Wie schnell aus Partnern Konkurrenten werden können, hat Google am Dienstag in San Francisco gezeigt. Ab sofort baut der Internetriese seine Smartphones selbst. Zum Start präsentierte Google zwei Geräte mit der Bezeichnung Pixel Phone. Weitere sollen folgen. Googles Auftritt war der bisher grösste Hardware-Launch des Konzerns.
Neben den neuen Smartphones präsentierte Google eine Virtual-Reality-Brille (VR), einen WLAN-Router, einen Chromecast zum Übertragen von 4K-Videos auf den Fernseher und seinen cleveren Lautsprecher Google Home, in dem ein digitaler Assistent seinen Dienst leistet.
Konkurriert seine Partner
Acht Jahre nach Einführung des ersten Google-Phones G1 in den USA vollzieht das Unternehmen damit einen Strategieschwenk. Das ist nicht ohne Risiko. Bislang ist der Konzern gut gefahren mit seinen Partnern. In mehr als acht von zehn Geräten läuft das Google-Betriebssystem Android. Hersteller wie Samsung, Huawei, LG, Lenovo und Xiaomi bauen jedes Jahr neue Geräte mit dem Google-System.
Nun bekommen sie mit Google einen neuen Konkurrenten hinzu. Das Risiko, seine Partner zu verärgern, hält Google offenbar für kalkulierbar. Tatsächlich gibt es derzeit neben Apples iOS und Googles Android kein ernst zu nehmendes Betriebssystem mehr für Smartphones.
A la Apple
Google setzt mit seiner neuen Strategie auf das Erfolgsrezept von Apple. Wer Software und Hardware selbst baut, hat es in der Hand, was am Ende beim Nutzer auch ankommt. Auf diese Weise lassen sich ausserdem Innovationen beschleunigen, die sonst in langwierigen Abstimmungsprozessen mit Partnern unter die Räder kommen. Auch Microsoft ist mit seinem Tablet Surface diesen Weg gegen den Widerstand seiner Partner gegangen.
Ob Google damit am Ende Erfolg hat, ist fraglich. Der Konzern musste mit eigenen Geräten schon Schlappen hinnehmen. So wurde der 2012 präsentierte Medienplayer Nexus Q nie an Verbraucher verkauft. Ähnlich endete die Datenbrille Google Glass. Den 2012 für 12,5 Milliarden Dollar übernommenen Smartphone-Hersteller Motorola verkaufte Google wieder an Lenovo.
Im April verordnete sich der Internetkonzern mit seinem Hardware-Geschäft aber einen Neustart und bündelt seitdem die Abteilung unter der Führung des ehemaligen Motorola-Chefs Rick Osterloh.
Nur noch die Fertigung in fremden Händen
Google hatte in der Vergangenheit mit einzelnen Herstellern intensiver bei der Smartphone-Produktion zusammengearbeitet. Die aus diesen Kooperationen hervorgegangenen Geräte wurden unter der Marke Nexus auf den Markt gebracht. Dazu wählte der Internetkonzern Unternehmen wie Huawei, HTC und LG aus. Zwar hat Google diese Hersteller intensiver unterstützt, doch die Entwicklung der Geräte blieb ihnen selbst überlassen.
Bei den neuen Pixel Phones hat Google die komplette Entwicklung und das Design übernommen und lässt die Geräte nun von HTC als Auftragsfertiger bauen. Das ist nicht ungewöhnlich. Auch Apple lässt seine iPhones von Foxconn in China produzieren.
Deutsche Version weniger intelligent
Bei den neuen Pixel Phones hat Google nun die Möglichkeit, mit eigenen Entwicklungen tiefer in das System einzugreifen. Ein erster Schritt ist der digitale Assistent, der mit dem Zuruf «Okay, Google» oder über den Home-Button aufgerufen werden kann und allerlei gesprochene Fragen nach dem Wetter, künftigen Flugverbindungen, Restaurants in der Nähe, kommenden Terminen, Wegstrecken oder Rezepten beantworten kann. Er kann auch Befehle ausführen und beispielsweise Termine oder Erinnerungen eintragen.
Google setzt hier auf maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz. Aus diesem Grund wird die deutsche Version des Assistenten auch nicht alle Fähigkeiten haben, die im englischsprachigen Assistenten stecken. Aber nach Angaben von Google soll die deutsche Version stetig dazulernen.
Per Zuruf
Nicht zuletzt deswegen hält sich Google auch mit der Einführung des cleveren Lautsprechers Google Home in Deutschland zurück, in dem auch der Assistent eingebaut ist. Das Gerät, das am Dienstag ebenfalls vorgestellt wurde, soll zuerst nur in englischsprachigen Ländern auf den Markt kommen. In Deutschland wird Google Home den Angaben zufolge erst im kommenden Jahr verfügbar sein. Der Lautsprecher beantwortet beispielsweise Fragen, nachdem er mit «Okay Google» geweckt wurde. Das funktioniert auch aus mehreren Metern Entfernung.
Mit seinem Lautsprecher ist Google kein Vorreiter. Amazon hat mit Echo schon seit 2014 ein solches Gerät am Markt und ist damit erfolgreich. Noch im Oktober ist der Echo-Start in Deutschland geplant. Mit Echo lassen sich auch Geräte per Sprache im vernetzten Zuhause steuern. So kann auf Zuruf beispielsweise das Licht ausgeschaltet oder der Fernseher eingeschaltet werden.
Vorarbeit mit neuen Diensten
Auch Google Home soll dazu in der Lage sein. Das Marktforschungsunternehmen Gartner geht davon aus, dass bis 2020 mit diesen virtuellen persönlichen Assistenten in Lautsprechern mehr als 2 Milliarden Dollar umgesetzt werden. 3,3 Prozent aller Haushalte sollen dann einen solchen Assistenten zu Hause stehen haben.
Für die neuen Smartphones hat Google in den vergangenen Wochen einiges an Vorarbeit geleistet. So hat der Konzern zwei neue Dienste gestartet: Allo und Duo, die auch als Anwendungen für iPhones und andere Android-Smartphones verfügbar sind. Im Prinzip sind diese Anwendungen das Pendant zu iMessage und Facetime von Apple.
In Kombination mit VR-Brille
Allo ist ein Messenger, der den Assistenten von Google gleich mit eingebaut hat. Duo ist eine Videotelefonie-Anwendung. Beide Dienste benötigen lediglich eine Mobilfunknummer, aber kein Google-Konto. Darüber hinaus gibt Google jedem Pixel Phone einen unbegrenzten Foto- und Video-Speicher in der Cloud mit, sodass Bilder und Filme in voller Auflösung auf den Google-Servern gespeichert werden können. Je nach internem Speicher und Display-Grösse – fünf Zoll oder 5,5 Zoll – kosten die Geräte, die ab 20. Oktober verkauft werden, zwischen 760 Euro und 1010 Euro [Zur Schweiz gibt es noch keine Informationen zu Verkaufsstart und Preis, Anmerkung der Redaktion].
Ab November soll dann auch Googles neue VR-Brille mit einer eigenen Fernbedienung in Deutschland verfügbar sein, die für knapp 70 Euro verkauft wird. Die Pixel Phones werden die ersten Geräte sein, die diese Brille unterstützten. Sie soll später jedoch auch mit Android-Smartphones anderer Hersteller funktionieren, auf denen die neuste Android-Version läuft.
Google hatte die Brille bereits auf der Entwicklerkonferenz I/O in diesem Jahr zusammen mit einer Plattform für VR-Inhalte mit der Bezeichnung «Daydream» angekündigt. Mit dem Controller können Nutzer Spiele steuern und ihn beispielsweise als Golfschläger oder Zauberstab einsetzen.
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