Ein Cellist! War ja irgendwie klar. Der Putin-Freund und vermutliche Milliarden-Verschieber Sergej Roldugin ist offenbar nicht nur ein Meister seines Instruments. Das aber auch. Im Ausland spielt der einstige Solocellist des weltberühmten Petersburger Marientheaters (das wird man nicht durch Protektion, das muss man können) zwar keine grosse Rolle.

Deutschsprachig listet ihn aber ausgerechnet die Webseite des Linzer Brucknerhauses als Gastdirigenten: kein Wunder, dessen so russlandfreundlicher wie geschäftstüchtiger Direktor Hans-Joachim Frey hat als Ausrichter des Semperopernballs auch den ehemaligen, einst in Dresden stationierten KGB-Offizier Wladimir Putin mit dem Georgsorden, einer besseren Karnevalsauszeichnung, dekoriert.

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Weit mehr als nur ein Apparatschik

Aber im russischen Musikbetrieb ist Roldugin offenbar weit mehr als nur ein Apparatschik. Das Marientheater führt ihn inzwischen als Gastdirigenten, er sitzt offenbar auch im Aufsichtsrat. Was wiederum erklären würde, warum Valery Gergiew, der allmächtige Chef des Theaters und auch als Dirigent eine der einflussreichsten Schlüsselfiguren der heutigen Klassikwelt, von Putin so wohlgelitten ist.

Gergiew, seit dieser Saison auch Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, wurde wie Roldugin von Putin als Volkskünstler, sogar als Held der Arbeit ausgezeichnet. Er verfügt inzwischen über drei Bühnen in St. Petersburg und soll mit Investments in Geflügelfabriken sehr reich geworden sein. Im Zusammenhang mit den Panama Papers taucht er bisher aber nicht auf. Doch ob da schon alle Strohmänner enthüllt sind?

Ein Cellist! Längst nämlich schon hat dieses mittelgrosse Saiteninstrument das Klavier und die Geige, die klassischen Virtuosenspielzeuge des 19. Jahrhunderts im Nimbus abgelöst. Es wurde zu einem Liebling der Komponisten des 20. Jahrhunderts, besonders weil sich zwei Künstler dafür starkgemacht haben, die beide auch politische Figuren waren: der Spanier Pablo Casals (1876–1973), ein unermüdlicher Pazifist und aufrechter Gegner von Francos Faschistenregime, und der Russe Mstislaw Rostropowitsch (1927–2007), der 1974 die Sowjetunion verlassen musste, nachdem er sich für den damals verfemten Schriftsteller Alexander Solschenizyn starkgemacht und ihn bei sich hatte wohnen lassen.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit

Und die charismatische Cellistin Jacqueline du Pré, später Gattin von Daniel Barenboim, wurde im Swinging London der Sixties ein Liebling der frühen Hipster-Society – sicher auch weil sie mit ihrer Stradivari-Kniegeige so sexy stöhnend zwischen den gespreizten Beinen hantierte.

Jetzt steht das Cello beziehungsweise sein Bespieler also wieder mal nicht nur in Russland im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wir haben zwar gelernt, möglichst nicht auf den Pianisten zu schiessen, aber das Cello, mehr noch sein Kasten, waren immer auch ein wunderbar plastisches Gangsterhilfsmittel. Darin konnte man Maschinengewehre, Drogen, Spionen oder Leichen transportieren, nicht nur der Mafiafilm macht ausgiebig Gebrauch davon.

Somit hat sich das Cello im Mythen- und Metaphernpark des 20. Jahrhundert längst vom Mauerblümchen zu einem Starakteur verwandelt. Und das ist auch in der aktuellen, die Welt in Atem haltenden Panama-Affäre wieder so. Nicht wirklich überraschend.

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