Das Kürzel tönt vorwurfsvoll: Dink heisst «double income, no kids», die Betonung liegt auf dem Doppelten. Dinks haben nicht nur das Einkommen doppelt, auch die volle Pensionskasse ist doppelt, und vor allem haben sie die Chance einer beruflichen Karriere doppelt, während dies bei Familien mit Kindern in aller Regel dem Mann vorbehalten bleibt.

Gemeinsam sind die Kinderlosen stark. Sie gehören zur Generation der Babyboomer und haben viele Geschwister. Sie sind die vorläufig letzte grosse Generation, die heute auch keine Mühe hat, den berühmten Generationenvertrag zu erfüllen, den just die Babyboomer als ihre Errungenschaft feiern. Noch geht alles gut. In den Fünfzigerjahren waren 10 Prozent der Bevölkerung im AHV-Alter, heute sind es 15 Prozent. Im Jahre 2020, wenn die Babyboomer pensioniert sind oder pensioniert werden, steigt der Anteil der über 65-Jährigen auf 20 Prozent. Das Maximum wird erst dann erreicht, wenn die Babyboomer sterben – ums Jahr 2040 herum. Dann werden 25 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre alt sein, wie das Bundesamt für Statistik in seinem Szenario «Trend» prognostiziert.

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Das sind unschöne Aussichten für die wenigen Babys der Babyboomer. Die nachrückende Generation wird – obschon zahlenmässig viel kleiner – dereinst die Ansprüche der heutigen Dinks und Singles zu bezahlen haben. Kritisch wird das bei der AHV und auch bei der Krankenversicherung: 70-Jährige verursachen im Schnitt gut dreimal höhere Gesundheitskosten als 40-Jährige, 80-Jährige achtmal so hohe wie 20-Jährige. Ins Gewicht fallen werden ausserdem die Schuldenberge beim Bund, bei den Kantonen, den Gemeinden, die wegen der Unterdeckungen in den öffentlichen Pensionskassen schon so stark gewachsen sind und noch weiter wachsen werden. Auch diese Zeche hinterlassen die Babyboomer ihren wenigen Nachkommen.

«Keine Generation vor den heute Aktiven hat mit so wenig Arbeit so viel Geld verdient, so viele Schulden angehäuft und so wenig Kinder grossgezogen», meint Bruno Gehrig, der frühere Nationalbank-Direktor und heutige Präsident der Swiss Life. Er warnt: «Es darf nicht sein, dass sich diese Generation auf Kosten ihrer Kinder auch noch die höchsten Renten unter den Nagel reisst.» Genau dies aber zeichnet sich ab.

Der liberale Staat, heisst es gern, solle sich bitte aus den Schlafzimmern fernhalten. Allerdings mischt sich der moderne Staat bereits heute ein, ohne dass das den meisten Leuten bewusst ist. Wer sorgt denn dafür, dass eigene Kinder nicht mehr nötig sind? Der Staat. Er garantiert die Altersrente und die Alterspflege. «Es genügt, wenn andere Leute die Kinder in die Welt setzen, die später die Rente zahlen», analysiert der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn und definiert Systeme wie die schweizerische AHV oder die Krankenkassen als «Versicherung gegen die Kinderlosigkeit».

So kommt es zu einer heimtückischen, weil verdeckten Umverteilung von den Kinderhabenden zu den Kinderlosen: «Eltern, die sich für Nachwuchs entscheiden, schenken anderen Gruppen der Gesellschaft ausserhalb ihrer eigenen Nachkommenschaft einen Rentenbeitrag», schreibt Sinn.

Der Trend zieht sich weiter: Statt 2,1 Kinder brachte eine Frau 1990 noch 1,6 Kinder zur Welt, 2000 waren es 1,5 Kinder, 2003 noch 1,37; je kleiner der Durchschnitt, umso mehr Stellen braucht es hinter dem Komma, um die Dramatik abzubilden. Gäbe es keine Ausländerinnen in der Schweiz, wäre die Geburtenrate irgendwo zwischen 1,18 und 1,19.

Was müssen die Politiker tun, damit die Schweiz nicht schrumpft? Sie können entweder das Kinderkriegen belohnen – oder die Kinderlosigkeit bestrafen.

Mit der Belohnung macht die Schweiz bisher keine gute Erfahrung. Das jährliche Transfervolumen ist zwar sieben Milliarden Franken stark, fliesst aber weitgehend am Ziel vorbei. «Ein Haushalt an der Armutsgrenze erhält netto kaum mehr als einer mit deutlich überdurchschnittlichem Einkommen», zeigt eine Nationalfonds-Studie des Berner Büros Bass unter dem Titel «Familien, Geld und Politik». Die sieben Milliarden werden nicht etwa von Reich zu Arm umverteilt, sie fliessen in die umgekehrte Richtung.

Konkret machen die Familienzulagen 4,5 Milliarden Franken im Jahr aus, werden bei Teilzeitarbeit vielfach aber nur reduziert ausbezahlt. Prompt gehen diejenigen, die das Geld am nötigsten hätten, leer aus: Vier von fünf einkommensschwachen Alleinerziehenden beziehen null Franken. Die Besserverdienenden sind oft bei privaten Ausgleichskassen, die meist über die kantonalen Minimalansätze hinaus zahlen. Gänzlich unsozial wirken die Steuerabzüge für Familien: je höher der Lohn, desto höher der Rabatt. Das Maximum der Ersparnis setzt ab einem steuerbaren Jahreseinkommen von 128 000 Franken ein, wie die Bass-Studie akribisch darlegt. Damit sparen Besserverdienende mindestens 550 Millionen bei der Bundessteuer und mindestens 1,7 Milliarden bei den Kantons- und Gemeindesteuern. Zusätzlich subventioniert der Staat Kinderkrippen in Höhe von 300 Millionen Franken, wovon profitiert, wer sein Kind in der «richtigen» Krippe hat.

Das Resultat dieser Art Sozialpolitik ist himmelschreiend: Die Schweiz transferiert sieben Milliarden Franken im Jahr zu den Familien – und trotzdem ist in Basel jedes achte, in Zürich und Bern jedes neunte Kind auf Sozialhilfe angewiesen. «Kinder sind ein Armutsrisiko», schreibt die Zürcher SP-Familienpolitikerin Jacqueline Fehr in ihrem Buch unter dem Titel «Luxus Kind?» und warnt: «Ohne Familienpolitik sehen wir bald alt aus.»

Was tun? Der Staat müsste die heutigen Transfers wenigstens effizient ausschütten. Würde man das Volumen – die sieben Milliarden Franken im Jahr – in eine einzige Kanne schütten und damit auf jedes Kind unter 16 und jeden Jugendlichen unter 25 in Ausbildung einen Spritzer abgeben, käme eine Zulage von 300 Franken im Monat heraus. Das wäre eine sprichwörtliche Giesskanne; dafür würde endlich jedes Kind profitieren. «Wenn Regierungen das Kinderkriegen subventionieren wollen, ist es am besten, den Familien eine monatliche Pauschale auszubezahlen», meint der US-Nobelpreisträger Gary Becker. «Dann können die Familien wenigstens selber entscheiden, wofür sie das Geld ausgeben wollen.»

Auch wenn die Kinderzulage auf 300 Franken anstiege, die Wirkung wäre bescheiden: «Es lässt sich keine gut ausgebildete, karrierebewusste junge Frau von ihren beruflichen Plänen abhalten, nur weil der Staat ihr mit ein paar Hundert Franken im Monat winkt», meint der liberale Publizist Beat Kappeler. Ganz offensichtlich geht es in diesen Fragen gar nicht ums Geld. Es sind ja auch nicht die unteren Schichten in den Gebärstreik getreten, sondern die oberen. Die sind nicht impotent. Die wollen einfach nicht.

Eine Untersuchung des Bundesamts für Statistik, «Mikrozensus Familie in der Schweiz», legte es an den Tag: Von den Frauen, die zur Volksschule gehen, bleiben 8 Prozent kinderlos, bei Frauen mit Sekundarabschluss sind es 17 Prozent, bei Frauen mit Matura-Abschluss 35 Prozent. Eine Studie des Büros Ecoplan zeigt das gleiche Bild: Die zehn Prozent der ärmsten Haushalte haben im Schnitt 1,6 Kinder, die Haushalte in der Mitte ziemlich genau ein Kind, die zehn Prozent der reichsten Haushalte im Schnitt noch 0,4 Kinder.

Diese Frauen denken – statt an Kinder – an ihre Karriere. Das ist kein Vorwurf, dahinter steckt rationales Verhalten. «Verdient die Frau bis zur Heirat knapp zehn Prozent weniger als der Mann bei gleicher Qualifikation, so sind es nach der Geburt des ersten Kindes rund 25 bis 30 Prozent weniger», belegt Jacqueline Fehr mit Studien des Büros Bass. «Auch im weiteren Verlauf der Berufsbiografie kann diese Differenz nicht mehr entscheidend abgebaut werden.»

Beat Kappeler setzt dagegen auf freiwillige Lösungen: «Nur wenn junge Väter Windeln wechseln, gibt es künftig genügend Rente.» Der Mann und die Frau, beide sollen ihr Arbeitspensum auf 80 Prozent reduzieren, damit beide, auch als Vater und Mutter, ihre Karriere voll durchziehen können.

Damit dieses hoffnungsvolle Szenario eintritt, müssen dringend ein paar Rahmenbedingungen erfüllt sein: Erstens sollten die Arbeitgeber den Nebenjob am Windeltisch schätzen lernen und ein 80-Prozent-Pensum für voll nehmen. Zweitens müsste das Angebot an privater Kleinkinderbetreuung genügend gross sein. Drittens sollten Kinder früher eingeschult werden, schon aus pädagogischen Gründen. Und viertens braucht jede Schule einen Mittagstisch.

Von Punkt eins bis vier erfüllt die Schweiz keinen einzigen. Noch gibt es ganz selten 80-Prozent-Vorgesetzte. Noch sind Kinderkrippen knapp, teuer und werden zudem «als Aufbewahrungsorte verstanden», klagt Christian Aeberli, Bildungsexperte von Avenir Suisse, «dabei müssten es Förder- oder noch besser Lernstätten sein». Er erinnert an die neuen Erkenntnisse der Hirnforschung. «Sind die Kinder einmal fünf Jahre alt, ist entwicklungspsychologisch der Koffer gepackt, der Rest ist dann nur noch Verfeinerung.» In den USA lernen Dreijährige in Pre-Schools das Lesen und Schreiben. In Frankreich besuchen schon viele Zweijährige die Ecole maternelle, ein Jahr später sind es 99 Prozent der Dreijähigen.

Diese Politik kommt an, eine Französin bringt durchschnittlich 1,8 Kinder zur Welt. In der Schweiz dagegen steckt sogar die Tagesschule, die überall im nicht deutschsprachigen Europa eingeführt ist, noch im Stadium des Pilotversuchs. «Jeder hier investierte Franken ist der demografisch bestinvestierte Franken», meint Thomas Held, Direktor von Avenir Suisse. Aber eine Garantie gibt es nicht: In Italien steht für Kinder ab drei Jahren, ähnlich wie in Frankreich, eine Ganztagesschule bereit, die Geburtenrate ist mit 1,2 jedoch noch tiefer als in der Schweiz.

Was bleibt? Mit noch mehr Geld locken? Geht nicht. Die effektiven Kosten für ein Kind sind horrend: 340 000 Franken für ein Kind im Alter von null bis zwanzig, hat das Büro Bass berechnet. Werden auch die Einkommensausfälle, heute weitgehend von der Mutter getragen, hinzugezählt, summieren sich die Kosten fürs erste Kind auf 820 000 Franken; ein zweites Kind ist noch halb so teuer. So viel Geld kann kein Staat dieser Welt zurückerstatten. Daran wird auch die Mutterschaftsversicherung, über die das Schweizervolk am 26. September abstimmt, nichts ändern. Ein Urlaub von 14 Wochen ist für eine moderne Frau doch kein Anreiz zur Schwangerschaft.

Oder braucht es gar massive Kinderrenten von 450 Franken im Monat, wie es eine Volksinitiative der christlichen Gewerkschaft Travail Suisse verlangt? Wäre sogar kontraproduktiv, warnen Ökonomen wie Beat Kappeler oder Hans-Werner Sinn. Damit würde man die nachrückende quantitativ schwache Generation doppelt belasten. Sie wird dereinst bereits die zunehmende «Alterslast» tragen müssen, sobald die Babyboomer pensioniert werden. Also soll man ihr bitte nicht auch noch eine neue «Jugendlast» aufbürden, weil massiv höhere Kinderzulagen auch massiv mehr kosten.

Bereits gibt es Stimmen, welche die Lösung des Problems zum neuen Problem hochstilisieren: «Mehr Kinder bedeuten mehr Ausgaben für Kinder und längerfristig mehr Ausgaben für eine Generation, die ihrerseits mit steigender Lebenserwartung rechnen kann. Um die steigende Belastung auszugleichen, müssen dann noch mehr Kinder geboren werden, was die erwerbstätige Bevölkerung noch mehr belastet», schreibt der St.-Galler Soziologe Peter Gross in einem «Weltwoche»-Essay. So gesehen dürfen sich die kommenden Generationen sogar freuen: «Alle heutigen Strassen, Parkplätze, Krankenhäuser, Studienplätze, Schwimmbäder, Freizeiteinrichtungen müssen von weniger Menschen geteilt werden», meint der in Hamburg lehrende Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar. «Das gilt auch für den Faktor Zeit. Eltern haben für Einzelkinder mehr Zeit, sie können ihr Budget für Erziehung und Ausbildung auf das eine Kind konzentrieren.»

Dann kommt Straubhaar zum entscheidenden Punkt: «Nicht die Schrumpfung ist die demografische Herausforderung, sondern die Alterung.»

Just hier setzt auch der Soziologe Peter Gross ein: «Warum eigentlich soll ein Jahrgang, der seine Geburten reduziert hat, nicht mithelfen, die Konsequenzen zu tragen?» Ja, warum nicht? Die Senioren der Zukunft könnten ja länger arbeiten wollen. Sie könnten sich mit weniger AHV-Rente zufrieden geben, zumal die Reicheren unter ihnen. Sie könnten bereit sein, mehr für die Krankenkasse zu zahlen, weil die Alten im Schnitt nicht nur mehr kosten, sondern im Schnitt auch viel reicher sind als die Jungen. Wenn man die Welt so betrachtet, ist die Demografie tatsächlich kein Problem: Die Alten der Zukunft müssen nur ihre Ansprüche herunterschrauben.

Werden die Dinks und Singles der Babyboomer, die nach 1968 sozialisiert worden sind, dazu Hand bieten? Auf freiwilliger Basis kaum. Darum fordert Hans-Werner Sinn: «Wer keine Kinder in die Welt setzt und grosszieht, dem kann eine grössere Rentenkürzung zugemutet werden». Der St.-Galler Ökonom Franz Jaeger hat die Idee bereits kopiert: «Weniger AHV für Kinderlose!», fordert er. Man könnte auch ergänzen: «Höhere Krankenkassenprämien für Kinderlose!»

Und die Moral von der Geschicht? Der Staat soll die Kinderhabenden nicht belohnen, sondern die Kinderlosen bestrafen. Das klingt drakonisch, ist jedoch human. Dinks haben schliesslich ein doppeltes Einkommen, doppelte Karrierechancen, eine doppelte Pensionskasse.

Literatur zum Thema

  • Beat Kappeler: Die Neue Schweizer Familie. Verlag Nagel & Kimche, 2004
  • Hans-Werner Sinn: Ist Deutschland noch zu retten? Econ-Verlag, 2003
  • Tobias Bauer, Silvia Strub, Heidi Stutz: Familien, Geld und Politik. Rüegger-Verlag, 2004
  • Jacqueline Fehr: Luxus Kind? Orell Füssli, 2003
  • Alexis Gabadinho: Kinderwunsch. Eine Analyse der Ergebnisse des Mikrozensus Familie in der Schweiz. Demos, Nr. 1/99, als PDF unter www.statistik.admin.ch

BILANZ-Serie: Irrtümer der Wirtschaftspolitik

  • Irrtum Nr. 1: Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg (BILANZ 3/2004)
  • Irrtum Nr. 2: Der Staat fördert das Wohneigentum (BILANZ 4/2004)
  • Irrtum Nr. 3: Die Inflation muss null Prozent betragen (BILANZ 5/2004)
  • Irrtum Nr. 4: Die Sozialhilfe belohnt das Nichtstun (BILANZ 6/2004)
  • Irrtum Nr. 5: Freie Fahrt für freie Bürger (BILANZ 7/2004)
  • Irrtum Nr. 6: Unser Bildungswesen ist das beste der Welt (BILANZ 8/2004)