Auf dem Sofa sitzen und sagen «Alexa, ich möchte mich da bewerben!» – so könnte in Zukunft der Weg zum neuen Job beginnen. Bei Deepblue Networks, einem Unternehmen aus Hamburg, geht das heute schon. Wer sich für eine Stelle dort interessiert, kann seinen Amazon-Sprachassistenten zur Bewerbung nutzen. Es reicht, «Öffne Deepblue» zu sagen, und schon beginnt das Bewerbungsgespräch mit ein paar Testfragen.

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Zum Beispiel: «Im Team wird eine neue Idee besprochen. Alle finden sie super. Du aber nicht. Was machst du?» Der Kandidat kann jeweils eine von drei Antworten wählen und sie Alexa mitteilen. Am Schluss sendet das Gerät die Antworten mit den persönlichen Daten aus dem Amazon-Kundenkonto an die Personalabteilung von Deepblue. Eingetippt werden muss nichts mehr.

Keine Lust auf Anschreiben

(Fast) ohne Geschriebenes ist auch bei Helvetia der Start möglich: Seit Dezember können sich Kandidaten auf einige Einstiegspositionen auch per Video bewerben. Über eine Smartphone-App bekommen sie bis zu fünf Fragen gestellt, die sie vor der Handy-Kamera beantworten müssen, zum Beispiel: «Was ist bei dir schon einmal schiefgelaufen und was hast du daraus gelernt?»

Wer an einem solchen zeitversetzten Video-Interview teilnimmt, muss ausser seinem Lebenslauf nichts Schriftliches mehr einreichen. Das Anschreiben fällt weg. «Das ist ohnehin nicht mehr zeitgemäss», findet Martin Maas, Senior Manager Employer Branding bei Helvetia. Das Anschreiben sei «ein Schauspiel für beide Seiten», schmunzelt Maas. Man werde es sukzessive in allen Bereichen auf den Prüfstand stellen.

«Die Nutzung von Video und Sprache, gerade bei der Besetzung von Einstiegspositionen, nimmt zu – und wird weiter zunehmen»

Christian Wohlgensinger, Egon Zehnder

«Eine Bewerbung schreiben» – diese Formulierung könnte bald altmodisch klingen, denn immer mehr Firmen verzichten bei der Rekrutierung auf Schriftliches. «Die Nutzung von Video und Sprache, gerade bei der Besetzung von Einstiegspositionen, nimmt zu – und wird weiter zunehmen», sagt Christian Wohlgensinger von der Personalberatung Egon Zehnder.

Vor allem grosse Unternehmen preschen hier vor: Unlängst zum Beispiel hat Mc-Donald’s verkündet, ab sofort in vielen Ländern Bewerbungen per Alexa und Google Assistant entgegenzunehmen. Der Konzern beschäftigt zwei Millionen Menschen. Einige US-Handelsunternehmen planen zudem, in ihren Filialen Kiosks aufzustellen, an denen ebenfalls eine mündliche Bewerbung möglich ist – quasi im Vorbeigehen.

Dass Arbeitgeber nicht mehr auf Getipptem bestehen, hat einen einfachen Grund: Arbeitskräfte sind in vielen Branchen knapp und man will den Kandidaten möglichst wenige Steine in den Weg legen. Convenience lautet die Vorgabe in der Rekrutierung der Zukunft, man will das Kennenlernen für die Kandidaten so einfach und bequem wie möglich machen. «Ein Video-Interview dauert bei uns maximal 15 Minuten. In dieser Zeit können sie kein Anschreiben formulieren», sagt Personalexperte Maas von Helvetia.

Für den Arbeitgeber bietet dieser Bewerbungsweg den Vorteil, dass er sich im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild des Kandidaten machen kann. «Es ist sehr hilfreich, frühzeitig zu sehen, wie eine Person rüberkommt», erklärt Maas. Gerade im Versicherungswesen, wo der Kunde in Zukunft vermutlich häufiger per Videokonferenz beraten werde, sei das ein klarer Vorteil.

Derzeit bietet Helvetia diesen Kontaktweg nur Lernenden und Trainees an, Maas kann sich jedoch vorstellen, dass sich in Zukunft auch Kader per Video bewerben. «Das hängt vom digitalen Reifegrad des Unternehmens ab. Theoretisch funktionieren zeitversetzte Videointerviews auch im Topmanagement.»

«Es ist sehr hilfreich, frühzeitig zu sehen, wie eine Person rüberkommt»

Martin Maas, Helvetia

Der Vormarsch von Wort und Bild hat für Firmen allerdings auch einen Nachteil: Die Auswertung kann lange dauern – länger, als wenn die Informationen schwarz auf weiss vorliegen. Ein Beispiel illustriert das Problem: Trägt ein Kandidat sein Anschreiben (500 Wörter) vor der Kamera vor, dauert es drei Minuten, sich das Video anzuschauen. Würde der Personaler dagegen das Schreiben als Text lesen, wäre er unter Umständen nach 30 Sekunden fertig.

Audio und Video mögen reich an Emotionen sein, für die reine Faktenübermittlung sind sie denkbar schlecht geeignet. «Käme jede Bewerbung als Video rein, würden alle Personalabteilungen zusammenbrechen», sagt Tim Weitzel, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Bamberg.

Maschinelle Auswertung

Die Lösung dieses Problems ist offensichtlich: Das Unternehmen überlässt es Maschinen, sich die Videos anzuschauen. Beim Konsumgüterkonzern Unilever zum Beispiel durchlaufen Einsteiger standardmässig ein Video-Interview, das danach von einer künstlichen Intelligenz (KI) ausgewertet wird. Sie achtet auf Intonation und Körpersprache eines Kandidaten und kann seinen «Erfolg» angeblich vorhersagen. Wie genau das funktioniert, verrät das Unternehmen nicht.

Sprachbewerbungen lassen sich ebenfalls schon maschinell auswerten. Der Dienstleister Precire behauptet, in einer Sprachaufnahme Eigenschaften von Bewerbern zu erkennen. Die dabei eingesetzte künstliche Intelligenz könne über «Sprach-DNS» Talente entdecken, von denen die Kandidaten selbst womöglich nichts wissen, heisst es auf der Website. Anwender der automatischen Sprachanalyse ist zum Beispiel das Zeitarbeitsunternehmen Randstad.

«Käme jede Bewerbung als Video rein, würden alle Personalabteilungen zusammenbrechen.»

Tim Weitzel, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Bamberg

Aber kann eine Maschine wirklich aus einem Video- oder Tonschnipsel auf die Persönlichkeit eines Bewerbers schliessen? Viele Wissenschafter bezweifeln das. In Zukunft könnte es zudem schlichtweg illegal sein, eine Sprach- oder Videobewerbung von einer Maschine auswerten zu lassen.

Die EU hat unlängst Regeln zum Einsatz von KI vorgeschlagen. Dass Algorithmen aufgrund von Faktoren über Menschen urteilen, die diese nicht selbst unter Kontrolle haben, solle verboten werden, fordert die EU. Das unbewusste Zucken des Mundwinkels oder ein nervöses «Äh» würden dazugehören.

Aus all diesen Gründen halten sich Firmen mit dem Einsatz von «Auswahlrobotern» auch zurück. «Heute ist das für uns ein No-Go», stellt Helvetia-Personaler Maas klar. Technologie und Akzeptanz seien noch nicht so weit. Dass Maschinen bei der Besetzung von Toppositionen so bald das Sagen haben, sieht Personalberater Wohlgensinger ebenfalls nicht. «Die menschliche Urteilskraft ist durch nichts zu ersetzen.»

Zur seriösen Personalauswahl gehöre es, zu beobachten, wie ein Kandidat mit seiner Umwelt interagiert, wie er sich zum Beispiel gegenüber Assistenten oder Rezeptionisten verhält. Diesen Job kann Alexa tatsächlich noch nicht dem Arbeitgeber abnehmen, dafür müsste sie nicht nur zuhören, sondern auch zugucken und eigene Schlüsse ziehen. Bleibt die Frage: Wie lange dauert es, bis sie das kann?