Die Hamburger Elbphilharmonie ist weltweit ein Hit. Egal, wie gut nun die Akustik auch immer sein mag: Die nächste Saison ist praktisch schon wieder ausverkauft. Der Laden brummt also – und die Musi spielt dazu. Doch wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Und Kollateralschäden.

Damit meinen wir nicht die vielen Knochenbrüche, die sich seit der Eröffnung auf den himmelwärts steilen Treppen ereignet haben, weil wackelige Senioren auf die Wow-Architektur statt auf die Stufen starren. Mit dem Praktischen haben es die Architekten heute eben nicht unbedingt. Das sieht man unter anderem daran, dass der Zugang zu den viel zu wenigen Garderoben inzwischen mit Absperrbändern wie beim Flughafen-Security-Check geregelt ist.

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Anderen künstlerischen Herausforderungen widmen

Nun hat es den getroffen, der eigentlich strahlend im Mittelpunkt stehen sollte und wollte: Thomas Hengelbrock. Der Chefdirigent des für viele Millionen zu seinem neuen Namen gekommenen NDR Elbphilharmonie Orchesters wird seinen Vertrag über die Saison 2018/19 hinaus nicht verlängern.

Nach dann (wie es in der Pressemitteilung heisst) «acht sehr erfolgreichen Jahren» an der Spitze des Residenzorchesters der Elbphilharmonie möchte er «wieder mehr Zeit haben, um sich intensiver anderen künstlerischen Herausforderungen widmen zu können. Er wird dem NDR jedoch auch nach 2019 weiterhin regelmässig für spezielle Konzertprojekte zur Verfügung stehen». Angeblich habe Thomas Hengelbrock den NDR bereits vor einigen Monaten über seine Zukunftspläne informiert.

Zäh darauf hingearbeitet

Mag man das glauben? Warum hat Hengelbrock dann gegenüber dieser Zeitung vor eben einigen Monaten ostentativ von seiner guten Zusammenarbeit mit dem Orchester und dem Chor geschwärmt, hat er die Partnerschaft in rosaroten Farben gemalt, übersprudelnd vor Zukunftsplänen? Irgendwas muss da seither passiert sein.

Denn man mag nicht glauben, dass der ehrgeizige Hengelbrock – der zwar als Geiger auch viel mit Neuer Musik zu tun hatte, dann aber lange als Alte-Musik-Experte dem Freiburger Barockorchester, der Deutschen Kammerphilharmonie und dem von ihm gegründeten Balthasar Neumann Ensembles verbunden war – nun plötzlich wieder aus dem Rampenlicht verschwinden will. Schliesslich hat er zäh darauf hingearbeitet, sich einen Status als Dirigenten-Koryphäe auch im konventionellen Repertoire zu erwerben. Und diesen nun in der Elbphilharmonie selbstverständlich zu geniessen.

Der Vergleich mit den Grossen

Das hat im geschützten Provinzbiotop Hamburg gut funktioniert. Von den Lokalkritikern wurde Hengelbrock gestreichelt, alle hofften auf Erleuchtung durch die Elphie. Die scheint nun zwar gekommen. Sie offenbart aber eben auch gerade im Vergleich mit den gegenwärtig sich die Klinke in die Hand gebenden Tourorchestern de luxe das Qualitätsgefälle der örtlichen Ensembles. Was besonders der überambitionierte Hengelbrock zu spüren bekam. Sein zu langes, zu komplexes, auch redundantes Eröffnungsprogramm im Januar fand – wie die Akustik – nicht nur Freunde. Natürlich war das Orchester übermüdet, die Anspannung vielleicht zu gross.

Und Hengelbrock hatte keine Chance, das wieder auszubügeln. Auch das CD-Set mit den allerersten Elphie-Aufnahmen überhaupt, der 3. und 4. Sinfonie des Lokalheiligen Johannes Brahms, machte nicht unbedingt Lust auf mehr. Erste Rufe nach Hengelbrocks Ablösung wurden laut. Er wird weich fallen. Noch glänzt sein Name. Die Wiener Philharmoniker haben sich Hengelbrock als Mozart-Spezialisten erkoren, so erzählte er selbst. Angeblich sogar mit Plänen für Salzburg.

Auch ohne Probe besser als der NDR 

Der Hamburger Kulturpolitik sollte Hengelbrocks Ablösung ein Warnschuss sein. Denn an der Oper läuft es ebenfalls nicht so richtig rund. Die Sängerbesetzungen sind zu oft unterdurchschnittlich. Und der mächtige Förderkreis hat jetzt auf populistischen, dem Konzept des Teams Delnon/Nagano eigentlich widersprechenden «Italienischen Wochen» bestanden, während derer ein Kracher nach dem anderen mit grosszügig gesponserten Starsängern abgefeiert wird. Den Symphonikern ist tragischerweise eben ihr Chefdirigent Jeffrey Tate durch Tod abhanden gekommen.

Höchste Zeit also für den neuen Kultursenator Carsten Brosda (SPD), gemeinsam mit dem NDR darüber nachzudenken, wie man das lokale Musikleben den Gastkünstlern in der Elbphilharmonie zumindest ein wenig angleichen kann. Damit es künftig nicht weiterhin heissen wird: Das Chicago Symphony Orchester unter Riccardo Muti spielte auch ohne Probe besser als das Hausorchester jemals.

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