Das Freilager von Genf ist eine der grössten Schatzkammern Europas: 1000 Bilder und Zeichnungen von Pablo Picasso lagern in einem einzigen Gewölbe, nebenan finden sich holländische Barockmaler, französische Impressionisten und amerikanische Pop-Art-Künstler – Kunstwerke im Privatbesitz, mit denen sich mehrere Museen ausstatten liessen. Dazu sind auf 140 000 Quadratmetern an den beiden Standorten in Lancy und am Flughafen Genf antike Vasen, Münzen und Statuen, Juwelen, Luxusuhren und – in unterirdischen Garagen – edle Oldtimer untergebracht. «In unseren Kellern lagern auch rund drei Millionen Flaschen wertvoller Weine», sagt Gilbert Epars, Co-Marketingdirektor der Ports Francs et Entrepôts de Genève.

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Hot Spots des Kunstmarkts

Freilager wurden eingerichtet, um den internationalen Handel zu erleichtern. Geografisch sind sie Inland, zoll- und steuerrechtlich exterritorial. Waren, die in andere Länder weitertransportiert werden, werden hier zollfrei zwischengelagert. Einfuhrzölle werden erst im Bestimmungsland fällig.

Ganz im Stillen haben sich Freilager wie die vom Kanton Genf und vom Zoll getragenen Ports Francs in Genf zu Zentren des internationalen Kunsthandels entwickelt. Genutzt werden sie von Ga-leristen, Auktionshäusern, privaten Sammlern und Fonds.

«Die Freilager haben für den Kunstmarkt eine enorme Bedeutung», sagt Stefan Horsthemke, Geschäftsführer der Düsseldorfer Kunstberatung Berenberg Art Advice. «Auch wir nutzen die Freilager in Genf und Singapur.» Das Unternehmen, 2011 von der Hamburger Privatbank Berenberg und dem Düsseldorfer Kunstberater Helge Achenbach gegründet, offeriert Kunden neben Beratung auch die Verwaltung von Kunstsammlungen – und mietet hierfür Tresore in Genf und Singapur. «Dabei bekommen wir von den Freilagern Sonderkonditionen, die wir an Kunden weitergeben», sagt Horsthemke.

Sicherheitskräfte schützen die Freilager, die von Kameras überwacht und durch tonnenschwere Türen gesichert werden, rund um die Uhr. Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Tresoren werden genau kontrolliert; empfindliche Gemälde sind dort besser aufgehoben als in der Villa eines Sammlers.

Zweitteuerste Auktion aller Zeiten

Die Dienste sind gefragt, auf dem Kunstmarkt herrscht Hochkonjunktur. Christie’s registrierte Mitte November mit 412 Millionen Dollar die zweitteuerste Auktion aller Zeiten und die einträglichste Versteigerung von zeitgenössischer Kunst in der Geschichte des Auktionshauses überhaupt. «Statue of Liberty» von Andy Warhol etwa ging für 43,7 Millionen Dollar an einen anonymen Bieter. Die Reichen dieser Welt haben sieben bis acht Prozent ihres Vermögens in Kunst investiert, so die Beratung Capgemini. Die Hoffnung, sich damit vor Inflation zu schützen, treibt sie an Auktionen.

Für Kunstinvestments aber fallen lästige Nebenkosten an, allen voran Steuern und Zölle. Die meisten Länder verlangen für die Einfuhr von Bildern, die beispielsweise bei Christie’s in New York oder Sotheby’s in London ersteigert wurden, Einfuhrzölle von 5 bis 15 Prozent. Werden die Neuerwerbungen jedoch in den Ports Francs von Genf eingelagert, entfällt die Abgabenpflicht zunächst – vorausgesetzt, der Kunde hat den Freilager-Status beantragt. Dann kann er frisch erworbene Bilder beliebig lange einlagern lassen. Der Fiskus greift erst zu, wenn die Bilder in ein Land eingeführt werden. Viele Käufer aber betrachten Kunstwerke als reines Investment, sie verzichten darauf, die Bilder aufzuhängen. Der bessere Schutz im Freilager und die eingesparten Abgaben sind ihnen wichtiger.

Wer ein deponiertes Kunstwerk wieder verkaufen möchte, kann dies sogar steuerschonend an Ort und Stelle tun. Hierfür gibt es im Freilager Genf Schauräume, in denen Interessenten Gemälde in Augenschein nehmen können. Überdies liegen ganz in der Nähe Labors, in denen sich die Echtheit von Bildern überprüfen lässt, etwa per Pigment- und Röntgenuntersuchung.

Zuweilen wurden Freilager auch von Dieben und Hehlern benutzt, die dort gestohlene Kunstwerke versteckten. Die grenzenlose Diskretion, welche die Betreiber versprachen, brachte die Schweiz ebenso in Verruf wie das vielfach missbrauchte Bankgeheimnis.

Fluchtpunkt Singapur

2009 führte die Schweiz neue Vorschriften ein, wonach Freilagerkunden für den Zoll detaillierte Inventarlisten über die eingelagerten Gegenstände, deren Wert und die Eigentümer aufstellen müssen. In den Ports Francs von Genf sind nun ständig Zollbeamte anwesend, welche die an- und abtransportierten Güter und deren Begleitpapiere prüfen. «Sie haben jederzeit Zugang zu den Depots», sagt Co-Ports-Francs-Marketingdirektorin Florence May. Eigentümer, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen, blasen deshalb zum Umzug. Sie wählen oft den gleichen Fluchtpunkt wie viele Inhaber eines Schweizer Bankkontos – den Stadtstaat Singapur.

Vor zwei Jahren eröffnete der Singapore Free Port, der wie sein Genfer Vorbild in der Nähe des Flughafens liegt. Falls gewünscht, werden internationale Kunden mit Limousinen und bewaffneter Eskorte vom Airport Changi abgeholt. Die Safes und Tresore sind rund um die Uhr zugänglich. «Art Fortress in the Heart of Asia» (Kunstfestung im Herzen Asiens) nennen die Betreiber die Anlage, deren futuristische Architektur sich von den tristen Ports Francs in Genf abhebt. Allein das Auktionshaus Christie’s hat ein Viertel der Lagerfläche von 24 000 Quadratmetern angemietet. Geplant und gebaut wurde der Singapore Free Port von der Schweizer Kunstlogistikfirma Natural Le Coultre, die auch in Genf aktiv ist.

Mehr Diskretion

Es gibt allerdings einen kleinen Unterschied. «Wir bieten mehr Diskretion als Genf», versichert Free-Port-Chef Alain Vandenborre. «Die Kunden brauchen bloss anzugeben, welche Kategorie von Wertgegenständen sie einlagern möchten, also zum Beispiel Gold, Wein oder Gemälde.» Nähere Angaben zu den Objekten, ihrem Wert und den Eigentümern verlangen die Behörden in Singapur nicht. Zwei Jahre nach der Einweihung plant Singapore Free Port jetzt eine Erweiterung.

Weitere Freilager sind in Planung. Unweit des International Airport in Peking soll bis 2015 der Beijing Free Port of Culture errichtet werden, in dem sich Galeristen, Auktionshäuser und Spediteure neben Lagerhäusern niederlassen sollen. Französische Investoren wollen auf einer Seine-Insel westlich von Paris auf dem Areal einer abgerissenen Renault-Fabrik einen Port Franc schaffen.

Überdies baut Natural Le Coultre für 30 Millionen Euro in Luxemburg ein Freilager am Flughafen Findel. Der Airport ist seit langem auf die Abwicklung von Frachtflügen spezialisiert, mit denen Kunstwerke in alle Welt transportiert werden. Luxemburg, Paris, Peking, Singapur, Genf: Die Sammler und Investoren haben künftig gleich mehrere sichere Häfen zur Auswahl, in denen sie von den Zoll- und Steuerbehörden geschont werden.