Neulich ist es mir wieder mal passiert: Früh morgens trete ich auf die Strasse in Hamburg-Ottensen und muss mit ansehen, wie der 37er Schnellbus den Blinker setzt und Fahrt aufnimmt. Ich setze zum Sprint an in der Hoffnung, dass am Steuer ein Fahrer mit Herz sitzt, keine Pestilenz, die beweisen muss, wie machtvoll sie in diesem Moment ist, sondern eben ein feiner Kerl. Meine Chancen stehen Fiftyfifty, und tatsächlich, der Fahrer stoppt, öffnet die Vordertür, lässt mich einsteigen. «Mensch, danke Ihnen, ist ja nicht selbstverständlich.» - «Tja, für seine Kollegen kann man nichts. Wo wollnse denn hin?»

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Eine banale Situation, die einem aber doch für die Flüchtigkeit eines Moments den Glauben an die Menschheit zurückgibt. Es ist also doch nicht alles verloren!

Nostalgische Beklemmung

Blickt man allerdings auf die Prognosen von Zukunftsforschern, spezieller auf die der Automobilexperten, dann könnten derart menschelnde Augenblicke bald der Vergangenheit angehören. Denn in bereits zehn bis 15 Jahren sollen LKW, Taxen und Busse von Robotern gelenkt werden beziehungsweise ohne Fahrersitz auskommen. Im gar nicht so fernen Zeitalter des autonomen Fahrens sind Berufe wie Trucker oder eben Busfahrer nicht mehr vorgesehen.

In die Faszination um den prognostizierten Fortschritt mischt sich bei mir in Momenten wie dem gerade beschriebenen so etwas wie nostalgische Beklemmung. Wird man demnächst als Zuspätkommer überhaupt nicht mehr mitgenommen? Wird ein Algorithmus entscheiden: abgefahren ist abgefahren? Wie wird Verkehr funktionieren, wenn nicht mehr per Augenkontakt und gutem Willen jemandem das Einfädeln gestattet wird? Und grösser: Wie wird Gesellschaft funktionieren, wenn Hightech Aufgaben übernommen hat, die nicht mehr nur in Werkshallen und Labors zu tun sind, sondern im öffentlichen Raum?

Der menschliche Faktor ist nicht programmierbar

Nun sollen, so liest man, Roboter ja schon jetzt in der Lage sein, Emotionen zu erkennen und emotional zu handeln. Wie Pepper, der intelligente und lernfähige Apparat aus Japan, der auf Kreuzfahrtschiffen und Supermärkten arbeiten und die Gefühle der Kunden dechiffrieren soll. Klingt ambitioniert, nur ist bei aller Zukunftsgläubigkeit der menschliche Faktor schlicht nicht programmierbar, werden Tugenden wie Barmherzigkeit, Grossherzigkeit, Mitleid und Gnade keine Wesensmerkmale eines Computers sein können, kann der göttliche Funken niemals in einer Maschine verlötet werden.

Ein autonom fahrender Bus, der pünktlich zu sein und Verkehrsregeln strikt einzuhalten hat, wird kaum situativ entscheiden, ob er einen um wenige Sekunden verspäteten Rollstuhlfahrer noch einsteigen lässt oder eine hektisch winkende Kindergärtnerin mit zwölf Kindern am Arm. Härter: Ein Algorithmus wird nicht Milde walten lassen und eine gut integrierte afghanische Familie doch noch vor der befürchteten Abschiebung bewahren. Noch härter: Ein Kampfroboter auf irgendeinem Schlachtfeld dieser Welt wird nicht im entscheidenden Moment das Gewehr sinken und sein menschliches Gegenüber davonkommen lassen.

Wann übernehmen die Roboter die Kontrolle?

Der menschliche Faktor unterscheidet uns von allem, was sonst noch ist auf der Erde. Vom Stein, vom Baum, vom Tier, von der Maschine. Die komplexen Kaskaden ethisch-moralischer Selbstreflexion sind nur beim Homo Sapiens vorgesehen. Vor dem von den Autoren Vernor Vinge und Ray Kurzweil prognostizierten Moment der Singularität - dem Datum, an dem intelligente Maschinen die Kontrolle über die Menschheit übernehmen - müsste uns also Angst und Bange werden. Um 2045 herum soll das sein. Bisher hat sich vor allem Hollywood effektreich an diesem Untergangsszenario abgearbeitet.

Futuristen, Soziologen und Informatiker hingegen sind sich uneins, inwieweit wir bedroht sein werden. Sollten zumindest die Ultras unter den Apokalyptikern falsch liegen, so wird eines aber ganz gewiss passieren: Weitere Millionen von Jobs werden vernichtet werden, dazu wird die gesellschaftliche Temperatur um ein paar weitere Grad abgesenkt.

Empathisch und kreativ sein

Es wird uns in dieser Situation nichts anderes übrigbleiben, als die Temperatur an anderen Stellen um ein paar Grad zu erhöhen. Denn diejenigen, die kein Taxifahrer mehr werden, keinen Lastwagen mehr steuern und keine Immobilie mehr makeln, weil es nun eine künstliche Intelligenz tut, müssen notgedrungen in die Bereiche des Arbeitsmarktes ausweichen, wo etwas verlangt wird, das Computer niemals vermögen werden: eben empathisch und kreativ zu sein.

Dem Ärger um den verpassten Bus jedoch wird in naher Zukunft nur noch mit buddhistischer Gelassenheit begegnet werden können.

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