Ein Kaltstart für die Unternehmen in der Schweiz zeichnet sich gemäss den Raiffeisen-Analysten im kommenden Jahr ab. Nur mit halber Leistung fahre der Konjunkturzug 2024: Statt 1,6 Prozent prognostiziert die zweitgrösste Bankengruppe der Schweiz ein Wirtschaftswachstum von lediglich 0,8 Prozent. Das ist noch einiges besser als in der EU: Dort greift die Rezession um sich, wenn auch mild mit minus 0,1 Prozent Schrumpfung der Wirtschaftsleistung. Für die USA sieht die Raiffeisen 0,5 Prozent Wachstum voraus, global 2,3 Prozent. 

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Nachholeffekte schwächen sich ab

Die Nachholeffekte der Pandemie hatten der Schweizer Industrie zunächst einen Auftragsschub gebracht. Doch brach die globale Nachfrage unterdessen wegen der konjunkturellen Abschwächung ein. Die fehlenden Neuaufträge strapazieren hiesige Unternehmen zunehmend. Nun drohen nach Einschätzung von Raiffeisen-Chefökonom Fredy Hasenmaile vielerorts Produktionskürzungen: «Die Auftragspolster sind bei immer mehr Unternehmen aufgebraucht.»

Privater Konsum und Bau harzt

Kommt es deshalb zu mehr Entlassungen? Grossflächig eher nein, meinen die Raiffeisen-Experten. Vielmehr vermieden Schweizer Unternehmen, wenn immer möglich, einen Stellenabbau, um einer künftigen Personalknappheit vorzubeugen. Offenbar hat man die Lehren aus der Covid-Pandemie – Stichwort Fachkräftemangel – verinnerlicht. Dennoch: «Eine andauernde Auftragsflaute dürfte vor allem im verarbeitenden Gewerbe zu einer sinkenden Beschäftigung führen», ist Hasenmaile überzeugt.

Auch auf dem Bau stockt es im kommenden Jahr weiterhin: Die gestiegenen Zinsen drosseln die Investitionen. Der Wohnungsbau wird also auch 2024 ein Sorgenkind bleiben. Ausserdem sinke wegen des moderaten Lohnwachstums in der Schweiz die Kaufkraft der Haushalte und in der Folge der private Binnenkonsum. Dies trotz einer auf im Jahresschnitt sinkenden Teuerung auf 1,5 Prozent.

Starker Franken fordert Unternehmen

Eine Belastung für die Industrie stelle der starke Franken dar. Zwar werden die Beschaffungskosten für Unternehmen dadurch reduziert. Und auch geringere Lohnanstiege wie in der EU haben einen positiven Effekt. Doch zwinge die starke Heimwährung Firmen über alle Branchen hinweg im Rahmen ihrer Überlebensstrategie in Produktsegmente mit höherer Wertschöpfung. Alexander Koch, Leiter Konjunktur- und Zinsanalyse bei der Raiffeisen, meint: «Uhren, Pharma und Rüstung stechen bei den Unit Values positiv hervor.»

Besondere Gefahren sieht die Raiffeisen in ihrem Forecast 2024 in den Bereichen Papier, Kunststoffe, Glas, Holz und Möbel. Diese auf die EU ausgerichteten Branchen müssen Verluste bei den Marktanteilen in Kauf nehmen. 

Deindustrialisierung geht weiter

«Die Deindustrialisierung in der Schweiz setzt sich fort», ist sich Alexander Koch sicher. Diese seit Jahren fortschreitende Entwicklung gehe weiter und könne sich verstärken. Bisher habe die starke Pharmabranche diese Entwicklung in der Statistik etwas kaschiert. 

Auch Philippe Obrist, Leiter Firmenkunden bei der Raiffeisen, sieht in der Frankenstärke eine Daueraufgabe für Unternehmen. Dazu erörterte er verschiedene Szenarien von Schweizer Firmen aus der Praxis.

Eine Diversifizierung der Zielmärkte vermindere etwa die Abhängigkeit von Fremdwährungen, so Obrist. Zudem könne Produktinnovation ein Weg aus dem Dilemma sein, da so eine erhöhte Preissetzungsmacht zustande komme. Andere Lösungsansätze seien eine höhere Automatisierung, die Auslagerung von Massenproduktion oder gezielte Nischenstrategien. Letztere gelinge gut, falls ein Unternehmen sich in dieser Nische als Kompetenzführer etablieren könne.

Zinssenkung durch SNB Ende 2024

Um eine weitere Aufwertung des Franken zu verhindern, könnte die Schweizerische Nationalbank (SNB) gezwungen sein, die Zinsen bereits Ende 2024 zu senken. Dies, um den Zinsabstand zwischen Euro-Zone und der Schweiz zu erhalten. Hintergrund ist die erwartete Zinssenkung durch die Europäische Nationalbank (EZB), die auch von den Raiffeisen-Experten wegen der konjunkturellen Abschwächung in der EU «in nicht allzu ferner Zukunft» stattfinden soll. Fredy Hasenmaile betont mit Blick auf den starken Franken: «Die SNB hat sich durch das Stillhalten bei der letzten Leitzinsrunde noch etwas Luft verschafft. Diesen Freiraum kann sie nun nutzen.»