Die Politik tut sich schwer mit AHV-Revisionen. Die letzten Versuche erlitten allesamt Schiffbruch: Die 11. AHV-Revision scheiterte 2004 zuerst in der Volksabstimmung und dann bei einem zweiten Anlauf 2010 bereits im Parlament. Der neuste Versuch, Alain Bersets Grossprojekt, die «Vorsorgereform 2020», muss nun gelingen.

Denn die Zeit drängt: Das Umlageergebnis ist 2014 ins Negative gekippt. Das heisst: Es werden jährlich mehr Gelder in Form von Renten ausbezahlt, als die AHV durch Arbeitgeber- und Arbeiternehmerbeiträge sowie Bundesgelder einnimmt.

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Puffer schmilzt ohne Reform rapide

2015 betrug die Differenz bereits über eine halbe Milliarde Franken – Tendenz steigend. Im Jahr 2021 wird die Lücke 1,4 Milliarden Franken betragen, drei Jahre später schon doppelt so viel und 2030 rund 7 Milliarden Franken. Auf dem Kapitalmarkt lassen sich die Ausfälle nicht kompensieren. Und je kleiner der AHV-Fonds wird, desto defensiver muss dessen Präsident Manuel Leuthold die Gelder anlegen, desto weniger Rendite kann er erzielen.

Ohne Reform schmilzt der Puffer rapide und löst sich gemäss neusten Berechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) etwa 2030 ganz auf. Fünf Jahre später hat das Sozialwerk statt eines Guthabens von rund einer AHV-Jahresausgabe eine Finanzierungslücke in etwa gleicher Höhe.

Rentenalter und Mehrwertsteuer

Etwas haben die Politiker und Sozialpartner aus den Niederlagen der vergangenen Jahre begriffen: Eine einseitige Reform ist chancenlos. Es braucht ein Geben und ein Nehmen, die Mehrlast muss auf verschiedene Schultern verteilt werden. Der aktuelle Deal zwischen links und rechts lautet deshalb: Das Rentenalter der Frauen wird in vier Schritten von 64 auf 65 erhöht, was die Rechnung der AHV im Jahr mittelfristig um rund 1,3 Milliarden Franken verbessert.

Im Gegenzug fliesst künftig mehr Mehrwertsteuer ins Sozialwerk. Wie viel genau, ist umstritten. Der Bundesrat wollte ein Plus von 1,5 Prozentpunkten. Dem Parlament war das zu viel: Der Ständerat ist bereit, zusätzlich 1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuer für die AHV zu reservieren, die zuständige Nationalratskommission hingegen will nur 0,6 Prozentpunkte. Je nachdem, welche Kammer sich hier durchsetzt, entspricht das einem Zustupf von rund 2,1 bis 3,5 Milliarden Franken pro Jahr.

Die meisten politisch «gefährlichen» Stolpersteine haben die Parlamentarier ausgeräumt. So wehrten sie sich erfolgreich gegen Bersets Vorschlag, den Bundesbeitrag von heute 19,55 auf 18 Prozent der AHV-Ausgaben zu senken. Das hätte zwar die Kassenwarte des Finanzdepartements gefreut, die heute machtlos mit ansehen müssen, wie der Anteil der Bundesausgaben zugunsten der AHV Jahr für Jahr ansteigt, doch im Gegenzug hätte das ein neues Loch in die Kasse des Sozialwerks gerissen. Und das will derzeit niemand.

Anhebung des Frauenrentenalters auf 65

Bleiben zwei grosse Streitpunkte: erstens die Schuldenbremse und zweitens die Aufstockung der AHV-Renten. Die Nationalratskommission bevorzugt bei der Stabilisierungsregel das vom Arbeitgeberverband ausgedachte zweistufige Modell, bei dem der Bundesrat eine Reform einleitet, wenn das Kapital des Fonds unter eine AHV-Jahresausgabe fällt.

Wird das Frauenrentenalter auf 65 angehoben und erhält die AHV zusätzlich 0,6 Mehrwertsteuerprozente, wäre dies gemäss BSV-Prognosen 2029 oder 2030 der Fall. Die Regierung hätte dann etwa vier Jahre Zeit, bis das Fondsvermögen unter 80 Prozent fiele. Dann würde die zweite Stufe ausgelöst, wie Martin Kaiser, Dossierverantwortlicher beim Arbeitgeberverband, erklärt. Das heisst: Es gäbe zusätzliche Mehrwertsteuerprozente, und das Rentenalter würde sukzessive erhöht. «Ein Referenzalter von 66 für Männer und Frauen würde so erst 2036 erreicht», sagt Kaiser. «Das ist also frühestens in 20 Jahren. Bis dann wird die Lebenserwartung von Frau und Mann zwei weitere Jahre gestiegen sein.»

Kosten von rund 1,4 Milliarden Franken pro Jahr

Die Erhöhung der AHV-Renten für Neurentner um 70 Franken sowie des Ehepaar-Plafonds von 150 auf 155 Prozent ist ein Kompromiss, den die CVP mit den Sozialdemokraten im Ständerat geschmiedet hat. Das Argument: Der Einschnitt in der zweiten Säule soll durch eine Aufstockung der AHV-Renten kompensiert werden.

Die Wirtschaftsverbände sowie FDP und SVP haben sich aber in der Nationalratskommission erfolgreich gegen diesen «Leistungsausbau» gestemmt. Ihr Argument: Die Aufstockung kostet bis 2030 rund 1,4 Milliarden Franken pro Jahr. Und danach noch mehr. «Die strukturellen Probleme der AHV werden damit nicht verkleinert, sondern im Gegenteil noch verschärft», betont Kaiser. Denn die Mehrkosten übersteigen die dank den Frauen erzielten Einsparungen.