Schloss Johannisberg im Rheingau gilt als Geburtsort der Spätlese. 1775 wurde hier die erste offizielle Spätlese gekeltert.«Offiziell», weil bereits früher in anderen Regionen Weine aus (edel)faulen Trauben produziert wurden.

Was historisch nicht belegt ist: War es damals Absicht oder geschah das Verarbeiten verfaulter Trauben aus einer Notlage heraus? Und vertuschte man gar die Tatsache, dass der Most fauler Trauben in die Fässer wanderte? 

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Die erste Spätlese war ein Versehen

Um 1775 wollten die Rheingauer Winzer vor den ersten Herbststürmen ihre Trauben gelesen haben. Stichtag nach dem Bauernkalender war der 16. Oktober.

Die erste offizielle Spätlese auf Schloss Johannisberg war ein Versehen. Damals gehörte das Schloss dem Kloster Fulda in Osthessen. Das Schloss am Rhein und das Kloster lagen einen Siebentagesritt auseinander. Ein Verwalter leitete Weinbau und Keller.

Der Abt bestimmte den Lesebeginn

1775 war der Johannisberg mit Riesling bestockt und der 260 Meter lange Gewölbekeller war seit vier Jahren in Betrieb. Der Wein aus den besten Fässern wurde in Fulda abgefüllt und die Flaschen lagerten dort im «Cabinet»-Keller. Qualität war den Äbten sehr wichtig.

Darum durfte am Johannisberg nur geerntet werden, wenn der Abt die Erlaubnis dazu erteilt hatte. Dazu schickte der Verwalter den Traubenkurier nach Fulda. Normalerweise war der Auftrag innerhalb von 14 Tagen erledigt. Doch 1775 brauchte der Kurier doppelt so lange.

Sonniger, trockener Oktober

Glücklicherweise war das Jahr 1775 bis zum Spätherbst trocken. Die Edelfäule konnte sich ausbreiten und kein Regenguss machte die Ernte zunichte.

Der Riesling aus diesem Jahrgang soll köstlich gewesen sein. Alle waren zufrieden und besonders unter Kennern fiel der Spruch: «Solchen Wein habe ich noch nicht in den Mund gebracht».

Das Versehen wird zum Qualitätskonzept

Diesen Erfolg wollte man jedes Jahr wiederholen und zögerte die Traubenernte so lang wie möglich hinaus. Aus der Verspätung des Kuriers wurde die Spätlese. Aus dem Traubenkurier wurde der «Spätlesereiter». 

Was genau den Traubenkurier 1775 aufhielt, ist nicht bekannt. Wie es hätte sein können, erzählt der Comic «Karl – Der Spätlesereiter». Der sympathische Held, ein fieser Widersacher, die verschlafene Obrigkeit, die schöne Frau und ein Happy End: Fast schon Stoff für einen New Adult Roman.