Mit der Cyberwährung Bitcoin ist auch die dahinter stehende Technologie bekannt geworden: Blockchain. Längst hat sich ein Hype entwickelt, denn die Aussicht, Geschäftsprozesse günstig, dezentral, transparent und fälschungssicher abwickeln zu können, beflügelt auch bei Firmen ausserhalb der Bankenbranche die Fantasie. «Es wird viele Anwendungsmöglichkeiten geben», sagt Nils Urbach, Professor für Wirtschaftsinformatik in Bayreuth.

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Ob Währungen, Wissen oder Waren - mit Blockchain lässt sich vieles verwalten. Vor allem in der Logistik und der Energiebranche wird daran getüftelt. Projekte und Ideen gibt es auch für die Herkunft von Diamanten, die Echtheit von Medikamenten oder für autonome Autos, die ihr eigenes Geld verdienen. Doch der Einsatz in der Industrie ist bisher Zukunftsmusik.

«Wenige produktive Anwendungsfälle»

«Es gibt noch wenige produktive Anwendungsfälle, bei denen das Potenzial von Blockchain voll ausgenutzt wird», sagt Urbach. Im Kern geht es dabei um die digitale Zuweisung von Eigentum oder Zugriffsrechten. Transaktionen werden verschlüsselt in einer Datenbank gespeichert - nicht zentral, sondern auf den Rechnern der Nutzer. Weil sämtliche Kopien der Datei auf demselben Stand sind, gibt es laut Dirk Siegel von Deloitte einen wichtigen Vorteil: «Informationen können nicht gefälscht und für immer aufbewahrt werden.» Zudem lässt sich nahezu in Echtzeit Transparenz schaffen.

Torsten Zube, Blockchain-Chef von SAP, sagt, der Softwareriese wolle noch 2018 zeigen, dass der Einsatz betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. «Haben wir dies erreicht, gehen wir vielleicht bis Ende dieses Jahres mit Applikationen in die produktive Nutzung.» Ab 2019 erwarten Experten immer mehr Testläufe. «Ideen und Projekte gibt es in allen Branchen», sagt Blockchain-Experte Siegel.

Blockchain-Projekte in der Assekuranz

Axa Schweiz

Die Axa nutzt die Blockchain für ihr «Card Dossier». Die Idee ist, dass die Stammdaten für ein Fahrzeug in der Blockchain gespeichert werden und so über die gesamte Nutzungszeit des Autos genutzt werden können, auch wenn der Fahrzeughalter die Versicherung wechselt. Informationen können von Versicherungen, Garagen oder Herstellern eingespeist werden. Das soll Handänderungen auf dem Gebrauchtwagenmarkt vereinfachen. Das «Car Dossier» entwickelt die Axa zusammen mit verschiedenen Partnern. Dabei sind unter anderem das Stassenverkehrsamt Aargau, der Autoimporteur Amag und das Software-Unternehmen Adnovum.

Swiss Life

Zusammen mit Zühlke hat der Lebensversicherer Swiss Life einen Blockchain-Prototyp für den Handel mit Immobilien-Beteiligungen entwickelt. Ziel war eine App. Nachdem ein Proof of Concept entstellt wurde, zog sich Swiss Life jedoch aus dem Projekt zurück. Es kam zu einem Spinn-off, das Projekt wird nun unter der Marke «Immocrowd» weiterentwickelt.

B3i

Anfang Jahr hat eine Allianz grosser Versicherer – darunter Swiss Re und Zurich – ein gemeinsames Unternehmen gegründet für die gemeinsame Deckung von Naturkatastrophen-Deckung. Bereits im vergangenen Jahr haben die 38 beteiligten Versicherer einen Prototyp getestet. Beteiligt sind in erster Linie grosse Unternehmen und Rückversicherer.

Höchster Mehrwert für die Finanzbranche

Von den Unternehmen beschäftigen sich laut einer Umfrage der Beratungsfirma PwC 84 Prozent mit dem Thema, 15 Prozent setzen sie bereits ein. Die meisten Fachleute sehen den höchsten Mehrwert der Blockchain für die Finanzbranche - etwa in der Handelsfinanzierung - und gehen davon aus, dass dies in den nächsten drei bis fünf Jahren so bleibt. Mittelfristig rechnen sie damit, dass sie auch die industrielle Produktion, den Energie- und Gesundheitssektor verändern wird.

«Bei der lückenlosen Nachvollziehbarkeit von Lieferketten gibt es sehr viele Anwendungsfelder», erläutert Deloitte-Experte Siegel. Bei einem fertigen Produkt wie einem Auto könnte man dadurch sehen, woher seine Teile kommen. Auch der Nachweis, dass ein Medikament wirklich von einem Pharmakonzern stammt und keine Fälschung ist, ließe sich so führen. Strom oder Gas könnten einfacher gehandelt werden, sogar ganz ohne Energieversorger.

Diamanten lassen sich leichter identifizieren als Kohle

«Bei Automatisierung, Nachverfolgung, Vertragswesen oder Identitätsprüfung ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Blockchain geeignet ist», sagt Kaj Burchardi von BCG Platinion, der Technologie-Tochter der Beratungsfirma Boston Consulting Group. «Aber man muss es für jeden Einzelfall konkret prüfen.» Die eindeutige Identifizierung physischer Ware etwa sei «in manchen Bereichen einfach, zum Beispiel bei Diamanten, in anderen schwieriger, wie bei Kohle. Man kann nicht jedes Kohlestück von einem Güterwaggon nachverfolgen. Je kleinteiliger die Güter sind, desto schwieriger.»

Edelstein wird auf seine Herkunft geprüft.

Der Schweizer Edelsteinhändler Gübelin arbeitet bereits mit der Blockchain-Technologie.

Quelle: ZVG

Eine weitere Hürde: Die Blockchain funktioniert umso besser, je grösser das Netzwerk. Konkurrenten müssen kooperieren und sich mit Zulieferern und oft auch Branchenfremden verbünden. «Die Technologie steht bereit, aber das Ökosystem fehlt», sagt Siegel. «In der Logistik geht es zum Beispiel um den Übergang von Gütern: von der Lagerhalle auf den Lkw, vom Lkw auf den Zug, vom Zug aufs Schiff.» Lückenlos nachvollziehbar wird die Lieferkette nur, wenn alle mitmachen.

Ein Ökosystem zu schaffen und gemeinsame Standards festzulegen, ist aufwendig und braucht Zeit, wissen Fachleute wie Firmenvertreter. Gelingt es, sind die Vorteile laut Deloitte-Experte Siegel «auch in Euro und Dollar messbar». In einem intern durchgespielten Fall kam die Unternehmensberatung auf Ersparnisse von 20 bis 30 Prozent.

Überschaubare Entwicklungskosten

Je nach Projekt und Netzwerk müssen Firmen nach Ansicht der Experten nicht allzu viel Geld investieren, um erste Erfolge zu sehen. Die Technologieberatung Altran hat etwa ein Konzept entwickelt für das sogenannte Platooning, das automatisierte Kolonne-Fahren von Lastwagen. Abrechnen könnten die Teilnehmer via Blockchain, erläutert Experte Konstantin Graf. «Wer vorne weg fährt, verbraucht mehr Sprit. Weil er Windschatten spendet, muss er von den Lkw dahinter einen Ausgleich für seine höheren Kosten bekommen.» Täten sich zehn oder zwanzig Lastwagenbauer und Logistikunternehmen zusammen, «wären die Entwicklungskosten überschaubar». Graf schätzt sie auf zehn bis 15 Millionen Euro.

Neben den zahllosen Einsatzfeldern der Blockchain bei Firmen gibt es auch Anwendungsfälle für Verbraucher, etwa die smarte Mobilität. Die Reise von A nach B, mit Auto, Bahn, Flugzeug, Fahrdienst oder Fahrrad, könne man sich zwar online schon konkret vorschlagen lassen, sagt Professor Urbach, «aber sie kann nicht gebucht werden», geschweige denn en bloc abgerechnet. Jeder Anbieter wolle das Geschäft mit dem Rundumservice allein machen und habe «deshalb keine Lust, bei anderen mitzumachen». Diese Art der Mobilität brauche aber ein grosses Ökosystem, zu dem auch Energieversorger oder Kommunen gehören müssten. Via Blockchain könnten elektrische Robotaxis künftig zudem autonom den getankten Strom bezahlen oder ihre Transportdienste anbieten und abrechnen, um so quasi ihr eigenes Geld zu verdienen.

(reuters/ccr)