Der Satz ist in seiner Schärfe unerreicht. Auch zwei Jahre später noch hallt nach, was Digital-Investor Oliver Samwer einem Altmänner-Panel in Paris im Sommer 2014 zurief: «Geschäfte sind Mittelalter. Sie wurden nur gebaut, weil es kein Internet gab.»

Die Online-Sphäre als neue Welt, stationäre Läden als veraltete Lachnummer – so das Credo von Samwers Rocket Internet, der Berliner E-Commerce-Fabrik, aus der auch der erfolgreiche Online-Modehändler Zalando stammt.

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Zalando hat Läden jetzt lieb

Wenn die Wortführer des Online-Shoppings heute auftreten, tönt das dezidiert anders. Zalando hat jetzt Läden lieb. Dominik Rief, Zalando Länderchef für Österreich und die Schweiz, glaubt an das Überleben erdgebundener Geschäfte: «Läden wird es immer geben», sagte er am Rande des letztwöchigen St. Galler Handelstages. Und mehr noch: «Wir passen unser Angebot so an die Bedürfnisse der Kunden an, dass das Einkaufserlebnis so bequem wie möglich ist.» Der Schlachtruf lautet «Offline-Integration».

Was Rief damit meint: Online-Riese Zalando der sich mit einem Umsatz von knapp 3 Milliarden Euro «grösster Kleiderschrank Europas» nennt, will sich in die Welt der Einkaufsstrassen und Einkaufszentren ausbreiten. Nicht mit eigenen Läden. Sondern mit einer Umarmung bestehender Geschäfte. Wie das aussehen kann, zeigt die Firma seit ein paar Tagen mit dem deutschen Modehändler Bodycheck im Berliner Einkaufszentrum Alexa. Die Kunden bestellen über die Website von Zalando tatsächlich ausgeliefert wird das Paket aber von Partner Bodycheck, wo auch allfällige Retouren abgewickelt werden.

Schweiz im Visier

Das Thema, sagt Rief, lasse sich weiterdenken. Es könne auch bedeuten, dass ein stationärer Laden seine Produkte von Zalando fotografieren und gleich auch den Online-Versand über den Moderiesen laufen lasse. «Technisch ist das Modell auf jedes Land übertragbar», sagt Rief, «wir testen das Projekt jetzt mit ersten Partnern. Wenn alles gut anläuft, können wir uns sehr gut vorstellen, das Angebot breiter auszurollen, auch mit Shops in der Schweiz

Wie kommt ein Online-Dominator dazu, sich plötzlich für die einst verspottete Welt der Backsteine und Rundständer zu interessieren? Zalando will zur Mega-Plattform werden, die sich über alle Kanäle und Formate vernetzt. Rückwärts-Integration nennt es Roger Basler, Inhaber der Winterthurer Digital-Marketing-Agentur Gustav & Paul und Geschäftsführer der Swiss E-Commerce-Academy: «Zalando verlängert seine Wertschöpfungskette und benutzt dazu bestehende Infrastruktur.»

Zusätzliche Einnahmen und Kundendaten

Mit Dienstleistungen für die Ladenwelt könnte Zalando zusätzliche Einnahmen generieren und ganz nebenbei auch an Daten kommen, die noch genauer aufzeigen, was der Kunde wie und wann will. Die Frage dabei: Werden sich gut positionierte Offline-Händler finden, die bei diesem Modell mitmachen und also an den Erzfeind Zalando andocken wollen?

Jörg Weber, Gründer und Chef der Young-Fashion-Kette Chicorée, der mit 160 Läden eines der engmaschigsten Mode-Netze der Schweiz führt, findet es sehr spannend, dass Onliner nun auf den Geschmack kommen, mit stationären Händlern zusammenzuarbeiten. Die Absage hat Weber schon parat: «Für uns kommt das nicht in Frage.» Zalando, sagt Weber, «will unser Potenzial anzapfen – aber das möchte ich lieber selber ausschöpfen. Kommt dazu, dass sich bei Inanspruchnahme von Zalando Dienstleistungen unsere Marge verringert. Das liegt aber nicht drin.»

Interesse an der alten Ladenwelt

Was Zalando vor allem interessiert an der alten Ladenwelt: Die stationären Geschäfte liegen meist an gutbesuchten Lagen, sie sind sechs Tage in der Woche geöffnet. Das macht sie attraktiv als Pickup-Stationen. Warum die Kunden nur aus einer ferngelegenen Logistik heraus bedienen, wenn sie an ihren täglichen Wegen an Zalando vorbeikommen könnten? Weber mag da nicht mitspielen: «Als Auslieferungspunkt sehe ich unsere Filialen nicht. Wir möchten nicht Platz machen für externe Konzepte, sondern jeden Quadratzentimeter für unsere Produkte nutzen.»

Offener gibt sich Adrian Grossholz. Der Chef von Karl Vögele, der mit Vögele Shoes, Bingo Shoe Discount und Max Shoes über rund 280 Filialen in der Schweiz gebietet, würde eine Zusammenarbeit nicht partout ablehnen: Der Markt verändert sich zurzeit sehr stark. Ganz ohne Argwohn würde er jedoch nicht andocken: «Es müsste eine Win-win-Situation sein. Zalando nur als Partner, der primär Daten absaugt, liegt nicht in unserem Interesse», sagt Grossholz.

Zalando-Ehe als Notmassnahme

Online-Spezialisten verstehen diesen Vorbehalt. «Die engen stationären Filialnetze sind natürlich interessant für Zalando weil sie damit sehr viel näher an den Kunden kommen und sehr schnell ausliefern können», sagt E-Commerce-Spezialist Thomas Lang von der Beratungsfirma Carpathia. Der stationäre Handel aber werde damit «zum Steigbügelhalter und begibt sich in eine Abhängigkeit». Sobald die Abhängigkeit gross genug sei, befürchtet Lang, werde Zalando dann auch Preise und Margen diktieren können. Für Lang, welcher den Schweizer Umsatz von Zalando auf 425 Millionen Franken schätzt, wären enge Kooperationen des stationären Handels mit Zalando der Anfang vom Ende.

Es sei denn, stationäre Händler wären mit ihrem herkömmlichen Geschäft schon so nahe am Ende, dass sie nur noch die Variante sehen, ihr Netz für alle Zalando Avancen zu öffnen. «Für eine Ladenkette in wirtschaftlichen Schwierigkeiten», sagt Chicorée-Chef Weber, könnte ein Trittbrettfahren mit dem Online-Aggressor eventuell bereichernd sein. Oder eine Überlebensmassnahme. «Aber ob das dann interessant ist für Zalando bleibt dahingestellt.»

Andreas Güntert
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