Die Diva trug Glitzersteinchen. 36'000 waren es, auf dem Kleid, das der künftige Festspielsponsor ihr nach drei konzertanten Puccini-Auftritten schenkte. Dafür wurde selbstredend in Salzburg eine eigene Pressekonferenz ausgerichtet. Und in der Robe, ergänzt durch millionenteuren Leihschmuck, sang Anna Netrebko absurderweise vom Schicksal der Manon Lescaut: einem tief gefallenen Mädchen des 18. Jahrhunderts, das am Opernende irgendwo bei New Orleans verdurstet.

Aber man kann sich darin feiern lassen, so wie es die russische Primadonna tut. Schliesslich ist sie gegenwärtig Singweltstar Nummer 2 – nach Plácido Domingo und noch vor Jonas Kaufmann. Ihr Leben scheint ein einziger bunter Kindergeburtstag, so präsentiert sie selbst ihr Dasein auf Facebook, Twitter, Instagram: Shoppen, Knutschen, Kutsche fahren und sehr bunte Kleider vorführen, Spass haben, an allem naschen, was sich einem entgegenstreckt.

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Eine Vogelscheuche aus «Turandot»

Kindlich unbekümmert gibt Anna Netrebko zu, dass sie, obwohl seit Jahren als österreichische Staatsbürgerin in Wien lebend, zu doof sei, Deutsch zu lernen. Weshalb sie ihre gefeierte Dresdner «Lohengrin»-Elsa mit Teleprompter gesungen hat. Egal, Hauptsache die DVD ist im Kasten.

Und wie ein Teenager lässt sie sich auch in Salzburg bejubeln und ist doch raffiniert genug, die Festspiele als Showcase zu benutzten, um sich mit ihrem frisch angetrauten Gatten Yusif Eyvazov, dem zweitklassigen Tenor, als künftiges Startandem zu positionieren.

In Salzburg gab es ebenfalls schon ihre erst nächsten Freitag erscheinende CD «Verismo» zu kaufen. Anna Netrebkos letzte Soloscheibe mit Verdi-Arien im Jubiläumsjahr 2013 zeigte sie auf dem Höhepunkt ihres Könnens; als lyrisch-dramatische Sängerin ist sie wirklich eine Klasse für sich. Dagegen fällt «Verismo» leider ab. Und enttäuscht auf hohem Niveau. Das beginnt schon mit dem Cover, das die fashionfreudige, aber nicht immer geschmacksichere Russin als eine «Turandot»-Vogelscheuche vorführt.

Was aber hat der späte Puccini mit Verismo zu tun, jener musikalischen Bewegung der Jahrhundertwende, als sich die jungen italienischen Komponisten eher gewöhnlichen, oft unter einfachen Menschen spielenden Themen zuwandten, sie in kürzere melodische Formeln binden wollten?

Manches ist ein Versprechen auf mehr

Zehn von 16 Tracks sind von Giacomo Puccini, der höchstens mit dem Verismo flirtete. Neben der eisumgürteten Prinzessin Turandot, die sie sicher nie auf der Bühne singen wird, verkörpert Anna Netrebko als Aufnahmestudiospass auch noch deren zartes Soprangegenstück, die Liù. Die Tosca und die Butterfly sind hoffentlich ein Versprechen auf mehr. Im letzten Akt von «Manon Lescaut» siecht sie hinreissend in der Wüste dahin. Gnädig wird ihr Gatte als Tenorpartner weggedimmt – wie schon bei «Turandot».

Man hätte sich schon ein wenig Trüffelsuche bei unbekannteren Versimo-Titeln erwartet. Aber sonderlich originell sind auch die anderen Nummern nicht: die üblichen Arien aus «Adriana Lecouvreur», «La Wally», «Pagliacci» sowie den ebenfalls Verismo-unverdächtigen, weil viel früher komponierten Opern «La Gioconda» und «Mefistofele».

Angesichts der verzweifelten Erinnerung an die tote Mama aus Umberto Giordanos «Andrea Chénier» (die beste Nummer!) oder eines angedachten Selbstmords bei Ponchielli steigert sie sich in die Fülle des Wohllauts. Das ist technisch grossartig, mit flutenden Spitzentönen. Aber es fehlt das Zerbrechliche, die Divergenz dieser Rollencharaktere. Alle klingen trotz des kompetenten Dirigenten Antonio Pappano gleich, es geht ihnen die Bühnenaura ab, sie sind vor allem – Anna Netrebko, die Diva.

Anna Netrebko hätte sich die immer noch Gänsehaut verursachenden alten Aufnahmen der grossen Verismo-Diven Rosina Storchio, Claudia Muzio oder der erst 2014 im biblischen Alter von 104 Jahren verstorbenen Magda Olivero anhören sollen. Die haben diese Rollen schamlos gelebt, mit Haut und Haaren gefuttert. Anna Netrebko aber buchstabiert sie nur – vorerst.

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