Die Geschichte begann am 12. Juni 2008 in der Old Fashion Bar hinter dem Zürcher Paradeplatz. Begleitet von Holunderblüten- und Melonenbowle, Gemüsequiche und Mini-Kalbsbratwurst hatte Rolf Dobelli am Nachmittag rund 20 Wissenschaftler und 20 Businessleute zusammengetrommelt. Zwischen Stehtischen begrüsste er in Jeans und blauem Hemd, wie üblich die oberen zwei Knöpfe geöffnet, Wirtschaftsgrössen wie die damaligen Chefs von Phonak, Sulzer und Swiss, Valentin Chapero, Ton Büchner und Christoph Franz, Investor Peter Friedli oder die Finanzgrössen Thomas Matter und Rainer-Marc Frey.

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Die Wirtschaft hörte im Wesentlichen zu: Kurt Wüthrich, ETH-Chemiker und Nobelpreisträger, referierte über biomedizinische Forschung in der «postgenomischen Ära», in der sich die Blicke nicht mehr auf das Erfassen von Datensequenzen, sondern auf umfangreichere Zusammenhänge richten. Computerwissenschaftler Petros Koumoutsakos verblüffte mit der «Macht der Simulationen», Art-Basel-Chef Marc Spiegler verschaffte Einblicke, wie das Internet die Welt der Kunst verändert, und der hoch dekorierte Zürcher Ökonom Ernst Fehr sprach über die «Neurobiologie von Fairness und Vertrauen». Bilaterale Gespräche schlossen sich an.

Wissenslücken und Denkfehler. Anschliessend verbrachte der Schriftsteller viel Zeit am Telefon. «Ich wurde regelrecht bestürmt», erinnert er sich. Wann machst du wieder so etwas? Ich möchte dabei sein! Einer bot sich umgehend an, die Kosten für den nächsten Event zu übernehmen. «Da wurde mir klar, dass ich in eine Lücke hineingestossen war.» Zurich Minds war gestartet.

Einen Teil dieses speziellen Vakuums schliesst Dobelli bereits mit seinen Kolumnen, die in der «SonntagsZeitung» und der «Frankfurter Allgemeinen» erscheinen. Populäre «Denkfehler», die das tägliche Leben verkomplizieren oder in falsche Richtungen locken, entlarvt er – nicht auf Basis gesammelter Bauchgefühle, sondern wissenschaftlich, vor allem kognitionspsychologisch. Rolf Dobellis neues Buch «Die Kunst des klaren Denkens» hat folgerichtig einen wissenschaftlichen Apparat: Auf satten 21 Seiten listet er die akademischen Quellen auf.

Das ist der vorgelagerte, unsichtbare Aspekt von Zurich Minds: Dobelli ist fasziniert von den Erkenntnissen der Wissenschaft, die Tonnen hochinteressanter Anregungen und Einsichten zu bieten habe – aber ausserhalb der akademischen Community kaum wahrgenommen werde. Dem will er abhelfen: via seine Zurich Minds.

Auslöser dieses speziellen Verlangens waren womöglich frühe Fehlentscheide: Als Student an der HSG in St. Gallen «habe ich mich furchtbar gelangweilt», sagt Dobelli, «Professoren referierten ihre Bücher in den Vorlesungen, alles null empirisch». Also las er naturwissenschaftliche «papers». Studium und Business-Karriere machte er trotzdem, wurde Finanzchef bei diversen Tochtergesellschaften der Swissair.

Dann stieg er aber abrupt aus, fing an, Bücher zu schreiben, die seinen radikalen persönlichen Wandel dokumentieren: «Fünfunddreissig: Eine Midlife Story» erschien 2003, «Und was machen Sie beruflich?» ein Jahr danach, 2007 schliesslich das Selbsterforschungskompendium «Wer bin ich? 777 indiskrete Fragen». Inzwischen sind es sechs Bücher, darunter auch Romane. Schon 1999 hatte er mit Partnern den Buchzusammenfassungsdienst GetAbstract gegründet, heute Marktführer in seiner Branche.

In der Schweiz, sagt Dobelli, «merkte ich bald, dass in keinem Wirtschaftsbereich, ausgenommen Leute bei den grossen Pharmaunternehmen, jemand Ahnung hatte, was wirklich in den Naturwissenschaften läuft». Das will er ändern – und mietet die Old Fashion Bar.

Beim zweiten Event von Zurich Minds – es gibt nur einen pro Jahr – sind bereits 80 Leute dabei, dann 120, dann 200. Die Veranstaltung zügelt ins Zunfthaus zur Waag, ins Zunfthaus zur Meisen und schliesslich ins Zürcher «Kaufleuten». Hier wird Dobelli im Dezember dieses Jahres fast 300 Gäste empfangen, «damit stossen wir so langsam an die Obergrenze», sagt er. Denn es sollen sich möglichst viele noch bilateral austauschen können. Neu dabei sind dieses Jahr SRF-Boss Roger de Weck, SBB-Chef Andreas Meyer, Google-Topmann Philipp Schindler, Stanford-Ökonom Paul Romer, der Schweizer Literaturpapst Peter von Matt sowie Gerd Gigerenzer, Psychologe und Direktor beim Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Eine der Hauptattraktionen bei Zurich Minds ist Nassim Taleb. Der Autor des Weltbestsellers «The Black Swan» und Universalintellektuelle, der mit Vorliebe die Arbeiten von Nobelpreisträgern als «Unsinn» abqualifiziert, war einmal offiziell Gast, aber mehrfach für informelle Gespräche mit Minds-Mitgliedern in der Schweiz. Dobelli, der ihn seit Jahren kennt und dessen Kolumnen von Taleb inspiriert sind, ist einer der wenigen Menschen, mit denen Taleb gern spricht – Interviews verweigert er konsequent. So wie Ernst Fehr, Kurt Wüthrich und andere Schweizer Topforscher Dobelli noch besseren Zugang zur hiesigen Wissenschafts-Community verschafften, «öffneten sich durch die Bekanntschaft mit Taleb weitere Türen zur East-Coast-Intelligenzia in den USA», sagt Dobelli.

Die Referenten beziehen keine Honorare, Flüge und Hotel sind aber bezahlt. Das ist zwar wenig im Vergleich zu der sechsstelligen Dollarsumme, die Taleb ansonsten pro Auftritt kassiert. Dennoch braucht die Stiftung Zurich Minds Unterstützer. Breit bekannt sind Rainer-Marc Frey und seine Frau. Andere wollen sich nicht outen. Swiss und Lufthansa sponsern die Flüge der Referenten.

Wissenschaftliche Erkenntnisse den Wirtschaftsleuten zu vermitteln, die das Wissen dann zu Geschäftsideen destillieren oder Projekte starten – diesen Transfer zu organisieren, gibt Dobelli zu, sieht er «durchaus als Mission». Und es klappt: Siemens hat mit der aparten ETH-Chemieprofessorin Greta Patzke im Bereich «Watersplitting» eine Initiative gestartet, Novartis-Forschungschef Trevor Mundel spannt mit dem genialen Medizinillustrator David Bolinsky zusammen, der frühere Swissmetal-Chef Martin Hellweg hat mit dem Astrophysiker Ben Moore die Rockband Milk67 gegründet.

Nichts für Plaudertaschen. Viele der Inspirationen macht Dobelli öffentlich – er stellt Videos von Vorträgen oder auch von Interviews, die er mit Referenten geführt hat, auf die Website von Zurich Minds. Ein charmantes Detail des Events ist das Gebot der Einfachheit – rhetorische Girlanden akzeptiert Dobelli nicht, und die Zeitvorgaben sind rigoros: Es geht Schlag auf Schlag mit den Vorträgen, die kürzesten erhalten sechs Minuten. Powerpoint-Vorträge akzeptiert Dobelli, aber er lässt sich jeden vorab zeigen, und «ich knalle den Referenten jede Menge Slides raus».

Rolf Dobelli ist nicht allein. Er amtet als Chairman und Gründer, aber das Stiftungs-Board ist hochkarätig besetzt: Russell-Reynolds-Headhunter Pascal Forster, Eventmanager Hans-Jürg «Schoscho» Rufener, Michael Hengartner, Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät der ETH, Kibag-Eigentümer Alex Wassmer – und Thomas Ladner, Partner bei Exigen Capital, Multi-Verwaltungsrat, ausgebildeter Wirtschaftsanwalt und Grosswesir aller Netzwerker.

Ladners exklusiver Business-Zirkel «Entrepreneurial Roundtable» bildet den Kern der Wirtschaftsleute von Zurich Minds. «Das war mein Beitrag», sagt Ladner, «die aus ihren Business-Silos herauszuholen.» Auch alle anderen im Board bringen ihre Netzwerke ein, und Rufeners Agentur organisiert die aufwendigen Events zu einem Freundschaftspreis.

Als Nebenprogramm organisiert Dobelli drei oder vier «deep dives» pro Jahr – kleine Kreise von 30 bis 40 Leuten, die sich über sehr spezifische Themen austauschen. An erster Stelle steht der persönliche Austausch, weiss Ladner: «Networking darf als Motivation nicht das Business haben, sondern man muss Menschen mögen – wenn es menschlich passt, entsteht Business dann zwangsläufig.» Genau das war Dobellis Idee.

Wissenschaftler berichten, Manager staunen und starten Projekte – das ist Dobellis Idee.