Die kleinste Widerstandszelle gegen das islamische Regime im Iran ist ein Taxi. Es fährt an einem ziemlich schönen Tag durch Teheran. Ein freundlicher, nicht mehr ganz junger Mann mit leichter Neigung zum Bauch und verhältnismässig starker Brille sitzt hinter dem Steuer. Es ist, wie es ist in jedem Taxi überall auf der Welt. Und doch wieder nicht. Menschen steigen ein, Menschen unterhalten sich, Menschen steigen wieder aus.

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Sie unterhalten sich natürlich nicht einfach so. Und das nicht nur, weil man sich im Iran gar nicht einfach so unterhalten kann, weil alles, was man sagt, automatisch politisch ist. Einmal, da fahren wir noch nicht lange herum in der Hauptstadt, haben wir zum Beispiel einen Mann die Hinrichtung von Menschen verteidigen hören und gehört, wie eine zarte Frau dagegen gewettert hatte.

Und da sagt dann einer, dass er das schon alles durchschaut habe, dass das alles Schauspieler gewesen seien, die da ein- und ausstiegen, dieses Spiel, das der Mann da spielt, der dankenswerterweise gerade die Kamera, durch die wir das alles sehen, so verstellt hat, damit wir auch mitbekommen, was sich auf der Rückbank abspielt. Der Schlaumeier im Fonds redet den Fahrer, er tut es mit Verschwörermiene, mit «Herr Panahi» an. Und spätestens da wird klar, dass die Fahrerei in diesem Taxi erstens tatsächlich ein herrlich subversiver Akt ist und zweitens ziemlich gefährlich. Für so ziemlich alle Beteiligten.

Ein Film war in einen Kuchen eingebacken

Jafar Panahi darf das nämlich eigentlich nicht tun. Das heisst, Taxi fahren natürlich schon, wie es jeder abgebrochene Filmhochschulstudent, der mal von einer grossen Karriere als Regisseur träumte, überall auf der Welt tut. Eine Filmkamera irgendwohin hängen und Menschen filmen, aufzeichnen, was sie sagen, das darf der wahrscheinlich berühmteste Filmregisseur des Irans nicht. Das darf er seit 2010 nicht.

Seit 2010 und bis ins kommende Jahr sollte er eigentlich im Gefängnis sitzen, bis zum Jahr 2030 dürfte er eigentlich keine Filme drehen. Verurteilt ist er «wegen Propaganda gegen das System». Im Taxi sitzen darf er, weil er auf Bewährung sozusagen auf mehr oder weniger freiem Fuss ist (ins Ausland reisen wiederum darf er natürlich nicht).

Filme dreht er trotz allem. Er schmuggelt sie irgendwie aus dem Iran. Einer war eingebacken in einem Kuchen. Man sieht ihnen ihre Entstehung und ihre Gefährdetheit immer an. Sie sind Dokumente der Angst und der Freiheit. Und helfen allen, die über das alltäglich zunehmende Durchlauferhitzenmüssen eher dünnpfiffiger Blockbuster ernsthaft darüber nachdenken, doch auf dem zweiten Bildungsweg besser Kindergärtner zu werden, bei der Entscheidung, genau diesen Berufswechsel zu lassen. Kino hat Relevanz, zeigen Panahis Filme, Kino kann Mächtigen Angst machen. Kino hat Grösse.

Folge höherer verbrecherischer Gewalt

Panahis dritter Film aus dem Untergrund, der «Taxi Teheran» heisst, hat es nach Berlin und auf die Berlinale geschafft. Jafar Panahi ist, wie der herrliche Schluss dieser extrem gelösten Kamerafahrt durch die Ängste, die Bedrohungen, die Unfreiheiten des Irans zeigt, daran natürlich vollkommen unschuldig. Er hätte das nie gewollt. Dass «Taxi Teheran» im Wettbewerb der Berlinale landete, war – führt Panahi am Ende satirisch vor – die Folge höherer verbrecherischer Gewalt.

Panahis Film erhielt den Goldenen Bären. Und das ist, das sollte man hier mal kurz zwischenschieben und den Mullahs, denen das natürlich nicht gepasst hat, auf ihre Kaftane schreiben, keine politische Entscheidung. Keine ausschliessliche jedenfalls. Er ist selbstironisch, er ist klug, er ist ein Trickster von einem Film.

Jeder hinterlässt seine Geschichte

«Taxi» schleust, wir hatten es schon angedeutet, ein gutes Dutzend Menschen durch Panahis Taxi. Jeder hinterlässt seine Geschichte. Eine Frau sichert sich das Handy ihres geliebten Mannes. Der ist mit dem Moped verunglückt, hat Panahis Rückbank voll geblutet und, weil er dachte, dass er sterben müsse, sein Testament aufs Handy gesprochen. Die Frau braucht es, weil – man weiss ja nie. Zwei ältere Frauen wollen ihren Goldfisch irgendwo in einen Brunnen bringen. Wenigstens der Fisch soll frei sein, weil – man weiss ja nie.

Ein Mann steigt ein, der einen schwunghaften Handel mit raubkopierten DVDs betreibt (und Panahi sofort erkennt). Bei ihm kriegt man alles. Vor allem das natürlich, was die Mullahs nicht mögen. Ein quecksilbriger Kerl, der es fast schafft, einen mit Raubkopiererei zu versöhnen. Wenn sie der Konterrevolution hilft. Eine Rechtsanwältin fährt ins Gefängnis, eine Blume hat sie dabei, das Gefängnis heißt Paradies. Die Frau, die da im Paradies festsitzt, hat gerade ihren Hunger- durch einen Durststreik verschärft. Lange wird sie es vielleicht nicht mehr machen. 

Es wird böser und böser

Es wird böser und böser. Die Sonne scheint vom Himmel. Der Klingelton des Handys ist die Titelmelodie aus dem Strafgefangenenepos «Papillon». Und dann steigt Panahis Nichte zu. Und der Film schlägt einen Kobolz.

Man sitzt da und kriegt das Grinsen nicht mehr vom Gesicht. Ein Frontalangriff auf die Zensurgesetze (für alle, die über die langweiligen demokratischen Kulturdebatten vergessen haben, was Zensur ist: Das ist, wenn die obersten Kulturbestimmer sagen, was in einem Film zum Beispiel wie vorkommen darf und was nicht, und wenn es vorkommen darf – eine Hungerstreikende eher nicht, alte Frauen mit Goldfisch schon –, wie es vorkommen darf). Aus dem Mund eines Kindes. Ein doppelter Rittberger der Subversivität. Kindermund tut Wahrheit kund, was soll Panahi dagegen tun.

Die Nichte soll nämlich einen Film drehen. Über den Alltag in Teheran. Und wiederum eigentlich nicht. Denn – das erzählt die Nichte einfach so – sie haben in der Klasse ein ganzes Regelwerk aufgebrummt bekommen, ein Regelwerk dessen, was sie nicht zeigen dürfen. Es hört sich verteufelt nach der jüngsten Teufelei der Zensurbehörde an. Wie soll man denn damit einen Film machen, beklagt sich Nichte beim grossen Filmemacheronkel. Einen Film, der, so war die Aufgabe, die Realität zeigt, die Wahrheit.

Zum Beispiel, indem man einen Mann mit zwei Kameras in ein Taxi setzt, und Schauspieler klandestine Dialoge sprechen lässt, in denen sich der iranische Alltag widerspiegelt. So widerspiegelt, dass keinem was passieren kann, alle Bescheid wissen und die Mullahs die Blamierten sind. Der so lustig wird und böse, so klug und gross wie «Taxi Teheran».

Man kann – das sei allen gesagt, die jetzt meinen, nach dem Atomabkommen werde alles wieder gut mit dem Iran – mit diesem prinzipiell antidemokratischen Regime keine Geschäfte machen, solange Jafar Panahi (wir nehmen ihn jetzt mal so, wie er sich selbst versteht, als pars pro toto für die ganze unterdrückte Künstlerschaft im Iran) nicht in Freiheit Filme machen darf. Wir sitzen zwar gerne vor grandiosen Dokumenten der Subversion. Fast lieber wären uns – auch wenn wir uns damit ein wenig ins Knie schiessen – allerdings weniger grandiose Filme von Regisseuren in Freiheit.

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