Der Mid-Career-Artist hat gemeinhin ein Problem. Ab Mitte vierzig ist der Jugendbonus hin, und um es zum Klassiker zu bringen, müsste man noch mindestens zwanzig Jahre durchhalten. Die Mühen der Ebene sind ungezählt, es gilt, allzu plumpe Selbstplagiate zu vermeiden, die einst geneigten Sammler davon zu überzeugen, dass vier Arbeiten vom gleichen, nun nicht mehr ganz so aufstrebenden Künstler keinesfalls drei zu viel sind – und es gilt, Museumsdirektoren zu finden, die nicht allein auf Jungstars oder Klassiker setzen, womit wir wieder am Anfang wären.

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All die Kollegen, mit denen man sich einst nächtelang den rasanten Aufstieg noch rasanter gesoffen hat, sind inzwischen sehr nüchtern, sehr verzweifelt oder haben sich gerade noch rechtzeitig auf eine Professur in Braunschweig gerettet. Kurz: Zu einem Zeitpunkt, an dem uns Normalsterbliche die Midlife-Crisis erwischt, holt den Künstler die Mid-Career-Krise ein.

Robert Janitz, 52 Jahre alt, Maler von Beruf, ist, man kann es nicht anders sagen, vollkommen frei von derlei Problemen. Nicht, weil er so genial wäre (das ist er natürlich schon, aber dazu später mehr), sondern weil er bis vor Kurzem nicht einmal ansatzweise das hatte, was man eine Karriere nennt. Im Gegenteil: Bis sich sein Blatt vor zwei Jahren zu wenden begann, las sich seine Biografie wie die Fallstudie einer Nichtkarriere. Eine Anti-Klimax jagte die andere, wobei jagen ein zu dynamisches Wort ist, um die Abfolge von vermeintlichen Fehlentscheidungen und verpassten Chancen zu beschreiben. Ein Gefühl, an das sich Janitz heute so erinnert: «Es war, als würdest du in einer fremden Stadt Auto fahren. Du kennst dein Ziel, aber immer wenn du dich ihm näherst, landest du in Sackgassen und Einbahnstraßen.»

Die Einzimmer-Wohnung dient zugleich als Atelier

Wer sich die Geschichte seines späten Triumphs erzählen lassen will, muss in Manhattan in den J-Train steigen und nach Bushwick fahren, einen Teil von Brooklyn, in dem vor ein paar Jahren noch ausschliesslich mittel- und südamerikanische Emigranten wohnten – bis die ersten bärtigen Hipster kamen.

Und ein unbekannter deutscher Maler mittleren Alters: Robert Janitz empfängt seinen Besuch auf den Stufen seiner Einzimmerwohnung, die zugleich als Atelier dient. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Schlafsofa. Baudelaire, Robert Walser und zeitgenössische amerikanische Poesie auf dem Fensterbrett. Und da steht es dann, eines der Bilder, mit denen Janitz gerade der Geschichte der abstrakten Malerei ein weiteres Kapitel hinzufügt, eines der Bilder, deren «passionate nonchalance» Peter Schjeldahl kürzlich im «New Yorker» feierte. Ein Bild, das am folgenden Tag nach London fliegen wird, zu einer Ausstellung neuer minimalistischer Kunst in der altehrwürdigen Lisson Gallery, und, da es bereits verkauft ist, von dort zurück über den Atlantik in eine Privatsammlung nach Costa Rica.

Die Leinwand, 2,60 Meter hoch, ist rot grundiert, an den Ecken sieht man noch den naturfarbenen Stoff. Darauf ein mit sehr breiten Pinselstrichen aufgetragenes Gemisch aus Wachs, Ölfarbe, Mehl und «billigem Leinöl», wie Janitz sagt, «damit es gilbt». Ein wenig wirkt es, als habe Janitz mit einem gewaltigen Messer den Inhalt eines Fünf-Liter-Eimers Erdnussbutter auf die Leinwand gestrichen. Das Wachs sorgt dafür, dass der dünner aufgetragene Teil des Pinselstriches durchsichtig wird und sich allenfalls wie ein hauchzarter Schleier auf das Rot der Grundierung legt, während die dicker aufgetragenen Parts, einmal getrocknet, eine skulpturale Qualität bekommen, so als sei das Gemälde in Wahrheit ein Relief, als habe ein Bildhauer die Pinselstriche herausmodelliert.

Der Effekt ist so einzigartig wie widersprüchlich – einerseits eine Feier des Materials, der grossen, exzessiven Geste, vielleicht ein Denkmal für den Pinselstrich als Highway in die Freiheit, wie ihn zuletzt die abstrakten Expressionisten begriffen. Und gleichzeitig wirkt es, als sei das Bild das in wenigen Augenblicken geschaffene Resultat einer langen, fernöstlich inspirierten Meditation.

«Hin- und her gependelt zwischen Alkoholismus und Meditation»

Wie man so dasteht vor diesem Bild und versucht, seine Eindrücke zu schildern, muss Robert Janitz lachen. «Ich bin einige Jahre tatsächlich zwischen den Polen Meditation und Alkoholismus hin und her gependelt», sagt er. «Vielleicht ist es das, was Sie meinen.»

Robert Janitz muss noch öfter lachen, wenn er von seiner Nichtkarriere erzählt. 1962 geboren und im oberhessischen Alsfeld aufgewachsen, übt er als Teenager, im Stile van Goghs zu malen, bewirbt sich später auf einen Platz an der Frankfurter Städel-Akademie und wird abgelehnt. «Ich habe einen Protestbrief geschrieben, in dem ich Artaud zitiert habe, aber das hat auch nicht geholfen.»

Janitz gibt, bevor er überhaupt richtig angefangen hat, die Malerei auf und beginnt Sanskrit zu studieren, ein Studiengang, der ihm keine neuen Freunde beschert, sitzt er doch meist allein mit dem Professor und einem einzigen Kommilitonen im Seminar. Gewohnt, sagt er, habe er in dieser Zeit in einer buddhistischen Tantra-Kommune, in der er gelernt habe, tagaus, tagein Unmengen von Sake zu trinken. Aber eben auch japanisches Bogenschiessen und die Grundlagen der Kalligrafie. «So», sagt er, «hatte ich irgendwann wieder einen Pinsel in der Hand.»

Janitz beschliesst, es doch noch einmal ernsthaft mit der Malerei zu versuchen. Nur wo? Inzwischen schreiben wir das Jahr 1994, und die wenigen Künstler, die Janitz in Frankfurt kennt, ziehen langsam, aber sicher nach Berlin. Einer zündet kurz nach seinem Umzug aus künstlerischen Gründen den Bauernhof seiner Eltern an, was, wie Janitz sagt, vielleicht nicht nur mit Berlin zu tun hatte, aber eben doch auch. «Ich hab schnell gemerkt, dass Berlin nichts für mich ist. Die Stadt war so unfertig wie ich. Also, dachte ich, geh ich lieber nach Paris, in eine Stadt mit gewachsenen Strukturen, eine Stadt, die mir Halt geben kann.»

«Franzosen mögen keine Ausländer»

In Paris findet er für umgerechnet 150 Euro im Monat eine Dachgeschosswohnung in einem besetzten Haus. Und er lernt den koreanischen Maler Hyun Soo Choi kennen, der ihn in die Tradition der chinesischen Malerei einführt und ihm zeigt, wie man Bambusknoten malt. Ansonsten stellt Janitz schnell fest: «Die Franzosen mögen keine Ausländer, aber was sie richtig hassen, das ist Malerei.»

Trotzdem bleibt er fünfzehn lange Jahre in der Stadt, aus der in den Neunzigern und Nullerjahren alle jungen Künstler nach Berlin fliehen, malt Wellenbewegungen in Multicolor. Janitz ist zur falschen Zeit am falschen Ort, hat neben Hyun Soo Choi nur einen befreundeten Philosophen und Kunsthistoriker, der ihn ermutigt weiterzumachen – auch der, wie Janitz bemerkt, «mit Migrationshintergrund».

Natürlich, sagt er rückblickend, habe er sich gefühlt wie ein Idiot. «Als hätte ich immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen.» Aber nach Deutschland zurückzugehen sei keine Option gewesen. Es hätte sich wie eine Niederlage angefühlt. «Heute», sagt er, «bin ich froh, dass ich diesen langen Umweg gegangen bin. Ich konnte in Paris ja völlig ungestört meine Sachen entwickeln, da gab es keinen Markt, der mich gestört hätte, Erfolg schon gar nicht. Und ich musste mich auch nicht mit der deutschen Malerei auseinandersetzen. Weder Polke oder Palermo noch die ganze Kölner Szene haben eine Rolle für mich gespielt, das war alles sehr weit weg. So konnte ich Einflüsse aufnehmen, die mich sonst gar nicht erreicht hätten, wie Jean Fautrier oder Hans Hartung.»

Obwohl sich Paris zu diesem Zeitpunkt als Kunststadt gerade neu erfindet und immer mehr Galerien eröffnen, geht Janitz 2009 nach New York. Eine Befreiung, wie er sagt: «In Paris hätten mich auch die neuen Leute am ausgestreckten Arm verhungern lassen, das hab ich sofort gespürt.» In Bushwick hingegen findet sich Janitz plötzlich in einem Kreis jüngerer Künstler wieder, zu dem unter anderem der belgische Jungstar Harold Ancart gehört. «Die fanden meine Falten wohl ganz charmant», sagt er.

Und nicht nur seine Falten: Plötzlich tauchen sein Name und seine inzwischen merkwürdig patinierten Monochrome in den wichtigen New Yorker Kunstblogs auf, auf einmal gilt er als «artist's artist», als Künstler, der vor allem von anderen Künstlern geschätzt wird, als begnadeter Colorist, als Kultfigur. Mit zwanzig Jahren Verspätung hat Janitz nun auch das, was man sich unter dem Leben eines jungen Künstlers vorstellt – die durchgemachten Nächte, gegenseitige Atelierbesuche bis zum Morgengrauen, endlose Diskussionen, Euphorie, Kater, Konkurrenz, Verbrüderung und Paranoia.

Seine Miete verdient er als Privatsekretär einer älteren Choreografin. «Obwohl Privatsekretär vielleicht ein irreführendes Wort ist. Ich bin da mit verkatertem Kopf hin und habe ihr die E-Mails vorgelesen und dann für Sie geantwortet. Ein toller Job, 15 Dollar die Stunde, viel brauchte ich ja nicht. Hier in Bushwick gibt es Gott sei Dank Läden, wo eine Hose vier Dollar kostet. Und auf den Eröffnungen gab es immer umsonst zu trinken.»

Mit verkatertem Kopf habe er auch eines Mittags auf seinen Frühstückstoast geschaut, auf den fettigen, fliessenden Schwung, mit dem er soeben weiche Butter draufgestrichen hatte – eine Epiphanie für den Maler, der seine neuen, zwischen buttrig und pfannkuchenteigig changierenden Bilder 2012 in einer Ausstellung in der Brüsseler Galerie Clearing zeigt, die auch seinen Freund Harold Ancart repräsentiert.

Seit Anfang dieses Jahres überschlagen sich nun die Ereignisse. Die renommierte New Yorker Team Gallery verkaufte alle Werke seiner Einzelausstellung noch am Eröffnungsabend, in der Woche darauf besuchte Peter Schjeldahl, Chefkritiker des «New Yorker», die Schau und beschloss, dem ihm bis dato völlig unbekannten «German Cosmopolit» eine begeisterte Kritik zu widmen. Seitdem waren Janitz' Bilder auf allen wichtigen Messen prominent präsentiert, die Londoner Lisson Gallery lud ihn zu ihrer grossen Sommerausstellung ein. Janitz eröffnete seine erste deutsche Ausstellung bei Meyer Riegger in Berlin, sogleich gefolgt von einer weiteren New Yorker Schau, die seine Arbeiten zusammen mit frühen Lichtskulpturen von Dan Flavin zeigt. Das Erstaunliche: Je mehr man von ihm sieht, desto besser wird es. Oder wie Peter Schjeldahl schreibt: «Der Reichtum an glücklichen Zufällen ist gross.»

«Ich habe es nicht anders hinbekommen»

Wenn er nicht knapp zwanzig Jahre zu alt wäre, man würde Robert Janitz jetzt wohl als einen der hoffnungsvollsten Stars der Stunde feiern, als Held der neuen Welle an abstrakter Malerei. «Mir ist es so, wie es ist, lieber», sagt er. Beweisen, wie ernst er es meint, zeigen, ob sein Atem für die lange Strecke reicht, muss er niemandem mehr.

Ist er das, der Robert-Janitz-Weg? Zwanzig Jahre konzentriert an der Nichtkarriere arbeiten, dann den Spass des Shootingstars haben, die Mid-Career-Krise überspringen und irgendwann ganz entspannt ans Spätwerk gehen?

Robert Janitz zuckt mit den Schultern: «Ich hab es nicht anders hinbekommen.»

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