In Diskussionen um die Eigenkapitalausstattung von Banken kommt jetzt immer mal wieder der Punkt auf, dass die Schweizer Banken schon besonders sicher seien. Es wird dann gerne auf den sogenannten Swiss Finish verwiesen, den der Schweizer Regulator von Schweizer Banken fordere. Was ist davon zu halten?

Für systemrelevante, international tätige Grossbanken verlangt der Schweizer Regulator 3,5 Prozent hartes Eigenkapital, die sogenannte CET1-Leverage-Ratio. In anderen Branchen wird das ganz einfach als Eigenkapitalquote bezeichnet, und man kann sich schon fragen, ob im Banking so viel weiteres Verkomplizieren nötig ist. Zum harten Eigenkapital werden in der Leverage Ratio 1,5 Prozent Cocos und 5 Prozent Bail-in-Instrumente addiert. Vereinfacht gesagt soll dieses zusätzliche Kapital unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung stehen, etwa wenn die Bank in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Das Problem damit: Sobald die genannten Instrumente zum Einsatz kommen, ist ein Bank-Run fast schon sicher, weil dann alle Kundinnen und Kunden Angst vor einem Konkurs der Bank bekommen. Diese Instrumente sind also fast nutzlos.

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Ist das harte Eigenkapital von 3,5 Prozent nun viel – ein «Swiss Finish»? Nein, wenn man mit den Eigenkapitalquoten vergleicht, welche die Banken weltweit halten. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hält in ihrem Monitoring der Banken weltweit Folgendes fest: In Europa haben die Banken im Schnitt 5 Prozent, auf dem amerikanischen Kontinent 5,8 und im Rest der Welt 7,2 Prozent Eigenkapital.

Kein Swiss Finish

Daraus lässt sich schon mal ableiten, dass die vom Schweizer Regulator geforderten 3,5 Prozent gar nicht so viel sind. Ein Swiss Finish? Eher nicht. Auch der australische Regulator, die Australian Prudential Regulation Authority (Apra) fordert 3,5 Prozent Eigenkapital – wobei die grossen australischen Banken im Schnitt 5,32 Prozent Eigenkapitalquote halten.

Wenn die Anforderungen an Schweizer Banken nicht besonders hoch sind, wie sieht es dann mit dem tatsächlichen Verhalten der Grossbanken aus? Die Schweizer Grossbank UBS hatte vor der Zwangsheirat mit der Credit Suisse (CS) 4,4 Prozent Eigenkapitalquote und jetzt mit der CS zusammen 5,1 Prozent, wie die Analystinnen und Analysten von JP Morgan berechnet haben. Das ist knapp mehr als der Schnitt in Europa, aber weniger, als die Banken auf dem amerikanischen und dem australischen Kontinent im Schnitt halten. 

Ein Schock? Nicht, wenn man den Bericht der Schweizerischen Nationalbank «Capital regulation of banks: Where do we stand and where are we going?» gelesen hat. Dort steht: «Banken haben eine Tendenz, zu wenig Kapital zu halten (…), relativ zum wohlstandsmaximierenden Optimum.» Die Analyse stammt aus dem Jahr 2005, also noch deutlich vor der Finanzkrise, in die die UBS mit sehr wenige Eigenkapital geraten war und gerettet werden musste.

Verzerrung: Systemrelevante Banken haben tiefere Eigenkapitalquoten als kleinere Banken 

Die Autoren des Textes aus dem Jahr 2005, Robert Bichsel und Jürg Blum, erklären auch, warum die Banken zu wenig Eigenkapital halten: «Diese Verzerrung ist auf die begrenzte Haftung der Banken, das Vorhandensein finanzieller Sicherheitsnetze und auf externe Effekte im Falle von Bankzusammenbrüchen zurückzuführen. Daher sind Eigenkapitalanforderungen vom kollektiven Standpunkt aus gesehen wünschenswert.»

Schön sehen kann man das daran, dass kleinere Banken, die nicht erwarten können, vom Staat gerettet zu werden, viel mehr Eigenkapital halten als die systemrelevanten Grossbanken. In den USA haben 80 Prozent der Regionalbanken Eigenkapitalquoten von über 9 Prozent, während Grossbanken deutlich weniger halten, die Citigroup etwa 5,8 Prozent.

Eine Eigenkapitalquote von 3,5 Prozent ist viel zu tief

Alle diese Zahlen sind ein Hinweis darauf, dass die Anforderung von 3,5 Prozent hartem Eigenkapital (EK) zu tief sein dürfte. Gleichzeitig hat die Wissenschaft immer wieder darauf hingewiesen, dass es 20 bis 30 Prozent Eigenkapitalquote für systemrelevante Banken bräuchte, damit das Finanzsystem sicher ist.

Ja, schon klar, auch bei einer EK-Quote von 20 Prozent werden weiter Banken Konkurs gehen. Aber viel weniger. Und vor allem bringt dann so ein Konkurs das Finanzsystem weniger in Gefahr.

Natürlich hat eine höhere Eigenkapitalquote nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Alle mit Finanzwissen wissen: Sicherheit und Rendite sind negativ korreliert. Das heisst, wenn wir sicherere Banken wollen, wird die Eigenkapitalrendite geringer.

Je weniger Eigenkapital, desto höher die Bankerboni

Dabei gilt es zu beachten, dass für viele Unternehmer und Unternehmerinnen (nicht aus dem Banking) die Eigenkapitalrendite nicht so wichtig ist, sondern die Rendite auf dem Gesamtkapital. Sie haben oft ein sehr hohes Eigenkapital, weil das mehr Sicherheit bringt.

Warum ist für Banker und Bankerinnen die Eigenkapitalrendite oft so wichtig? Weil ihre Boni oft zu einem grossen Teil von dieser Kennzahl abhängig gemacht werden. Nun ist es so: je weniger Eigenkapital, desto höher die Eigenkapitalrendite in guten Jahren. Daraus folgt: je weniger Eigenkapital, desto höher die Bankboni.

In schlechten Jahren ist es umgekehrt: je weniger Eigenkapital, desto höher das Konkursrisiko. Aber die Boni sind dann eben schon ausgezahlt. Was heisst das im Falle der CS? In den vergangenen zehn Jahren hat die CS unter dem Strich Milliardenverluste geschrieben. Gleichzeitig erhielten die Topkader über 32 Milliarden Franken Boni ausbezahlt.

In guten Jahren konnte die EK-Rendite sehr hoch sein, die Boni auch. In schlechten Jahren war die EK-Rendite sehr negativ, aber die Boni gehen natürlich nicht auf null, schon gar nicht ins Negative. Super, oder?  Das heisst: Will man die Banken sicherer machen, braucht es nicht nur höheres Eigenkapital, sondern auch eine Änderung der Bonikultur.

Etappenziele bei der Umsetzung von höheren Eigenkapitalquoten

Natürlich kann man die EK-Quoten nicht von einem auf den anderen Tag erhöhen. Das ist vielmehr ein Grossprojekt, welches nicht einfach zu bewältigen ist – sonst hätte man es (hoffentlich) schon lange umgesetzt.

Realistischer ist es, die EK-Quote innerhalb der nächsten zehn Jahre vorerst auf 10 Prozent zu erhöhen. Der Kapitalbedarf für alle systemrelevante Banken zusammen wäre rund 80 Milliarden, also 8 Milliarden Franken pro Jahr.

Das ist nicht wenig, aber auch nicht so viel, dass es unmöglich ist. Sicherheit hat nun mal einen Preis. Man kann auch kleinere Etappenziele setzen. Und zudem gilt es zu beachten, dass eine hohe Eigenkapitalausstattung auch im Marketing eingesetzt werden kann. Das Argument könnte bei internationaler Kundschaft, die nach Sicherheit sucht, gut ankommen.

Noch ein Wort zum Lobbying: Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 wollte man zunächst ebenfalls eine harte EK-Quote von 10 Prozent einführen. Herausgekommen sind 3,5 Prozent für systemrelevante, international agierende Grossbanken.

Ein letztes Argument, das jetzt oft auch gegen höhere Eigenkapitalquoten angeführt wird, ist, dass die CS an der Liquidität gescheitert sei und nicht am fehlenden Eigenkapital. Ja, mag sein, dass die CS nicht (direkt) an der EK-Quote gescheitert ist, aber eine hohe EK-Quote signalisiert Stabilität und hilft auch in Liquiditätskrisen.

Zudem gehen auch andere Firmen aus anderen Branchen nicht (direkt) wegen einer zu tiefen EK-Quote Konkurs, sondern etwa deshalb, weil ihre Produkte nicht mehr gekauft werden. Sollen die jetzt auch nur noch 3,5 Prozent Eigenkapitalquote haben, weil die EK-Quote nicht direkt für deren Konkurs verantwortlich ist?

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