liability- sowie das Risikomanagement der «Winterthur» als grosse Stärken: «Hier wollen wir uns gegenüber unseren Mitbewerbern auszeichnen.»

Trotz den eingängigen Begriffen: Es bleibt der Eindruck, Fischer mache ein wenig aus der Not eine Tugend. Die von den Analysten stets kritisierte mangelnde Marktgrösse plötzlich als Chance zu verkaufen, mutet teilweise gesucht an. Das Problem bei dieser Ausrichtung ist zudem, dass sich die Firma mit dem Uniqueness-Label als Spezialist definiert, von der Organisation her aber Generalist ist. Die «Winterthur» ist in den meisten Ländern geprägt von einem Netz von Agenten, die ihr Einkommen darauf aufbauen, die ganze Palette von Produkten und nicht nur Spezialitäten anzubieten.

In der Vorstellung von Fischer ist die «Winterthur» eine stark auf die Schweiz fokussierte Gesellschaft, die im Ausland gezielt Chancen wahrnehmen möchte. Es ist genau besehen ein Neustart auf Feld eins. Denn so weit war man schon mal. Vor rund dreissig Jahren, im Jahr 1972, um genau zu sein.

In jenem Jahr zeichnete sich strategiegeschichtlich für die heute 129 Jahre alte Firma ein Paradigmawechsel ab. Was folgen sollte, ist die Geschichte einer jahrzehntelangen, strategiegetriebenen Identitätskrise, die den heutigen Zustand der Firma erst erklärt.

Thomas Wellauer 1997 bis 2002
Thomas Wellauer war von 1985 bis 1997 als Berater bei McKinsey tätig und galt in der dortigen Finanzberatungsgruppe als einer der besten Bank- und Versicherungsspezialisten. Er war in dieser Funktion jahrelang auch für die «Winterthur»-Versicherungen tätig. 1997 machte ihn Spälti zu seinem Nachfolger. Als Branchenfremder fand er allerdings nie den Zugang zu den Leuten an der Front. Wellauer hielt die Wachstumschancen im Sachversicherungsgeschäft für beschränkt und forcierte das Lebensversicherungsgeschäft, vor allem in Osteuropa. Er stülpte der Firma eine komplizierte Matrix-Organisation über, die für Doppelspurigkeiten sorgte. Intern stieg der Missmut an. 2002, als die «Winterthur» infolge der Börsenkrise Milliardenverluste verbuchte, musste Wellauer gehen.

1972 formulierte die Firmenführung um den damaligen Verwaltungsratsdelegierten Hans Braunschweiler eine Strategie, die sich qualitativ von allen früheren unterschied. Erstmals erfasste sie nicht mehr nur einzelne Staaten, sondern war international ausgerichtet. Die Basis dafür bildeten Marktanalysen. Dies war damals eine Neuheit. 145 Länder wurden analysiert, 14 davon als potenzielle Zielländer identifiziert. In zwölf davon war die «Winterthur» bereits tätig, nebst den Nachbarländern etwa auch in den Niederlanden, Belgien, Spanien oder Portugal. Als neue Zielländer wurden in dieser Lagebeurteilung Japan und Grossbritannien definiert.

Die «Winterthur» startete nun in eine Phase gigantischen Wachstums – in der sich der Keim des Scheiterns indes bereits auszubilden begann. Dabei war nicht die internationale Zielsetzung das Problem, sondern die Tatsache, dass man diese von Anfang an zu breit fasste. Hätte die «Winterthur» ihre Kräfte nach 1972 auf den Ausbau einiger europäischer Staaten gebündelt, statt sich später weltweit zu verzetteln, würde man sie heute wohl in einem Atemzug mit den starken europäischen Playern wie Allianz, Axa oder Generali nennen.

Die «Winterthur» war damals einer der kapitalkräftigsten europäischen Versicherer, die Marke stark. Ideale Voraussetzungen. Doch in den kommenden Jahrzehnten gelang es der Unternehmensführung nicht richtig, die sich bietenden Chancen zu packen. Drei Chefs – Peter Spälti, Thomas Wellauer und Leonhard Fischer – lösten einander ab. Und jeder davon verhedderte sich auf seine Weise strategisch oder operativ.

Leonhard Fischer seit 2003
Leonhard Fischer hat eine klassische Bankerkarriere hinter sich. Der 41-jährige Deutsche war zuletzt Chef des Investment-Bankings der Allianz-Tochter Dresdner Bank. 2003 holte ihn CS-Chef Oswald Grübel zur «Winterthur». Fischer machte seinem Ruf als Sanierer alle Ehre: Er baute bis jetzt rund 350 Stellen ab und reduzierte die Kosten massiv. Bei den Mitarbeitern hat er sich dadurch viele Sympathien verspielt. Fischer straffte das allzu breite Portfolio durch den Verkauf eines halben Dutzends Tochtergesellschaften, darunter Republic in den Vereinigten Staaten, Churchill in England oder «Winterthur» Italia. Er will das Unternehmen strategisch weiter straffen, um es auf den Börsengang vorzubereiten.

1983 löste Peter Spälti Braunschweiler als Vorsitzender der Geschäftsleitung ab. Er musste bald erkennen, dass sein Vorgänger ihm ein problematisches Erbe hinterlassen hatte. Denn die Zahlen spiegelten die ambitiöse Stossrichtung der internationalen Strategie nicht. In mehreren Ländern waren die Marktanteile gesunken. Dafür hatte man ausserhalb Europas ein Feuerwerk von allerlei Joint Ventures gezündet, allein 1977 etwa in Kanada, Australien, Neuseeland, Hongkong, Singapur, Malaysia und Südafrika. An einem Direktionsseminar liess Spälti sein Kader wissen, dass «die ‹Winterthur›-Gruppe im Wesentlichen nicht dort steht, wo sie gemäss (…) der mittelfristigen Strategie stehen sollte».

Der neue «Winterthur»-Chef plädierte für eine konsequentere Umsetzung der Strategie. Doch damit war seine Schaffenslust noch lange nicht gestillt: Im Zuge seiner Vision, die «Winterthur» zu einem Global Player zu machen, beschloss die Unternehmensspitze unter Spälti, «das Wachstum in die Tiefe durch ein Wachstum in die Breite» zu ergänzen, wie im Buch des Historikers Joseph Jung über die Geschichte der «Winterthur» nachzulesen ist. Konkret bedeutete dies: Die Erschliessung des amerikanischen Marktes und der Ausbau der Rückversicherung, Basis für die sich abzeichnende Verzettelung der Kräfte, waren damit gelegt.

Getreu seiner grossen Tatkraft überzog der umtriebige Spälti die Welt mit einem Netz von Dépendancen. Spältis Konzept basiert auf der Erkenntnis, dass man in aussichtsreichen Märkten klein anfagen muss, will man einmal eine gute Position erreichen. Bald wehten von den USA bis Asien die Fähnchen der «Winterthur»-Versicherung. Auch produktmässig hatte Spälti die Palette verbreitert und unter anderem auch noch das Industrieversicherungsgeschäft aufgebaut.

Wohl wuchs dadurch in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre das Prämienvolumen enorm, doch gelang es in vielen Märkten nicht, die kritische Grösse zu erreichen. Mehr noch: Die «Winterthur»-Gruppe präsentierte sich immer mehr als Konglomerat vieler Einzelteile, die untereinander kaum in Verbindung standen.

Die kritische Grösse im Versicherungsgeschäft ist deshalb wichtig, weil die Marktführer das Geschehen bestimmen. Kleine Player erhalten in einem Land oft nur die schlechteren Risiken. Obwohl zuletzt rund 60 Prozent der Aktivitäten im Ausland lagen, sorgte denn auch das Schweizer Geschäft nach wie vor für den Grossteil der Gewinne.

Spälti war sich der Problematik offenbar bewusst, denn er gab auch immer wieder Gegensteuer, etwa mit dem Verkauf der Gesellschaften in Schweden und Norwegen. Regelmässig überprüfte er zudem seine Strategie. Doch insgesamt blieb das Problem bestehen. Vor allem in den USA, geprägt durch ein Netz von sechs übers Land verteilten Gesellschaften, kam man nicht vom Fleck, trotz den mehreren Milliarden Franken, die insgesamt hineingebuttert wurden.

Die strukturellen Mängel im Weltreich des Peter Spälti fielen lange Zeit nicht auf oder nicht ins Gewicht. Denn das goldene Börsenjahrzehnt der Neunzigerjahre überdeckte alles. Die boomenden Börsen bescherten den Versicherern weltweit Finanzerträge in Milliardenhöhe.

Nicht nur die Gewinne sprudelten. Auch das Geschäftsvolumen konnte massiv ausgeweitet werden. Von 1992 bis 1999 stiegen die Bruttoprämien der «Winterthur» im Durchschnitt jährlich um 24 Prozent – das Unternehmen erschien unter Peter Spälti als makellose Erfolgsgeschichte.

So wurden denn auch bald Spekulanten auf die Firma aufmerksam. BZ-Banker Martin Ebner begann Anfang 1997, in grossem Ausmass Aktien zu kaufen. Um das Schweizer Traditionsunternehmen nicht in die Hände eines unberechenbaren Financiers fallen zu lassen, rettete sich Spälti in die Arme der Credit Suisse, mit der er seit 1996 eine lose Zusammenarbeit auf Produktebene pflegte.

Umgerechnet rund 14 Milliarden Franken bezahlte die CS für die Versicherungsgesellschaft. Im Rahmen des Zusammenschlusses wurden 7,3 CS-Aktien für eine «Winterthur»-Aktie bezahlt – was einem Rekordkurs von rund 1500 Franken pro Stück entspricht. Für Aussenstehende war dies der Beweis, dass Spälti mit seiner Wachstumsstrategie richtig gelegen hatte. Er selber war stolz drauf, die «Winterthur» zu einem Unternehmen mit weltweiter Reputation gemacht und gleichzeitig die Ertragskraft enorm gesteigert zu haben.

Kurz zuvor, im April 1997, hatte Spälti überraschenderweise den McKinsey-Mann Thomas Wellauer zu seinem Nachfolger bestimmt. Wellauer war mit der Firma viele Jahre als Berater verbunden gewesen und durch seine analytische Brillanz aufgefallen. Dass der gelernte Chemieingenieur ein branchenfremder Quereinsteiger war, sollte sich später aber als Nachteil erweisen.

Wellauer war von Anfang an in einer ungemütlichen Situation. Denn das Reich, das Spälti seinem Nachfolger überliess, war bei weitem nicht so glanzvoll, wie es den Anschein hatte. Zum Zeitpunkt der Übernahme durch die CS war die «Winterthur» durch drei Mängel gekennzeichnet.

Erstens bestand die schon erwähnte mangelnde kritische Grösse in vielen Auslandmärkten. Just dieser Mangel war es, der Wellauer schon bald zu abenteuerlichen strategischen Neupositionierungen verführen sollte.

Zweitens hatte Spälti offenbar in seinem weit verzweigten Reich operativ die Zügel nicht überall in der Hand halten können. Einzelne Dépendancen, etwa die australische Tochter HIH, hatte sich praktisch vollständig aus der Kontrolle durch die Zentrale geschlichen.

Der dritte Mangel war die relativ schwache Kapitalbasis. Laut Insidern soll Wellauer kurz nach Amtsantritt dem neuen Besitzer CS mitgeteilt haben, er halte zusätzliche Rückstellungen von deutlich über einer Milliarde Franken für die Aufstockung der Reserven für nötig. Damit sollten die Risiken in Ländern wie Italien, Spanien und Belgien besser abgesichert werden und den schlummernden Asbestrisiken Rechnung getragen werden.

Es war ein Schock für die CS-Spitze. Nicht nur finanziell, auch kommunikativ sah sich die Bank einem Problem gegenüber. Soeben hatte man einen stolzen Preis für die «Winterthur» bezahlt. Nun konnte man nicht einfach kommen und sagen, das teuer gekaufte Objekt sei doch nicht ganz so toll.

Wellauer begann still und leise mit den Aufräumarbeiten. Einer der ersten Schritte war der Verkauf der australischen HIH, die mittels verschiedener Blocktrades auf den Markt geworfen wurde. Der Verkauf sollte sich als Glücksfall erweisen: HIH war bis in die Wurzeln verrottet, ihr späterer Zusammenbruch erwies sich als grösster Versicherungsskandal in der Geschichte Australiens. Wellauer sah sich in seiner Einschätzung bestätigt – und intensivierte seine Mahnungen an die CS. Von Asbestrisiken war weiterhin die Rede sowie von möglichen Zeitbomben beim Industriegeschäft, welches das Unternehmen in der Sparte «Winterthur» International gebündelt hatte.

Der Nachteil daran: Das Ganze löste eine Art Panikreaktion bei den CS-Chefs aus. Lukas Mühlemann, seit 1996 CEO der CS und wie Wellauer ein ehemaliger McKinsey-Mann, soll sich auf einem Berg unkalkulierbarer Risiken gesehen haben. So erklärt sich auch der heute viel diskutierte Verkauf von «Winterthur» International an die XL Capital im Frühling 2001 zu sehr ungünstigen Konditionen. Da Mühlemann und Wellauer diese Sparte möglichst schnell los haben wollten, akzeptierten sie die Bedingung, später auftretende Risiken im Nachhinein noch zu berappen. Die «SonntagsZeitung» berichtete jüngst, die XL Capital streite derzeit mit der CS um Nachzahlungen von 920 Millionen Franken. Die «Winterthur» selber kommentiert diese Zahlen wegen des laufenden Verfahrens nicht.

Den zweiten strukturellen Mangel – die fehlende kritische Grösse – ging Wellauer mit ebenso viel Engagement wie die Einbindung der Auslandtöchter, aber mit deutlich weniger Fortüne an. Wellauer kam auf die Idee, die Länderorganisation Spältis durch eine Produktorganisation zu ersetzen. Der Gedanke dahinter: Wenn es nicht möglich ist, in einzelnen Ländern auf über zehn Prozent Marktanteil zu kommen, so doch möglicherweise länderübergreifend bei spezifischen Produkten.

Was folgte, war eine organisatorische Mammutübung, die enorm teuer war und die Firma in grossen Teilen lähmte. Denn plötzlich sah sich die «Winterthur» einer Matrix-Organisation ausgesetzt – hier die Länderchefs, dort die funktionalen Departemente –, in der keiner mehr die unternehmerische Verantwortung trug.

Ob Wellauers Idee jemals funktioniert hätte, bleibt ungewiss, denn sie kam niemals zum Tragen. Als nach 2001 die Börsen zusammenbrachen und die «Winterthur» Milliardenverluste auf ihren Aktienportefeuilles zu verbuchen hatte, musste Wellauer weichen.

Was nun folgte, war die dritte Etappe der Wegstrecke. Jene unter Oswald Grübel und Leonhard Fischer.

Mitte 2002 war der ehemalige CS-Private-Banking-Chef Oswald Grübel als Nachfolger Wellauers zum Chef der CS Financial Services bestimmt worden. Dort war die «Winterthur» immer noch angegliedert. Grübel gab bekannt, Leonhard Fischer werde neuer operativer Chef der «Winterthur». Dieser trat im Januar 2003 sein Amt an.

Fischer stellte umgehend wieder auf die alte Länderorganisation um. Der Entscheid wurde intern begrüsst. Schliesslich hatten die wellauerschen Ideen an der Front nie Akzeptanz gefunden.

Auch sonst legte der Deutsche voll los. Mit einem Sparprogramm und Produktivitätsverbesserungen konnte er den Kostenblock um rund 400 Millionen Franken verringern. Ein Grossteil der heutigen Gewinnkraft der «Winterthur» – in den ersten neun Monaten 2004 wurde ein Reingewinn von 750 Millionen Franken erzielt – erklärt sich dadurch.

So schnell Fischer operativ auch wirken konnte, strategisch war die Ausgangslage komplizierter. Denn die CS legte dem Neuen von Anfang an enge Fesseln an, indem sie den Geldhahn fast vollständig zudrehte. Nachdem die Bank in der Börsenkrise rund 2,6 Milliarden Franken zur Sanierung ihrer Tochter hatte überweisen müssen, wollte sie nicht weiter zahlen. Geldknappheit prägte fortan die strategischen Prämissen der «Winterthur». Im Anfang 2003 erschienenen Geschäftsbericht der CS ist noch nachzulesen, man wolle die Position in Europa stärken. Just in dieser Region verkaufte die «Winterthur» im Jahr 2003 aber zwei starke Einheiten, die auf Direktvertrieb im Sachversicherungsgeschäft spezialisierte Churchill in England sowie die italienische Tochtergesellschaft. Begründung: Es hätten «keine ausreichenden Wachstumschancen bestanden, ohne dass wir stark investiert hätten». In der Tat hätte der Aufbau in England und Italien viel Geld gekostet. So hätte man das Prämienvolumen der italienischen Tochter mindestens verdoppeln müssen, um im umkämpften Markt Italien langfristig mithalten zu können. Dies hätte grössere Akquisitionen und damit umfangreiche Investitionen bedingt.

Das Gleiche galt für England, wo sich ein Verdrängungskampf mit der Nummer eins im Markt abzeichnete. Laut Fischer wären rund zwei Milliarden Euro nötig gewesen, um in Italien auf eine starke Position zu kommen, und nochmals 1,5 Milliarden, um Churchill zu verteidigen. «Für eine Gesellschaft mit rund acht Milliarden Franken Kapital ist das im heutigen Markt nicht vertretbar», so Fischer.

Man entschied sich für den umgekehrten Weg – den Verkauf der beiden Teile. Churchill spülte 2,4 Milliarden, Italien 2,3 Milliarden Franken in die CS-Kassen. Das Problem dabei: Mit der Abtrennung der beiden besten Teile büsste die «Winterthur» enorm an Attraktivität für einen möglichen Käufer ein.

Dass die «Winterthur» nun einen Börsengang anpeilt, dürfte einiges damit zu tun haben. Denn in der Regel sucht ein Unternehmen zunächst im Umkreis seiner Mitbewerber nach möglichen Käufern. Doch offensichtlich war keiner der Konkurrenten bereit, den geforderten Preis für die «Winterthur» zu bezahlen. Das liegt sicher in erster Linie daran, dass die Konkurrenten selber noch mit den Altlasten der Börsenkrise kämpfen und bei Expansionen deshalb vorsichtig sind. Doch offensichtlich hat sich auch keiner der Branchenspezialisten von der neuen strategischen Stärke der «Winterthur» wirklich überzeugen lassen.

Möglich, dass sich viele kleine und mittlere Investoren dafür leichter erwärmen lassen. Doch bis dahin hat Fischer noch viel an Überzeugungsarbeit zu leisten. Entscheidend wird sein, ob er die seit zehn Semestern anhaltende Gewinnstärkung beibehalten kann. Dass die «Winterthur» noch keinen konkreten Zeitplan für den Börsengang vorgelegt hat, ist so gesehen positiv: Je mehr Zeit verstreicht, desto besser kann sich der Anleger mit den Vorstellungen der neuen, befreiten «Winterthur» vertraut machen.