Der EZB-Rat habe sich nicht festgelegt, sagte Nagel in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der «WirtschaftsWoche». «Wir werden in den nächsten Wochen die eingehenden Daten genau analysieren und dann entscheiden. Aber eine Leitzinssenkung im Juni ist wahrscheinlicher geworden.» Entscheidend für die Währungshüter sei die mittelfristige Preisentwicklung. «Wenn sich die Preise und die Wirtschaft entwickeln wie erwartet, würde ich eine Senkung der Leitzinsen im Juni befürworten.»

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Im Interview mit dem Sender CNBC sagte Nagel am Mittwoch zudem, es müsse geschaut werden, was die Daten für das Juni-Treffen sagen. «Und dann werden wir sehen, was das für die Juli-Sitzung bedeutet», merkte er an. «Ehrlich gesagt, zu spekulieren über den Juni hinaus, das ist nach meinem Verständnis nicht hilfreich.» Für ihn sei es wichtig, von Sitzung zu Sitzung zu überlegen. «Das war ein guter Ansatz für die letzten zwei Jahre und das ist immer noch mein Verständnis, wie wir Geldpolitik betreiben sollten hier in der Euro-Zone.» Die nächsten Zinsentscheide der EZB stehen am 6. Juni und dann am 18. Juli an.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte vergangene Woche die Finanzmärkte auf eine nahende erste Zinssenkung vorbereitet. Dabei komme es auf die Beurteilung der Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrundeliegenden Teuerung und der Schlagkraft der Geldpolitik an, hatte sie gesagt. Mehrere Währungshüter hatten bereits auf den Juni als möglichen Zinswende-Beginn hingewiesen. Die Inflation im Euroraum war im März auf 2,4 Prozent gesunken von 2,6 Prozent im Februar und 2,8 Prozent im Januar. Die EZB-Zielmarke von 2,0 Prozent ist damit in greifbare Nähe gerückt.

Der «WirtschaftsWoche» sagte Nagel, aktuell gingen die Teuerungsraten zurück. «Aber es gibt Risiken.» Der Ölpreis liege angesichts der Spannungen im Nahen Osten ein gutes Stück höher als im Vorjahr. Gas wiederum habe sich in Europa kräftig verbilligt. «Die Energiepreise werden ein Unsicherheitsfaktor bleiben», so Nagel. Auch in der Lohnentwicklung gebe es Unwägbarkeiten. Für den Euro-Raum sei für dieses Jahr derzeit mit Lohnsteigerungen von 4,5 Prozent zu rechnen. «Wenn die Löhne kräftiger steigen als erwartet, könnte der Preisdruck länger anhalten, vor allem bei Dienstleistungen.» Aus Nagels Sicht ist es daher noch nicht völlig klar, ob die Inflationsrate im nächsten Jahr wieder beim EZB-Zielwert von 2,0 Prozent landen wird und dann auf diesem Niveau bleibt.

«Leichtes Wachstum»

Nagel zufolge erinnern die jüngsten US-Daten daran, dass die Rückkehr der Inflation zur Zielmarke kein Selbstläufer ist. «Deshalb ist es richtig, dass sich der EZB-Rat mit Blick auf eine Zinssenkung im Juni nicht festgelegt hat.» In den USA erwies sich die Teuerung zuletzt als hartnäckig. Dort waren die Verbraucherpreise im März überraschend kräftig um 3,5 Prozent zum Vorjahresmonat gestiegen.

Für die deutsche Wirtschaft sieht Nagel Licht am Ende des Tunnels: «Die jüngsten Produktionszahlen legen nahe, dass das erste Quartal 2024 schon etwas besser ausgefallen ist als erwartet.» Es gebe erste Anzeichen, dass die deutsche Wirtschaft im Laufe des Jahres wieder Fahrt aufnehme. «Nachdem die Wirtschaft im vierten Quartal 2023 noch um 0,3 Prozent geschrumpft ist, erwarte ich für 2024 derzeit insgesamt ein leichtes Wachstum.» Nagel bekräftigte in diesem Zusammenhang seine Einschätzung, dass Deutschland nicht wie zur Jahrtausendwende der kranke Mann Europas sei. (reuters/hzb/ps)

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