Clemens Ritter von Wagner schaut bedauernd. Ausgerechnet jetzt kann der Inhaber von «Wagner Preziosen» sein vielleicht wertvollstes Juwel nicht zeigen. «Normalerweise wird man hier von Aro begrüsst», sagt er und meint seinen neun Monate alten Hund, der aber gerade ausgeführt wird. Aro ist, das stellt sich später heraus, eine Mischung aus Labrador und Weimaraner, neugierig, freundlich, und sein bräunliches Fell passt vorzüglich zu Herrchens Samtjackett. Auch zum Interieur des Geschäfts. «Ganz recht», sagt von Wagner, «Aro wurde farblich abgestimmt.» Man darf das wohl humorvoll verstehen.

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Doch natürlich ist nicht der Hund – auch wenn der 49-Jährige ausserordentlich gern über das Tier spricht – der Grund für das Treffen. Es sind vier Schmuckstücke. Preziosen, die so aussergewöhnlich sind, dass sie nur über exzellente Kontakte zu bekommen sind, Von Wagner bringt sie Interessenten zur diskreten Vorlage schon mal nach Hause. So wie vor ein paar Tagen, als er mit den Kleinoden nach Hamburg reiste, wo mehrere seiner kaufkräftigen Klienten leben.

Privatkollektion von Victoire de Castellane

Derzeit hat er zwei Ringe, ein Paar Ohrringe und einen Armreif aus der Privatkollektion von Victoire de Castellane anzubieten. Richtig, die Victoire de Castellane, die 14 Jahre lang unter Karl Lagerfelds Leitung bei Chanel den Modeschmuck verantwortete und seit 1998 bei Dior die Haute Joaillerie, man kann es fast sagen: revolutionierte. Mit ihren originellen und immer farbenfrohen Entwürfen brachte sie Schwung in eine Branche, in der Echtschmuck bis dato recht klassisch gehalten wurde.

Seit bald zehn Jahren entwirft de Castellane – sie stammt aus einer der ältesten Adelsfamilien Frankreichs – auch unter dem eigenen Namen Schmuck, der stets mit Kontrasten spielt: Natürlichkeit und Künstlichkeit, Dunkelheit und Farbexplosionen, organischen und futuristischen Formen. Dabei lässt sie sich von Walt Disney, den Gebrüdern Grimm oder französischen Philosophen inspirieren.

Diese Kollektionen sind stets überschaubar, umfassen maximal 20 Stücke, die äusserst schwierig zu bekommen sind. Nicht zuletzt aus der Verpflichtung und dem Respekt gegenüber dem Haus Dior, für das sie hauptamtlich arbeitet, werden ihre Juwelen nirgendwo in einem Geschäft ausgestellt. Es gibt keinen einzigen Juwelier, der ihren Schmuck im permanenten Sortiment führt. Die Kleinode reisen ständig um den Erdball, wo sie in privaten Tête-à-Têtes zum Kauf vorgelegt werden.

Schöne Dinge sind Familienleidenschaft

Einer dieser Juweliere ist Clemens Ritter von Wagner. Woher er die guten Kontakte hat? Er habe seinen letzten Job wohl nicht ganz schlecht gemacht, antwortet er diplomatisch. Das eigene Unternehmen hat er erst vor zwei Jahren gegründet. Zwölf Jahre lang hatte er zuvor als Geschäftsleiter be Cartier gearbeitet, zuletzt in Palm Beach, Florida, davor in Wien, Hamburg und Stuttgart. Ausserdem komme er aus einer Familie, die sich seit Generationen mit schönen Dingen umgebe, die das ein oder andere wertvolle Stück ge- und verkauft habe.

Die Stellung des Vaters als Botschafter im Auswärtigen Amt bedeutete internationale Stationen und für seine Mutter, immer repräsentativ aufzutreten. Und sein Urgrossvater war einst Oberbürgermeister von Stuttgart. Doch diese Referenz mag der Textilbetriebswirt eigentlich gar nicht besprechen. Ihm geht es um das Handwerk. «Das ist das Wichtigste.» Und es führt über kurz oder lang wieder zu seinen Wurzeln – auf seinem goldenen Siegelring sind zwei Wagenräder zu erkennen.

Gerade in Berlin muss Schmuck durchdacht sein

Gleichwohl bewegt ihn die Frage, ob seine Mutter denn schönen Schmuck besessen habe? Wagner holt eine Fotografie im schweren Silberrahmen herbei – der Vater ist mit Orden hochdekoriert, die Mutter ziert ein prächtiges Diadem. «Es ist ein wunderbares Stück», schwärmt der Sohn und erklärt: «Gute Diademe, die Ende des 19. Jahrhunderts gefertigt wurden, waren so konzipiert, dass sie nicht ausschliesslich als Kopfschmuck zu tragen waren. Bei dem meiner Mutter können die mittleren Elemente rausgenommen und entweder als Choker, also als eng anliegendes Band am Hals, als Collier oder Brosche getragen werden.» Wenn man so will: «Buy one, get three free.»

Mit diesem Gedanken geht er auch an die eigenen Entwürfe heran. Zur Demonstration nimmt er ein Collier aus einer mit Samt ausgeschlagenen Vitrine. Die vielen unterschiedlich farbigen Südseeperlen klirren verführerisch. Den Höhepunkt des Geschmeides bildet jedoch ein antiker, rosafarbener Turmalin aus der Qing-Dynastie. In Hongkong hat von Wagner dieses Juwel gefunden, in das Vögel und Lotusblüten geschnitzt worden sind. Es sei einmal ein Handschmeichler für Herren gewesen, erklärt der Kenner, der den Stein mit zwei Stegen aus Weissgold fassen und an vier Perlenstränge montieren liess.

«Jeder einzelne Strang kann abgenommen werden, der Turmalin als Brosche und die Kette als Sautoire getragen werden. Wenn man rund 90'000 Euro für ein Schmuckstück ausgibt, dann will man auch etwas dafür bekommen», sagt von Wagner. Immerhin sei er ja auch ein bisschen Schwabe. Gerade im protestantischen Berlin, in dem es chic ist, nicht chic zu sein, müsse Schmuck besonders durchdacht sein. Dafür sei Berlin eine Stadt mit riesiger Vergangenheit und mit einer, er zieht das Adjektiv in die Länge, «riesigen Zukunft».

Heute geht es vor allem um Individualität

Und so sind auch viele seiner Stücke eine Kombination aus gestern und heute. Einige sind komplett neue Entwürfe, die er grob aufzeichnet und von einem Goldschmiede-Ehepaar in Süddeutschland fertigen lässt. «Wahnsinnig nette Leute» seien das, schwärmt er. Besonders stolz ist er auf einen Kugelring mit Rauchquarz. Er poliert ihn mit seinem Einstecktuch: Unter dem Stein liess er das Gold mit einem Sonnenschliff gravieren und eine sogenannte Reflexionsscheibe einsetzen, die das Licht von allen Seiten widerspiegelt. Es wirkt wie die Iris eines Auges und ist ein echtes «Conversation Piece».

Konversation ist für seine Arbeit unerlässlich. Nur im Gespräch könne er entdecken, was für jemanden das Richtige ist. Er muss seine Kunden gut kennen und, noch viel wichtiger: sie mögen. Nur wenn man ein positives Verhältnis zu einem Kunden habe, könne man ihn authentisch beraten. Darin sieht er die Zukunft seines Geschäfts verglichen mit den grossen Häusern. «Es hat eine Inflation der grossen Labels stattgefunden. Uniformität und Wiedererkennungswert sind heute nicht mehr so wichtig wie Individualität. Sie aber ist der Luxus der Zukunft», so von Wagner.

Keine Laufkundschaft

Und dieser Trend führe von den Haupt- in die Seitenstrassen. In seinem Fall ist das sogar wörtlich zu nehmen: Sein Geschäft liegt in der Mommsenstrasse, einer Parallelstrasse des Kurfürstendamms. Laufkundschaft gibt es dort so gut wie keine. «Leider», sagt von Wagner – einerseits. Und «Gott sei Dank» andererseits. «Denn wenn ich mir ein exklusives Schmuckstück aussuche, möchte ich doch nicht, dass mir jemand dabei über die Schulter schaut.» Auch deshalb macht er sich immer wieder auf den Weg in Hamburger Privathäuser.

Was für Frauen das eigentlich sind? Und wen er dort trifft? Clemens Ritter von Wagner lächelt nur. Wenn es um Namen geht, ist er höchst verschwiegen. Will es sein, muss es sein. Das ist die Geschäftsgrundlage. Da fügt es sich, dass auch sein Kompagnon von äusserst ruhigem Naturell ist. Aro hat sich während des Gesprächs leise hinzugesellt, liegt nun unter dem Tisch. Ob er störe? «So lang er nicht bellt», sagt der Gast. Von Wagner scheint die Antwort zu amüsieren: «Bellen? Also nein, das ist wirklich nicht sein Stil.»

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