Seit dem Herbst 2008 bewegt sich die internationale Finanz- und Wirtschaftspolitik im Krisenmodus. Auf die Rettung des Bankensystems folgten Stimulusprogramme, um Arbeitsplätze und Nachfrage zu erhalten, gefolgt von den Sparprogrammen, um die öffentlichen Finanzen zu sanieren. Unausgesprochen steht hinter der Dramaturgie dieser Ereignisse die Erwartung, dass sich nach dem Abebben dieses Sturms die Wogen glätten und die nächste Schönwetterperiode folgt.

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«Neue» Welt mit neuen Playern

Das wird nicht der Fall sein. Wenn sich die letzten Krisenwolken verziehen, werden vor allem die Volkswirtschaften Europas feststellen, dass sich die Globalisierungsgeografie fundamental verändert hat. Die Krise hat sozusagen den letzten Vorhang vor dem nächsten Akt gezogen, der zweiten Welle der Globalisierung. Sie wird durch einige Elemente geprägt, die seit Längerem am Horizont sichtbar waren. Das bekannteste ist die Verschiebung der globalen Machtzentren. War Globalisierung bisher grosso modo eine Nord-Süd-Angelegenheit, mit Kapital- und Know-how-Quellen im Norden und Produktionszentren im Süden, so ist das nicht mehr länger der Fall. In den Schwellenländern sind in den vergangenen Jahren viele Firmen entstanden, die sich mit den multinationalen Firmen im OECD-Raum messen. 70 von ihnen sind bereits unter den «Fortune 500» zu finden, innert zehn Jahren werden es 170 sein. Waren die Exporte aus diesen Ländern in der Vergangenheit mehrheitlich Rohstoffe und Massengüter, sind heute bereits ein Drittel ihrer Exporte Hightech-Güter. China ist heute die führende ICT-Exportnation. Zum ersten Mal können wichtige multilaterale Verhandlungswerke wie die Klimaverhandlungen oder die Doha-Runde nicht mehr abgeschlossen werden, weil die Schwellenländer erfolgreich auf ihren Forderungen beharren. Internationale Verhandlungen werden in Zukunft für die «alten» Staaten schwieriger.

Wichtiger noch ist zweitens die Tatsache, dass heute über die Hälfte der weltweit gehandelten Güter nur noch Vorprodukte sind. Der sich immer rascher drehende Welthandel hat sich zu einem globalen Basar von Bestandteilen gewandelt. Seit Beginn der Doha-Runde 2001 hat sich das weltweite Handelsvolumen fast verdreifacht. Ohne einen Abschluss und damit eine vertragliche Absicherung dieser Handelsströme bleibt das Netz dieser fragmentierten Wertschöpfungsketten, mithin die wichtigste Grundlage des globalen Wohlstands, fragil.

Protektionismus ist wirkungslos

Drittens hat sich auch die Rolle der multinationalen Unternehmen geändert. Sie wechseln Besitzer, spalten sich auf, werden selber als Produkte gehandelt, sind auf mehreren Kontinenten vertreten und verlieren so zusehends ihre Nationalität. Die reflexartige Reaktion nationaler Politiker in Zeiten der Krise, ihre «eigenen» Firmen und Arbeitsplätze zu schützen, wirkt in diesem Umfeld kontraproduktiv. Protektionistische Massnahmen wie höhere Zölle wirken wie eine Steuer auf Importen von Bestandteilen. Sie verteuern die Endprodukte und dadurch letztlich die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Exporteure.

Viertens hat die Krise aufgedeckt, dass sich die Globalisierung der Finanzmärkte von der «normalen» Globalisierung, der Integration der Gütermärkte, abgekoppelt hat. Ihre ursprüngliche Rolle, das Ausleihen globaler Sparguthaben in Form von Krediten und Hypotheken für einen reibungslosen ökonomischen Kreislauf, geriet in den letzten 20 Jahren zur Nebenbeschäftigung. Entwickelten sich bis 1990 Wirtschaft und globale Finanzmärkte über Jahrzehnte im Gleichschritt, so betragen heute die globalen Assets das Vierfache des Welt-BIP. Das Aufblähen der Bilanzen durch den Eintritt neuer Akteure, der Innovationsschub von computergestützten Finanzinstrumenten, die bisher unvorstellbaren Hebeloperationen einzelner Akteure mischten sich in einem Umfeld tiefer Zinsen und hoher Liquidität zu einem Cocktail für die Finanzkrise. Der abrupte Infarkt des Systems und der Ruf nach Regulierung bedrohen nun in einem politisch gereizten Umfeld den gesamten Globalisierungsprozess.

Verschuldung als Riesenproblem

Fünftens trifft die Krisenverschuldung die wichtigsten Volkswirtschaften im OECD-Raum in einem ungünstigen Moment. Die westlichen Wohlfahrtsstaaten stehen vor einem wachsenden Schuldenberg von zukünftigen Renten-, Gesundheits- und Pflegeleistungen. Aufgrund des Babybooms werden die- se Zahlungen nicht gleichmässig, sondern schubartig ab den kommenden Jahren fällig. Gemäss IWF werden die Staatsausgaben der OECD-Länder zwischen 2005 und 2050 ohne Reformen durchschnittlich um über 3% des BIP pro Jahr steigen. Die Kosten der Krise wirken dagegen geradezu bescheiden. Die Schweiz befindet sich nach dem Sturm der Krise in guter finanzieller Verfassung. Ohne Gegenmassnahmen, die bereits in den kommenden Jahren erfolgen müssten, würde die öffentliche Verschuldung jedoch bis 2050 auf über 120% ansteigen. Der «ReStart» nach der Krise verlangt somit auch von der Schweiz ein Überdenken der Globalisierungsstrategie und einige schmerzhafte Reformen.