Ein manichäisches Weltbild hilft bei der Orientierung. Gut und Schlecht sind sauber getrennt. In den Sphären der Politik hat sich ein neues Paar gefunden: staatsmännisches Handeln versus populistischen Affekt.

Angela Merkel, die Kanzlerin, hat sich überraschend unerschrocken für das entschieden, was sie bei ihrem Vorgänger Gerhard Schröder lange als fatalen Irrtum betrachtete: Schröder hatte für seine staatsmännische Agenda 2010 die Seele seiner Partei (oder Teile davon) geopfert, damit es dem Land besser gehe.

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Angstmacher profitieren

Nun versucht Merkel etwas Ähnliches bei der Flüchtlingskrise. Sie verweigert den zum Teil desaströsen Umfragen für ihre Union jede Konzession in Richtung Grenzschliessungen oder auch nur einen sanften Kurswechsel.

Merkel steht wie eine Brandenburger Kiefer. Die Wahlkämpfer in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt müssen an ihr verzweifeln. In Hessen war die Wahlbeteiligung schwach. Insbesondere in Städten wie Frankfurt ging gerade noch ein gutes Drittel zum Wählen. Davon profitieren jene Akteure, die, dem Populären zugeneigt, kein Problem damit haben, auch niedere Instinkte zu bedienen: Angst, Unsicherheit, Futterneid, Fremdenskepsis (bei manchen auch Hass).

Keine Überraschung

Die AfD spielt ihr Spiel gut und sammelt ein, was im öffentlichen Diskurs kaum oder pejorativ vorkommt und von den Parteien im Parlament kaum oder gar nicht repräsentiert wird. Für die Freunde des Staatsmännischen strahlt die neoheroische Kanzlerin dadurch noch heller. Für die Freunde des Populären wie den Neidschürer Sigmar Gabriel wird deutlich, dass das Ausspielen von Deutschen versus Flüchtlinge von der AfD konsistenter verkörpert wird.

Die guten Ergebnisse der neuen Rechten können niemanden überraschen. Denn die Flüchtlingskrise ist eine Herausforderung der Extraklasse, sie trägt Fragen bis tief in bürgerliche Milieus hinein, die stets und ohne Abstriche mit dem Gang der Dinge in dieser Bundesrepublik zufrieden oder gar glücklich waren. Das muss auch so sein angesichts der Dimension der Umbrüche.

Alternativen für Demokratie-Partizipierende

Dass die AfD zweistellig wurde und auch NPD wie Republikaner Erfolge feiern, signalisiert den etablierten Parteien, dass ihr Kurs eben nicht alternativlos ist, sondern Alternativen hat – egal, wie menschenverachtend Teile deren Programmatik, Rhetorik und Ästhetik sind.

Die etablierten Parteien sollten sich fragen, ob sie bislang einen falschen Umgang mit dieser Rechten an den Tag gelegt haben: mit der Hybris der Etablierten auf antike Machttechniken wie Ausschluss und Verachtung zurückgreifend. Ähnlich die Medien, die sich gerne in Wählerbeschimpfung oder -belehrung erschöpften. Dies zementiert Risse in der Gesellschaft. Die Sorgen der zur Wahlurne Gehenden – und damit Demokratie-Partizipierenden – kennen keine Niveauunterschreitungen.

Nutzen der Willkommenskultur

Sie müssen ernst genommen werden. Auch wenn Deutschland viel gelingt, so sind abenteuerliche Bürokratiehürden der Sozialindustrie, verweigerte Abschiebungen, ausbleibende Identifikationsangebote, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und eine wirtschaftsfeindliche Arbeitsmarktpolitik Dinge, die eine schnelle Integration derjenigen verhindern, die bei uns bleiben dürfen und sollen. Der Massnahmenkatalog der Politik ist nicht auf der Höhe der Herausforderung.

Dem Wahlvolk muss erklärt werden, was wir von der Willkommenskultur haben, abgesehen von dem moralischen Mehrwert. Der macht am Ende nicht satt. Doch die Jahre der Verweigerung der Zuwanderungsrealität (Union) wie der Migrationsverklärung (zum Beispiel Grüne) rächen sich. Es fehlen pragmatisch empathische Ansätze.

Mit Flüchtlingsthema gross geworden

In diese Lücke stossen jene, die auch noch andere Rechnungen aufmachen wollen: Ihnen geht es um eine Politik der Kehre weg von der Moderne, dem Liberalen, Toleranten und Weltoffenen. Auf der anderen Seite sind die Ergebnisse für die Rechten überschaubar, vergleicht man sie mit anderen aufgeklärten europäischen Ländern. Die AfD wie ihre geistesverwandten Kameraden von der NPD und den REPs sind wieder weg, wenn sich das Flüchtlingsthema beruhigt hat.

Es gibt auch ermutigende Signale aus der Mitte: Die Rückkehr der FDP aus dem selbst verschuldeten Elend nährt die Hoffnung, dass auch eine liberale Opposition zur schwarz-rot-grünen Flüchtlingskoalition möglich ist, die auf verfassungspatriotische Art Alternativen formuliert. Auch wenn die Lage ernst ist, gibt es keinen Grund für Alarmismus. Das Land ist kräftig, der Ehrgeiz, auch Schwieriges zu schaffen, ist nicht erloschen.

Wahlzettel wird zum Denkzettel

Es müssen nur mehr Bürger von dem Sinn und der Idee der Migration überzeugt sein. Da gibt es noch keine tragfähige Brücke über die Lager hinweg. Solange das so ist, wächst die Leidenschaft, den Wahl- zum Denkzettel zu machen. Der hat oft auch Postergrösse, konnte man in Frankfurt 90 Stimmen auf 1000 Kandidaten verteilen. Das wirkt wie eine Monty-Python-Karikatur von Demokratien.

Wir Demokraten sollten uns neu besinnen. Jede Krise bietet die Chance, Dinge besser zu machen. In Zeiten, in denen alles immer einfacher wird, kann es nicht sein, dass 4 Prozent der Wähler an der Komplexität des Wahlzettels scheitern. Das nur nebenbei.

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