Auf dem Markt für Kranken-Zusatzversicherungen liegt grosses Potenzial brach: Die Schweizer Privathaushalte bezahlten 2016 für Gesundheitsleistungen inklusive Kostenbeteiligungen an versicherte Leistungen 24 Milliarden Franken direkt aus dem eigenen Portemonnaie. Und seit 2012 wächst der privat finanzierte Markt der medizinischen Leistungen etwa gleich wie die Grundversicherung.

Doch das Volumen der Zusatzversicherungen im privat finanzierten Bereich wächst deutlich schwächer als das der Selbstzahler. Die verdienten Prämien pro Kopf im Zusatzversicherungsbereich stiegen zwischen 2008 und 2016 bloss um 6 Prozent von 743 auf 788 Franken. Das zeigt eine Analyse des Gesundheitsökonomen Pius Gyger im Auftrag des Online-Vergleichsdienstes Comparis.

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80 Prozent freiwillige Selbstzahlungen

Von den über 24 Milliarden Franken der privat finanzierten Gesundheitsleistungen entfallen fast 80 Prozent auf freiwillige Selbstzahlungen und der Rest auf Zusatzversicherungen. Hier sind die rund 4,3 Milliarden Franken Kostenbeteiligungen an medizinische Leistungen zu Lasten der Sozialversicherungen nicht dabei. Die Zahlen der Haushaltsbudgeterhebung (HABE) zeigen: Mit 5,5 Milliarden Franken machen Pensions- und Betreuungskosten in Pflegeheimen einen wesentlichen Teil der direkt von den Privathaushalten gedeckten Kosten aus. Weitere 3 Milliarden sind selbst- bezahlte Arztleistungen ausserhalb der Kostenbeteiligungen der Grundversicherung. Bemerkenswert ist: Die durch die Grundversicherung gedeckten Arztleistungen machen demnach nur rund zwei Drittel der gesamten Arztkosten aus. Zusätzliche 2,8 Milliarden geben Herr und Frau Schweizer beim Zahnarzt aus und 1,6 Milliarden Franken für Medikamente. Ebenfalls 1,5 Milliarden Franken entfallen auf andere ambulante Leistungen und weitere 1,1 Milliarden Franken auf Brillen und Kontaktlinsen.

Mit 40 Prozent privater Finanzierung und 60 Prozent Zwangsabgaben liegt die Schweiz bei den Gesundheitsausgaben auf einer Linie mit Israel, Griechenland und Chile. In unseren Nachbarländern Deutschland und Frankreich wird mit je knapp über 15 Prozent viel weniger privat finanziert. In absoluten Zahlen betrachtet stehen die Schweiz und die USA bezüglich der privat finanzierten Gesundheitsausgaben pro Kopf weltweit an der Spitze. Aber an den privat finanzierten Gesundheitsausgaben machten im Jahr 2016 die Zusatzversicherungen mit einem Anteil von rund 5,4 Milliarden Franken tatsächlich bloss rund 20 Prozent aus. «Die Bedürfnisse der Bevölkerung gehen weit über die von der Grundversicherung gedeckten Leistungen hinaus. Die Zahlungsbereitschaft für Gesundheitsleistungen über das zwangsfinanzierte Angebot hinaus ist in der Schweiz immer noch hoch», schlussfolgert Studienautor Pius Gyger.

Lukrativer Markt

Die Versicherer könnten von der Kaufkraft und Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden noch viel stärker profitieren. Denn an sich präsentiert sich der Zusatzversicherungsmarkt auch lukrativ: Zwischen 2008 und 2016 sind die Prämieneinnahmen der Versicherer in diesem Feld um 865 Millionen Franken auf 6,6 Milliarden Franken angewachsen. Die Schadenzahlungen haben demgegenüber nur um 353 Millionen Franken zugenommen (auf 4,7 Milliarden Franken). Das ergibt für die Branche ein Plus von 512 Millionen Franken, das vornehmlich zum Aufbau von Reserven und Rückstellungen verwendet wurde.

Die Schadenquoten haben sich dabei unabhängig vom Geschäftsvolumen der einzelnen Unternehmen entwickelt. Es haben also auch kleinere Versicherer profitiert. Im stationären Bereich war Groupe Mutuel mit einer Schadenquote 2008 bis 2016 von 56 Prozent vor ÖKK und Sympany mit je 57 Prozent an der Spitze. Die beiden Marktführer Helsana (74 Prozent) und CSS (68 Prozent) befinden sich im guten Mittelfeld. Supra lag mit 101 Prozent am Schluss der Rangliste und hat inzwischen das Zusatzversicherungsgeschäft aufgegeben. «Die Versicherungsbranche ist grundsätzlich in einem sehr guten Zustand», so Gyger.

«Da Zusatzversicherte ab 50 nicht mehr wechseln können, fehlt ihnen die Marktmacht. Das hat die Versicherer aber träge gemacht», meint Comparis-Krankenversicherungsexperte Felix Schneuwly. Tatsächlich drohe der Markt der Zusatzversicherungen zu implodieren, wenn die Assekuranz sich nicht innovativer zeige. Denn aufgrund erhöhter Risiken in den bestehenden Beständen und durch die zunehmende Ambulantisierung der Akutmedizin geraten die bisher lukrativen, klassischen Spitalzusatzversicherungen unter Druck. So sinkt die Notwendigkeit eines stationären Spitalaufenthaltes immer weiter und damit auch die Attraktivität, dafür hohe Prämien zu zahlen. Und zuletzt lässt sich die Versichertenzahl offensichtlich nicht mehr steigern.

Flexible Produkte im Fokus

Potenzial sieht Schneuwly im Markt der Flex-Produkte. Dieser ist seit 2005 von 0 auf 627 658 Versicherte im Jahr 2016 angewachsen. Das wachsende Interesse hat gute Gründe. So zeigt eine Untersuchung von Comparis: mit Flexprodukten sind die maximalen Upgradekosten für die stationäre Behandlung in der Halbprivat- oder Privatabteilung mitunter schon in zwei Jahren aufgrund der tieferen Prämien amortisiert. Da eine Spitalzusatzversicherung meist in jungen Jahren und bei guter Gesundheit abgeschlossen werden muss, profitieren die Policennehmer besonders stark im Zeitverlauf: Versicherte können mit einem Flexprodukt im Vergleich zu einer Privatversicherung über drei Jahrzehnte 60 000 Franken und mehr sparen.

Doch diesem wachsenden Bedürfnis nach Flexibilität ohne Verzicht auf Komfort entsprechen die Versicherer gemäss Schneuwly noch zu wenig. Insbesondere gäbe es noch zu wenig innovative Angebote, welche stationäre und ambulante Leistungen im Spital gleichermassen komfortabel abdecken. «Wer auch für eine ambulante Operation den Komfort einer Halbprivat- oder Privatversicherung will, findet heute kaum entsprechende Zusatzversicherungen», bemängelt er. Ein Fehler, denn im ambulanten Bereich seien Produkte genauso attraktiv für Versicherer wie im klassischen stationären Feld. So bewegen sich diverse Versicherer hier bei Schadenquoten zwischen 65 und 78 Prozent. Die Marktführer weisen dabei überproportional tiefe Schadenquoten auf (CSS 63 Prozent, Helsana 60 Prozent, Groupe Mutuel 48 Prozent).

Grosses Potenzial ortet Schneuwly zudem bei den überobligatorischen Pflegeversicherungen. Die Kosten für Langzeitpflege steigen aufgrund der demografischen Entwicklung kontinuierlich und machen bereits über 16 Milliarden Franken aus. Die nicht von der Grundversicherung gedeckten Unterkunfts- und Verpflegungskosten für Langzeitpflege betragen schnell 8000 bis 10 000 Franken monatlich. «Wer sein Vermögen nicht ans Pflegeheim verlieren will, sollte sich gut versichern», so der Experte. Bei Pflegeprodukten verzeichnen die Versicherer im Durchschnitt konstante Schadenquoten von 55 Prozent. Doch sind Pflegeversicherungen aktuell in der Schweiz absolute Nischenprodukte und für breite Bevölkerungsgruppen wenig attraktiv.