Im Jahr 2016 habe ich meine Wohnung aufgegeben und meinen Besitz auf das reduziert, was in meinen Rucksack passte: insgesamt 64 Sachen. Was als Experiment gestartet war, hat sich als unglaublich hilfreich herausgestellt, um mich auf die Sachen zu fokussieren, die mir wichtig sind: nicht Dinge, sondern Beziehungen und Start-ups. Als Gründer und Investor hatte ich damals mit 15 jungen Firmen auf der ganzen Welt zu tun. Im Jahr 2017 war ich mit meinen 64 Sachen auf 120 Flügen und verbrachte im Durchschnitt kaum drei Tage am gleichen Ort.

«Digitaler Nomade» ist ein Begriff, der oft für Leute verwendet wird, die ohne festen Wohnsitz reisen und dabei produktiv sind. Mein Lebensstil erlaubt es mir, meine Arbeit mit meiner Leidenschaft zu verbinden und stets neue Orte und Kulturen zu erkunden und Dutzende Leute pro Monat kennenzulernen. Aber 285 000 Flugkilometer – drei Viertel der Distanz zwischen Erde und Mond – und über 20 volle Tage Flugreisezeit in einem Jahr haben auch ihre Schattenseiten. Es braucht Disziplin, mit dem Jetlag umzugehen, sich gesund zu ernähren und die endlose Zeit in Security-Schlangen produktiv zu nutzen.

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Katastrophale CO2-Bilanz

Es gibt aber auch eine zweite, viel objektivere Schattenseite: die CO2-Ausstosse, die durch diese Reisetätigkeit verursacht wurden. Während Klimadiskussionen im Zusammenhang mit Start-up-Tätigkeit vor zehn Jahren noch die Ausnahme waren, kommen Klimabedenken heute oft zur Sprache. Zu Recht: Eine Überschlagsrechnung führt zu ungefähr 55 Tonnen CO2, die ich durch all diese Flugreisen verursacht habe. Zum Vergleich: Gemäss MyClimate.org beträgt der aktuelle EU-Durchschnittswert pro Person 8,4 Tonnen.

Abgesehen von den vielen Flugreisen ist mein Leben sehr klimafreundlich: Ich nutze nur Wohnraum, der sonst leer stehen würde, ich besitze keine Kleider, die nur Staubfänger in meinem Kleiderschrank sind, und ich nutze fast ausnahmslos den öffentlichen Verkehr oder Ridesharing-Angebote. Was also antworte ich auf die Frage, wieso ich all diese Flugreisen unternehme, die zu einer katastrophalen CO2-Bilanz führen?

Keine gute Alternative zum persönlichen Treffen

Meine Erfahrung ist: Auch wenn es inzwischen allerlei neue Kommunikationsmittel gibt – der persönliche Kontakt ist oftmals durch nichts zu ersetzen. Werfen wir einen Blick auf die gängigen Kommunikationsmittel: Einerseits ist die Anzahl Chat- und Video-Tools fast unüberschaubar geworden, und die Verbindungsqualität wird stets besser, andererseits sind lange Konferenz-Calls ermüdend, und wir haben immer noch keine Möglichkeit, unser Gegenüber ganzheitlich wahrzunehmen.

Informationen zu übermitteln, ist anstrengend, aber kein Problem. Doch wenn es darum geht, kreativ die Köpfe zusammenzustecken, emotionsgeladene Agendapunkte auszudiskutieren und gemeinsam Whiteboards mit Produktideen zu füllen, so sind wir in den letzten 20 Jahren kaum einen Schritt vorangekommen. Das ist der Grund, warum ich 2017 weit über hundert Mal in ein Flugzeug gestiegen bin – weil es keine gute Alternative gab. Eine junge Firma ist trotz Technologie weiterhin vor allem durch eines definiert: das Team dahinter. Und um diese Gesellschaft zusammenzubringen, braucht es den unmittelbaren Kontakt und den Austausch im gleichen Raum.

Bedeutet das, dass sich Start-up-Faszination und Klimaschutz zwingend nicht vertragen? Auf keinen Fall: Die Werkzeuge, die wir heute kennen, funktionieren wunderbar, wenn man sich erst mal kennt, und in den zwei darauffolgenden Jahren bin ich deutlich weniger geflogen. Viel liess sich über die Distanz besprechen, und die Anzahl der Fälle, zu denen man sich an einem Tisch treffen musste, war deutlich geringer. Das Konzept dahinter: die persönlichen Treffen noch gezielter aussuchen und dosieren. Eben weil ich weiss, dass sie so wertvoll sind.

*Cédric Waldburger ist Start-up-Unternehmer und Gründer der Venture-Firma Tenderloin. Waldburger ist bekennender Minimalist: Er besitzt nur 64 Sachen.