Schon Monate vor der Notübernahme durch die UBS wollte Nationalbankpräsident Thomas Jordan 50 Milliarden Franken in das zweitgrösste Institut des Landes einschiessen und im Gegenzug verstaatlichen, wie drei mit der Sache vertraute Personen zur Nachrichtenagentur Reuters sagten. Doch die Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma) und das Finanzdepartement lehnten den Vorschlag ebenso ab wie die Spitze der Credit Suisse, so die Insider. Stattdessen wurde die Bank sich selbst überlassen und musste im Frühjahr als erste systemrelevante Grossbank seit der Finanzkrise 2008 praktisch über Nacht gerettet werden.

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Eine mögliche Verstaatlichung war einer von mehreren Reibungspunkten zwischen den verschiedenen Schweizer Behörden, die offenbar monatelang um Zukunft der Credit Suisse rangen. Recherchen und Gespräche der Nachrichtenagentur Reuters mit über zwei Dutzend Personen - beteiligte und frühere Verantwortliche, Experten und Berater - ergaben, wie uneins und zögerlich die Aufsichtsbehörden agierten. Als es zum Showdown kam, waren sie eigentlich immer noch mangelhaft auf den Niedergang vorbereitet. Zum Schluss gab es nur noch eine Option - den Verkauf der CS an den Branchenprimus UBS, unterstützt durch staatliche Garantien von mehr als 200 Milliarden Franken.

Mit dem «Deal des Jahrhunderts» für den Erzrivalen konnte zwar eine Kernschmelze des Schweizer Finanzsystems abgewendet werden. Doch damit hat sich das Land ein neues Grossrisiko eingehandelt.

«Es ist wieder passiert»

«Viele Menschen hier sind der Meinung, dass es viel besser gewesen wäre, wenn die staatlichen Entscheidungsträger viel früher gehandelt hätten», sagt Stefan Gerlach, Chefökonom der Schweizer Bank EFG International und ehemaliger stellvertretender Gouverneur der irischen Zentralbank. «Ein Element, das vielen Finanzcrashs gemeinsam ist, ist, dass die Politiker oft zu schnell die Ansichten der grössten Banken akzeptieren.»

Nachdem die Schweiz während der Finanzkrise bereits die UBS gerettet hatte, lautete das Versprechen, dass so etwas nie wieder passieren würde, erzählt Daniel Zuberbühler, der als oberster Bankenaufseher 2008 dem grössten Instituts unter die Arme greifen musste. «Es ist wieder passiert.» Dabei waren die Warnsignale unübersehbar. Beinahe im Wochenabstand verschreckte die Credit Suisse die Öffentlichkeit mit schlechten Nachrichten, von Milliardenverlusten und Personalwechseln im Management bis hin zu peinlichen Gerichtsverfahren wie der Beihilfe zu Steuerhinterziehung eines bulgarischen Kokainhändlerringes.

Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), begann sich bereits im Februar 2020 Sorgen um die Credit Suisse zu machen, als Tidjane Thiam im Zuge einer Überwachungsaffäre als Chef der Bank zurücktrat, wie eine mit der Sache vertraute Person berichtet. An die Öffentlichkeit drang aber kaum etwas. Die Formulierungen seien «sehr vorsichtig» gewählt worden, um keine Panik zu schüren, hiess es weiter. Kurz darauf kam die Credit Suisse ein erstes Mal in Bedrängnis. Als die Pandemie Grosskunden veranlasste, Kreditlinien anzuzapfen, hatte die Credit Suisse Mühe, die Gelder zur Verfügung zu stellen. Die Ereignisse veranlassten die Aufsichtsbehörden, von der Credit Suisse höhere Liquiditätspuffer zu verlangen, so die Insider.

Alarmglocken

Im Oktober 2022 begannen die Alarmglocken der Regulatoren zu läuten. Anfang des Monat setzte ein australischer Journalist einen Tweet ab, wonach eine «grosse internationale Investmentbank am Abgrund steht». Spekulationen machten die Runde, dass damit die Credit Suisse gemeint sein könnte. Die Finma setzte einen Krisenstab ein und wies die Bank an, Notfallpläne zu erstellen. Dazu gehörten auch Vorbereitungen für einen Verkauf eines Teils oder des gesamten Geschäfts, erzählt eine Person.

Jordan und andere Behördenvertreter gelangten derweil zu der Einschätzung, dass sich die Bank in einer existenziellen Krise befand. Die SNB, die Finma und der Bundesrat nahmen mit der Bank Geheimgespräche darüber auf, dass die SNB dem Institut eine Finanzierungslinie von 50 Milliarden Franken gewähren könnte. Jordan war eigentlich bereit, die Mittel abzusegnen. Doch als die Ankündigung einer neuen Strategie der CS die Erwartungen nicht erfüllte, zweifelte der Notenbankchef daran, dass die Finanzierung allein ausreichen würde, um die Bank wieder in die Spur zu bringen. Deshalb machte er für die so auf Unabhängigkeit bedachte Schweiz einen ungeheuerlichen Vorschlag: Die Credit Suisse sollte vorübergehend verstaatlicht werden. Das hätte es den Regulierungsbehörden ermöglicht, neues Spitzenpersonal einzusetzen, um das ramponierte Vertrauen wiederherzustellen. Die Pläne waren so weit fortgeschritten, dass Medienmitteilungen mit der Ankündigung einer möglichen Zentralbankfinanzierung bereit lagen.

Doch die Finma und das Finanzdepartement waren gegen eine Verstaatlichung. Einem der Insider zufolge vertrat die Finma die Ansicht, dass ein Austausch der obersten Führungsebene keine Wende bringen würde, weil die Probleme viel tiefer gingen. Einfacher als für die Regierung wäre es für eine Bank wie die UBS, die Führungsetage umzukrempeln, so die Argumentation. Zudem fehlte der Behörde bis zu einem gewissen Grad die rechtliche Handhabe für drastische Massnahmen wie eine Verstaatlichung. Denn auch dank der Liquiditätspuffer, die während der Pandemie angelegt wurden, lagen die Barmittel der Credit Suisse weitgehend innerhalb der regulatorischen Anforderungen. Die Credit-Suisse-Spitze hoffte gleichzeitig, die Wende aus eigener Kraft zu schaffen. Zudem warnte sie die Behörden, dass eine Notfinanzierung ein «negatives Signal» aussenden würde.

Deshalb passierte nichts - die Credit Suisse sollte selbst versuchen, sich aus dem Strudel zu befreien. Zu den Einzelheiten der Gespräche von damals wollten sich die Behörden nicht äussern. Ein Sprecher des Finanzdepartements erklärte, die Regierung habe eine vorübergehende öffentliche Beteiligung an der Credit Suisse geprüft, doch sei dies «nicht die beste verfügbare Lösung» gewesen. Der Sprecher sagte nicht, wann eine Verstaatlichung in Betracht gezogen worden war. Ein Finma-Sprecher sagte, die Aufsichtsbehörde habe bereits im Sommer 2022 damit begonnen, von der Credit Suisse konkrete Schritte zur Vorbereitung auf eine Krise zu verlangen. Die SNB lehnte eine Stellungnahme ab.

«Man muss die CS in Ruhe lassen»

Ein paar hundert Meter weit weg vom CS-Hauptsitz am Zürcher Paradeplatz verfolgte UBS-Präsident Colm Kelleher in der Chefetage der UBS-Zentrale die Situation. Er wies Insidern zufolge seinen inneren Kreis an, eine Übernahme vorzubereiten. Vorübergehend kam es bei der Credit Suisse tatsächlich zu einer Entspannung, die Geldabflüsse ebbten ab. Finanzminister Ueli Maurer, der sich in der Vergangenheit deutlich bankenfreundlicher gezeigt hatte als seine Vorgängerin, gab sich Mitte Dezember zuversichtlich: «Ich bin der Meinung, dass die CS die Kurve schaffen wird», sagte er in einem Interview. «Man muss sie jetzt einfach ein Jahr oder zwei in Ruhe lassen.»

Doch diese Zeit blieb der Bank nicht. Als die US-Bankenkrise im März auf Europa übergriff, suchten die Anleger nach dem nächsten schwachen Glied in der Kette und wurden bei der Credit Suisse schnell fündig. Ein dramatischer Kursverfall setzte ein, während die Kreditausfallversicherungen hochschossen. Dies löste eine weitere Welle von Geldabzügen aus.

Innerhalb der Bank machte sich Panik breit. Doch noch vier Tage vor der Kapitulation erklärte Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann öffentlich, dass staatliche Hilfen für die Bank «kein Thema» seien, während Konzernchef Ulrich Körner betonte: «Unsere Kapital- und Liquiditätsbasis ist sehr, sehr stark.» Auslöser der finalen Todesspirale waren die Aussagen des Grossaktionärs Saudi National Bank, aus rechtlichen Gründen keine frischen Mittel in die Credit Suisse einschiessen zu können.

Am selben Tag erreichte Kelleher der Anruf mit der Bitte, die 167 Jahre alte Credit Suisse, die eng mit der modernen Geschichte des Landes verwoben war, zu übernehmen. Kurz darauf traf er sich in einer ersten Notfallsitzung mit Vertretern der Schweizer Bundesrat, der SNB und der Finma. Der Ire nannte seinen Preis: Umfassenden Zugang zu Zentralbankliquidität, staatliche Garantien, die Aussetzung von Kartellregeln und der Aufschub von strengeren Kapitalanforderungen bis 2030. Im Verhandlungsmarathon der kommenden Tage waren zwar eine Verstaatlichung und eine Abwicklung noch nicht ganz vom Tisch, aber alles lief für die UBS. Am Sonntag Abend war die erste Übernahme einer global systemrelevanten Bank besiegelt.

Nachbeben

Das historische Ereignis verursachte Nachbeben in dem Land, das viel auf seine Stabilität, einen starken Finanzsektor und eine freie Wirtschaft gibt. So soll eine Sonderkommission des Parlaments klären, wie es zu dem Debakel kommen konnte. Eine solche Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) kam in der modernen Geschichte der Schweiz erst vier Mal zum Einsatz.

Angesichts der schieren Grösse des neuen Instituts, dessen Bilanzsumme fast doppelt so gross ist wie die Wirtschaftsleistung des Landes, macht sich ein neues Unbehagen breit, denn eine mögliche zukünftige Schieflage könnte das kleine Land womöglich nicht mehr auffangen. «Ein Zombie ist weg, doch ein Monster entsteht», titelte die nicht für Polemik bekannte «Neue Zürcher Zeitung» kurz nach dem Deal. Auch Anleger sind besorgt. Einer der grössten Aktionäre sagte hinter vorgehaltener Hand, die Grösse der UBS sei ein Grund zur Sorge, wenn ein neues Management das Steuer übernehme und wieder mehr Risiken eingehe.

Unter die Kritiker reiht sich auch Aymo Brunetti ein. Als früherer Schweizer Spitzenbeamter war er einer der Architekten der Reformen zur Verhinderung einer neuen Finanzkrise. Die staatlich organisierte Rettung der Credit Suisse habe die Erwartung geweckt, dass der Schweizer Staat im Falle einer künftigen Krise erneut einspringe. Dies komme einer impliziten Staatsgarantie und damit einer unfairen Subvention gleich. «Es ist gut für die Schweiz, eine erfolgreiche globale Bank zu beherbergen, aber nicht um jeden Preis», sagte Brunetti. (reuters/hzb/ps)