In unserer Firma Haufe-umantis wählen wir unsere Vorgesetzten, vom Teamleiter zum Geschäftsführer, zum Verwaltungsratspräsidenten. Was als eine einmalige Aktion begann, um meinen Nachfolger als Geschäftsführer zu bestätigen, entwickelte sich zu einer wirksamen Vorgehensweise, die Führungsqualität in unserer Firma zu verbessern.

«The first follower is what transforms a lone nut into a leader.»

Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Vorgesetzten in «etablierten» Unternehmen nicht gewählt werden. Wer von uns kann ernsthaft behaupten, dass wir die Anweisungen unserer Vorgesetzten immer eins-zu-eins befolgen? Wenn wir eine Anweisung erhalten, von deren Sinn wir nicht überzeugt sind, und wenn diese Anweisung selbst nach Diskussionen und Nachfragen bestehen bleibt, dann führen wir diese Anweisung im besten Fall so aus, dass uns niemand vorwerfen kann, wir würden die Arbeit verweigern.

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Die Dinge jedoch, von denen wir überzeugt sind, dass sie die richtigen sind, die verfolgen wir mit Herzblut. Der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg einer Anweisung liegt schon lange nicht mehr im «machen» versus «nicht machen». Auch eine halbherzige Umsetzung genügt heute nicht mehr, um erfolgreich zu sein. Als Führungskräfte wissen wir das nur zu gut in unserer Zusammenarbeit mit unseren Mitarbeitern.

Wenn wir uns also herausnehmen, die Anweisungen unserer Vorgesetzten zu beurteilen und je nach Urteil unterschiedlich gut umzusetzen – warum sollten das unsere Mitarbeiter nicht auch mit unseren Anweisungen machen? Wir dienen ja als Vorbild – und wir wissen, dass Vorbildhandeln die wirksamste Führung ist – hiermit also die wirksamste Unterminierung unserer eigenen Führungsautorität. 

Die Vorteile von Wahlen

Wenn wir diese Realität zumindest in Ansätzen akzeptieren, dann können wir uns auch Gedanken machen, ob eine Wahl mit offenem Visier nicht auch Vorteile für uns und das Unternehmen bringen könnte. In unserer Reflektion der Wahlen, die wir nun seit vier Jahren einmal jährlich durchführen, sind wir auf folgende Vorteile gestossen:

1. Eine gewählte Führungskraft hat Rückhalt aus dem Team

Sie wurde von den eigenen Mitarbeitern gewählt. Somit haben die Mitarbeiter selbst Interesse daran, die Führungszusammenarbeit erfolgreich zu gestalten. 

2. Wahlen fördern den Dialog und den Abgleich von Erwartungen

Kandidaten müssen durchdenken, welche Vorstellungen sie von ihrer Führungsaufgabe haben und diese gut verständlich mitteilen. Mitarbeiter müssen überlegen, welche Erwartungen sie an die Führungskraft haben und diese ebenfalls formulieren. Dadurch werden implizite Erwartungen sichtbar und können untereinander diskutiert und miteinander abgeglichen werden.

3. Die Rolle von Führungskräften wird allen klarer

Führungskräfte fungieren nicht selten als Ventil und Projektionsfläche für Frust bei Problemen. Gewählte Vorgesetzte eignen sich dafür weniger, da die wechselseitigen Erwartungen im Vorfeld geklärt und von den Mitarbeitern durch die Wahl bestätigt und akzeptiert wurden. Andererseits haben gewählte Führungskräfte eine grössere Legitimität zu führen – und dürfen erwarten, dass Mitarbeiter ihnen im vernünftigen Rahmen folgen, ohne alles und jeden zu hinterfragen.

4. Kommunikation bekommt eine neue Qualität 

Mitarbeiter und Führungskräfte hören sich wechselseitig anders zu. Die Mitarbeiter wissen, dass sie die richtige Entscheidung treffen müssen, den Führungskräften ist klar, dass die Entscheidung bei den Mitarbeitern liegt. Beide Parteien sind dazu angehalten, sich auszutauschen und sich dabei ernst zu nehmen – nicht nur im Vorfeld der Wahlen.

5. Der Wahlkampf stärkt die Führungsqualitäten 

Wahlen sind ein Stimmungsbarometer: Einige Führungskräfte werden zwar wiedergewählt, schneiden aber schlechter ab als das letzte Mal oder als andere Kandidaten. Dies ist eine Art Verwarnung und spornt dazu an, besser zu werden. Zudem können die Kandidaten voneinander lernen.

6. Wahlen stärken die Eigenverantwortung für die Karriere 

Jeder Mitarbeiter kann sich selbst zur Wahl nominieren. Somit kann er oder sie die eigene Karriere selbst lenken und ist nicht auf das Wohlwollen von Vorgesetzten angewiesen. Das Feedback im Vorfeld der Wahl gibt eine gute Einschätzung, was er oder sie benötigt, um eine reelle Chance zu haben.

7. Auch eine Nicht-Wahl ist eine Wahl

Selbst wenn es nur einen Kandidaten für eine Position gibt, bleibt eine Wahl eine Wahl. Die Mitarbeiter können dem Kandidaten ihre Stimme verweigern. Eine solche Abwahl eines Kandidaten hat sich als das wichtigere Werkzeug herausgestellt. Stösst eine Führungskraft an ihre Grenzen, wird das Problem auf diese Weise mit offenem Visier gelöst.

8. Limitierte Amtsperioden erhöhen die Leidensbereitschaft

Manchmal wird jemand gewählt oder eingestellt, der dem Job nicht gewachsen ist oder der an seine Grenzen stösst. Wenn klar ist, dass ein Ende dieser schwierigen Phase absehbar ist, lässt sie sich für Mitarbeiter leichter ertragen.

9. Abwahlen und Rücktritte werden zur Normalität

Eine Abwahl oder Nicht-Wahl ist für Führungskräfte nicht leicht zu verkraften, da sie diese zunächst als Gesichtsverlust empfinden. Im Laufe der Zeit wird es jedoch zu einem natürlichen Vorgang im Unternehmen und ein freiwilliger Rücktritt zu einer selbstbestimmten Alternative.

Die Kontributoren sind externe Autoren und wurden von bilanz.ch sorgfältig ausgewählt. Ihre Meinung muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.