Auf dem Weg von Baar zum Flughafen Kloten schaut Joachim Schoss auf einen Sprung bei der BILANZ-Redaktion vorbei. Als Vielflieger an Hatz gewohnt, sitzt der 38-Jährige entspannt am Tisch und plaudert über die Beisheim Holding Schweiz (BHS), als deren CEO er seit rund zwei Jahren amtet. Nur wenn sich das Gespräch um Zahlen wie Umsatz und Ertrag zu drehen beginnt, gibt sich der Deutsche wortkarg. Dann gehen dem BHS-Chef Worte wie «etwa» und «ungefähr» locker von den Lippen. Fragen nach konkreteren Angaben werden mit einem feinen Lächeln quittiert. Joachim Schoss lächelt viel an diesem Morgen.

Mehrfacher Firmengründer, Business- Angel, Venture-Capitalist, Berater. Joachim Schoss ist ein typischer Vertreter der Dotcom-Wirtschaft – und ein erfolgreicher dazu. 1996 versilbert der Jungunternehmer seinen 51-Prozent-Anteil an dem von ihm sechs Jahre zuvor gegründeten Internetunternehmensberater TellSell, Käufer ist die Schweizer Metro Holding. Im Jahr danach stösst Schoss das von ihm mitgegründete, 350 Mitarbeiter zählende Call-Center Telcare ab. Weit reichende Folgen hat ein Trip nach Amerika. Zurück in Deutschland, gründet er unter der Firmierung Scout24 einen virtuellen Umschlagplatz für den Handel mit Immobilien, kurze Zeit später folgt eine elektronische Börse für Fahrzeuge. Zur Finanzierung holt Joachim Schoss die 1999 in Baar gegründete Beisheim Holding Schweiz an Bord. Wenige Wochen darauf übernimmt die BHS alle Scout-Aktien.

Joachim Schoss heuert Anfang 2000 bei seinem einstigen Hauptaktionär an und zügelt mit Frau und Kind in die Zentralschweiz. «Das war für mich eine neue Erfahrung», erinnert er sich. «Für die schnelle Expansion standen erhebliche Mittel zur Verfügung.» An Geld herrscht kein Mangel, denn hinter BHS steht der Gründer der mächtigen Handelsgruppe Metro, der Deutsche Otto Beisheim, der in der Zentralschweiz Wohnsitz hat. Und der wird in der BILANZ-Liste der 300 Reichsten mit einem Vermögen von fünf bis sechs Milliarden Franken eingestuft. Doch der Multimilliardär tritt im operativen Geschäft kaum noch in Erscheinung, obwohl die BHS sein zweites unternehmerisches Lebenswerk darstellt.

Beisheims BHS-Interessen wahrt Hans-Dieter Cleven. Der einstige Metro-Finanzchef, der Otto Beisheim seit seiner Lehrzeit kennt und mit dem zweiten Beisheim-Intimus Erwin Conradi die Geschäftsführung der Beisheim Holding innehat, verfügt über beste Kenntnisse im E-Geschäft und ist bekannt für sein Gespür für Gewinn bringende Investments – eine Fähigkeit, von der sich auch Ex-Tennisstar Boris Becker Vorteile verspricht. Obwohl sich Cleven bei der BHS im Hintergrund hält, ist er der eigentliche Strippenzieher. Ohne seine Billigung fällt keine wichtige Entscheidung. Joachim Schoss bezeichnet Cleven denn auch freimütig als «Motor und Coach» der Beisheim Holding Schweiz.

Nicht zuletzt Hans-Dieter Cleven ist es zuzuschreiben, dass das Kapital ausgesprochen üppig geflossen ist: Seit ihrer Gründung, also binnen gerade mal zwei Jahren, hat die BHS etwas über 500 Millionen Franken investiert. Davon stammen gut drei Viertel aus der Kasse der Beisheim Holding, die 58 Prozent der BHS-Aktien kontrolliert. Für den Rest waren die BHS-Manager besorgt. Allein Schoss steuerte rund 50 Millionen Franken bei, davon 33 Millionen in Cash sowie 17 Millionen in Form von Scout-Aktien, die er als Sacheinlage in die Schatulle seines neuen Arbeitgebers eingebracht hat. Dafür ist Schoss mit einem Anteil von 30 Prozent an BHS bedient worden.

In atemberaubendem Tempo wurde von der Zuger Gemeinde Baar aus eine europaweit tätige Unternehmensgruppe gezimmert, die mittlerweile zu den führenden Internetkonzernen des Kontinents gehört. Unter dem Dach der Beisheim Holding Schweiz gruppieren sich mehr als 100 Firmen, die zusammen etwa 1800 Personen beschäftigen und in diesem Jahr einen Umsatz von ungefähr 310 Millionen Franken erwirtschaften dürften. Für 2002 rechnet der BHS-Chef mit einem Umsatz von weit über 500 Millionen Franken.

So beeindruckend sich die Zahl an Firmen auch ausnehme, so vermittle sie doch ein falsches Bild, wiegelt Joachim Schoss ab. «Der Grossteil dieser Beteiligungen konzentriert sich auf Scout24 und PrimusOnline.» Herzstück der BHS ist Scout24, obgleich die Gruppe deutlich weniger Umsatz einfährt als PrimusOnline. «Dieses Geschäft gefällt uns sehr gut», erläutert der Betriebswirtschaftler. «Und mein Herz hängt an Scout24», mag er als einstiger Mitgründer nicht verhehlen. Die Scout-Gruppe wird ebenfalls von Baar aus dirigiert. Zusammen mit der Beisheim Holding Schweiz, der Beisheim Holding GmbH sowie der Beisheim-Stiftung hat sich die Dachgesellschaft Scout24 mit ihren gut 20 Beschäftigten auf eineinhalb Stockwerken in der Metro-Zentrale breit gemacht.

Scout24 betreibt in 13 Ländern Europas acht verschiedene Internetplattformen zu den Themen Auto, Finanzen, Freundschaft, Gesundheit, Immobilien, Job, Reisen und Shopping. Die einzelnen Märkte werden von Ländergesellschaften aus bearbeitet. So logiert Scout24 Schweiz mit ihren 32 Mitarbeitern im Gebäude der Internetfirma Xmedia im bernischen Flamatt. Ein Konkubinat, das historische Gründe hat: Im Auftrag der Beisheim Holding Schweiz baute Xmedia ehedem die Schweizer Varianten von AutoScout und ImmoScout auf. Danach wurde zusammen mit der BHS die Holding Scout24 Schweiz gegründet. An deren Aktienkapital halten die Baarer 55 Prozent, der Rest befindet sich im Besitz der Xmedia-Macher Daniel Grossen, Urs Frey sowie Donald Wuhrmann.

Das zweite wichtige Engagement ist Primus Online, an der die BHS 49 Prozent hält. Die Mehrheit gehört Metro; für den Handelskonzern ist PrimusOnline nichts anderes als eine virtuelle Verlängerung, ein Internetkaufhaus. Die vor zweieinhalb Jahren aus der Taufe gehobene deutsche Firma betreibt ein Dutzend Onlineshops in den Bereichen B2C und B2B. Von Frascati über PVC-Jalousien bis hin zu Charterflügen nach Palma de Mallorca wird so ziemlich alles verhökert, was die Metro-Regale hergeben. Mit Erfolg, zumindest was die Besucherströme betrifft: Mit rund fünf Millionen Artikeln und monatlich 65 Millionen Page-Impressions hat sich PrimusOnline zu Deutschlands grösstem Onlineladen gemausert.

Zum Beisheim-Imperium gehören im Weiteren die auf elektronische Bezahlungssysteme spezialisierte Pago eTransaction, die Online-Marketingfirma ActiveAgent, die einst von Joachim Schoss an Metro losgeschlagene und mittlerweile bei der BHS gelandete TellSell sowie XL Venture. «Unser Trüffelschwein», nennt Schoss fast zärtlich die deutsche Tochter XL, die sich mit Wagniskapital-Finanzierung befasst. Ein Team von sieben Spezialisten hält Ausschau nach jungen Unternehmen aus den Bereichen New Economy und Technologie. «Wir verfügen über 50 Millionen Euro, davon wurden bislang 14 Millionen in sieben Firmen investiert», erläutert Hans-Jörg Rotberg, Partner bei XL.

Die Optik der Beisheim Holding Schweiz ist also klar auf die Internetwirtschaft ausgerichtet. Da kommt der Einwurf von Joachim Schoss eher überraschend: «Wir haben die Internetaktivitäten nicht aufgebaut, um in diesem Geschäft eine führende Rolle zu spielen, sondern aus Gründen der Beteiligungsstrategie.» Ausser XL Venture und TellSell seien alle Firmen vorübergehende Engagements. In Milliardenmärkten mit höchstmöglichem Wachstumspotenzial über die nächsten fünf Jahre «gründen und kaufen wir Beteiligungen, bauen diese auf und verkaufen sie später auch wieder zum bestmöglichen Preis».

Eine simple Taktik, die jedoch bei der Walter TeleMedien voll aufgegangen ist. Die BHS hielt an dieser Firma, mit 3800 Mitarbeitern und einem für das laufende Jahr geschätzten Umsatz von 185 Millionen Mark führendes Call-Center Deutschlands, 75 Prozent. Diese wurden vor wenigen Wochen an das Walter-Management zurückverkauft. Für die Baarer angeblich ein Supergeschäft. «Den uns offerierten Preis erachte ich als fair. Für BHS jedoch war das ein sehr, sehr guter Deal», lässt sich Jürgen Lankers, Vorsitzender der Geschäftsleitung Walter TeleMedien Holding, etwas in die Karten blicken.

Wie viel hat die Beisheim Holding Schweiz exakt an Gewinn eingestrichen? Nach längerer Denkpause ringt sich Joachim Schoss zur Aussage durch: «Dank dem Verkauf der Walter TeleMedien werden wir in diesem Jahr einen hohen zweistelligen Millionengewinn verbuchen.» Bleibt anzumerken, dass auf Holdingebene die Zahlen der Beteiligungsgesellschaften nicht konsolidiert werden. Dem Reinertrag aus dem Verkauf stehen in der Erfolgsrechnung demnach gerade mal die Löhne der 15 BHS-Beschäftigten, die Miete sowie einige unbedeutende Aufwendungen gegenüber. Wird dagegen in einem Jahr keine Beteiligung Gewinn bringend verkauft, fallen rote Zahlen an.

Genau das dürfte 2002 der Fall sein. Denn die simple Firmenstrategie, die bei Walter TeleMedien noch aufgegangen ist, hat einen nicht geringfügigen Makel: Die Krise in der Dotcom-Wirtschaft lässt Verkäufe zu einem einigermassen akzeptablen Preis nicht mehr zu. «Kaum jemand will dieser Tage einen attraktiven strategischen Aufpreis bezahlen», muss auch Schoss bekennen. Die Beisheim Holding Schweiz ist in ihren Investments gefangen.

Den Braten frühzeitig gerochen haben die Metro-Grossaktionärsfamilien Haniel und Schmidt-Ruthenbeck: Die Mitgründer der BHS – das Kürzel stand damals noch für Beisheim, Haniel und Schmidt – liessen sich im Herbst 2000, also ein halbes Jahr nach dem Auftakt zum bodenlosen Fall der E-Aktien, von Otto Beisheim auszahlen. Sie wurden kopfscheu, als die Deutsche Bank den ihr zur Begutachtung vorgelegten BHS-Plänen für einen Börsengang null Chancen einräumte.

Otto Beisheim dagegen ist der Ausstieg verwehrt. Auch wenn sich die Börsenstimmung dereinst aufhellt, lässt sich ein Verkauf einzelner Firmen oder gar ein Going-public nicht so schnell bewerkstelligen. Die meisten Töchter schreiben rote Zahlen, erst vereinzelt zeichnet sich eine Wende ab. So muss man sich bei der Scout-Gruppe noch gedulden: «Den Break-even erwarten wir Anfang 2003», meint Scout24-CEO Christian Mangstl. Im Schweizer Geschäft von Scout dagegen werden andere Töne angeschlagen. «Wir spüren nichts von der Internetkrise, unsere Kunden kommen aus der Old Economy. Ende dieses Jahres erwirtschaften wir einen positiven Cashflow», gibt sich Daniel Grossen, Geschäftsführer von Scout24 Schweiz, überaus zuversichtlich.

Sein Optimismus scheint verwunderlich, denn die Konkurrenz stöhnt unter den Prob-lemen. Der Internetautohändler Car4you, in der Schweiz schärfster Mitbewerber von AutoScout, musste jüngst die Segel streichen und wurde verkauft. Die Winner-Gruppe, die E-Commerce-Plattformen der Tamedia, kämpft ebenfalls ums Überleben: Von sechs Online-Marktplätzen fielen deren drei dem Rotstift zum Opfer.

PrimusOnline fährt ebenso wenig Gewinne ein. «Unser kurzfristiges Ziel ist der Break-even», meint zwar Karsten Niehus, Geschäftsführer von PrimusOnline. Wobei «kurzfristig» ein dehnbarer Begriff ist. Zumal die einst überschwänglichen Wachstumsprognosen im virtuellen Shopping laufend zurückgefahren werden. Schiffbruch erlitten hat das Joint Venture Blueprimus, an dem die schweizerische Bluewin mit 51 und die deutsche PrimusOnline mit 49 Prozent beteiligt ist. «Der Markt hat sich nicht so entwickelt, wie wir das erwartet haben», hält sich Bluewin-CEO Christoph Brand bedeckt. Nicht zum Besten bestellt ist es auch beim Online-Marketingunternehmen ActiveAgent. «Wir mussten unseren Mitarbeiterbestand von 130 auf 90 Personen abbauen und eine Firma verkaufen», räumt der Chef von ActiveAgent, Markus Hiebeler, ein.

«Weil die Beisheim Holding Schweiz nicht kotiert ist, können wir für unsere Investments viel Geduld aufbringen», versucht Joachim Schoss sich selbst Mut zu machen. BHS bleibt nichts anderes übrig, als die Krise auszusitzen. Allerdings kommt sie das Warten, bis der Konkurrenz das Geld ausgeht, teuer zu stehen. Je länger die Dotcom-Wirtschaft darniederliegt, desto mehr wächst die Nervosität des Grossinvestors Otto Beisheim. Wie auch jene von Schoss. Denn sein BHS-Investment ist die erste grosse Beteiligung, die sich nicht auszahlt – zumindest bislang nicht.
Partner-Inhalte